Selma Lagerlöf

Gösta Berling


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hatte, empfand sie einen förmlich körperlichen Schmerz, so heftig, daß sie fast davon betäubt wurde. Sie preßte die Hände gegen das Herz und blieb stundenlang auf demselben Fleck sitzen, mit tränenlosem Kummer ringend.

      Und sie selber litt, nicht eine Fremde, nicht eine Schauspielerin – nein, sie selber war es.

      Weshalb war ihr Vater gekommen und hatte sie getrennt? Ihre Liebe war ja noch nicht tot; nur in ihrem Schwächezustand nach der Krankheit konnte sie ihre Macht nicht empfinden.

      Ach Gott! ach Gott! Daß sie ihn verloren hatte! Ach Gott, daß sie zu spät erwacht war!

      Ach, er war der Einzige, er war der Herr ihres Herzens! Von ihm konnte sie alles erdulden. Härte und böse Worte von ihm beugten sie nur zu demütiger Liebe. Hätte er sie geschlagen, so würde sie wie ein Hund zu ihm hingekrochen sein, um seine Hand zu küssen.

      Sie wußte nicht, was sie tun sollte, um sich Linderung in diesem entsetzlichen Schmerz zu verschaffen.

      Sie ergriff Feder und Papier und schrieb mit fieberhafter Hast. Erst schrieb sie von ihrer Liebe, von ihrem Verlust; dann flehte sie um seine Liebe, nur um seine Barmherzigkeit. Es war eine Art Poesie, die sie schrieb.

      Als sie fertig war, dachte sie, daß er, wenn ihm dies zu Augen kam, doch glauben müßte, daß sie ihn geliebt hatte. Und weshalb sollte sie ihm nicht senden, was sie geschrieben hatte? Sie wollte es am nächsten Tage tun, und sie glaubte sicher, daß es ihn zu ihr zurückführen werde.

      Am nächsten Tage rang und kämpfte sie mit sich. Was sie geschrieben, erschien ihr so unbedeutend, so dumm. Da war weder Reim noch Rhythmus. Es war die reine, schiere Prosa. Er würde sicher nur lachen über solche Verse. Auch ihr Stolz erwachte. Liebte er sie nicht mehr, so war es eine entsetzliche Entwürdigung, um seine Liebe zu betteln.

      Auch die Klugheit meldete sich und sagte, sie könne froh sein, daß sie dieser Verbindung mit Gösta entronnen sei – es würden nur traurige Verhältnisse daraus entsprossen sein.

      Aber die Qual ihres Herzens war doch so heftig, daß das Gefühl schließlich die Oberhand gewann. Drei Tage, nachdem sie sich ihrer Liebe bewußt geworden war, wurden die Verse in einen Briefumschlag gelegt und dieser mit Gösta Berlings Namen versehen. Aber sie wurden niemals abgesandt. Denn ehe sie einen passenden Boten gefunden hatte, hörte sie derartige Neuigkeiten von Gösta, daß sie einsah, daß es schon zu spät sei, ihn zurückzugewinnen.

      Es ward der Kummer ihres Lebens, daß sie die Verse nicht rechtzeitig abgesandt hatte, solange es noch in ihrer Macht lag, ihn zu gewinnen. All ihr Schmerz gipfelte in diesem Punkt: »Hätte ich nur nicht so lange gewartet, hätte ich nur nicht so viele Tage gewartet!«

      Das Glück des Lebens oder doch wenigstens die Wirklichkeit des Lebens hatten diese geschriebenen Worte ihr erobern sollen. Sie war fest überzeugt, daß sie ihn ihr zurückgeführt haben würden.

      Doch der Kummer leistete ihr denselben Dienst wie die Liebe. Er machte sie zu einem ganzen Menschen mit der Fähigkeit, sich im Guten wie im Bösen hinzugeben. Brennende Gefühle strömten frei durch ihre Seele, ohne von der eisigen Kälte der Selbstkritik gehemmt zu werden.

      Und so kam es denn, daß sie trotz ihrer Entstelltheit dennoch von vielen geliebt ward.

       Man sagt aber, daß sie Gösta Berling nie ganz vergessen konnte. Sie trauerte um ihn, wie man um ein vergeudetes Leben trauert.

      Und ihre armen Verse, die eine Zeitlang viel gelesen wurden, sind längst vergessen. Doch liegt etwas wunderlich Rührendes über ihnen, wie ich sie hier vor mir sehe, auf vergilbtem Papier und mit verblaßter Tinte, mit einer feinen, zierlichen Handschrift geschrieben. Die ganze Entbehrung eines Lebens ist in diesen armseligen Worten enthalten, und ich schreibe sie mit einem gewissen heimlichen Beben ab, als wohnten mystische Kräfte in ihnen.

      Ich bitte euch, sie zu lesen und an sie zu denken. Wer weiß, welche Macht sie hätten haben können, wenn sie abgeschickt wären? Sie sind doch leidenschaftlich genug, um von einem wahren Gefühl zu zeugen. Vielleicht hätten sie ihn zu ihr zurückführen können.

      Sie sind ergreifend genug, zärtlich genug in ihrer unbeholfenen Formlosigkeit. Niemand kann sie anders wünschen. Niemand kann den Wunsch hegen, sie in die Ketten des Reimes und der Rhythmen gezwängt zu sehen. Und doch ist es so wehmütig zu denken, daß gerade diese Unvollkommenheit sie daran gehindert hat, sie rechtzeitig abzuschicken.

      Ich bitte euch, leset sie und habt sie lieb! Ein Mensch, der in großer Not war, hat sie geschrieben.

      Geliebt hast du, Kind, doch nimmermehr Sollst die Wonne der Liebe du kosten. Stürme der Leidenschaft schüttelten dich, Freu dich, o Seele, nun fandst du Ruh! Hebst nicht mehr die Schwingen zu himmlischer Wonn. Freu dich, o Seele, nun fandst du Ruh! Sinkst nicht hinab mehr in Schmerzensnacht, Ach, nimmermehr!

      Geliebt hast du, Kind, doch nimmermehr Loht deine Seele in Flammenglut. Gleich einer Flur mit versengtem Gras Füllten dich Gluten eine flüchtige Stund! Erstickende Wolken aus Rauch, Wolken aus Feuer Scheuchten die Vöglein des Himmels, die schreiend entflohen. Kehrten sie heim doch! Du brennst nicht mehr, Kannst nicht mehr brennen!

      Geliebt hast du, Kind, doch nimmermehr Sollst du hören der Liebe Stimme. Des Herzens Kräfte gleich müden Kindern, Auf der Schule harter Bank sie sitzen, Sich sehnend nach Freiheit und Spielen, Doch niemand rufet sie mehr! Sie sitzen wie der Wachtposten, den man vergessen, Niemand rufet sie mehr!

      Kind, er ist fort nun Und mit ihm all Liebe und Liebeswonne, Er, den du liebtest, wie er dichs gelehrt Zu fliegen mit Flügeln im Himmelsraum. Er, den du liebtest, als hätt er dir gewiesen Den einzig sichren Platz in der überschwemmten Stadt: Er ging von dannen, er, der allein Die Tür deines Herzens zu öffnen verstand.

       Um Eins nur will ich dich bitten, Geliebter: »Ach, wälze nimmer die Last des Hasses auf mich!« Das Schwächste von allem, was schwach, ists nicht ein Menschenherz? Wie könnt es leben unter der nagenden Pein, Daß einem andern zur Qual es gereicht?

      O mein Geliebter, willst du mich töten, Da schaff dir keinen Dolch, kaufe kein Gift, keinen Strick. Laß mich nur wissen, daß du wünschst, ich entschwände Von der Erde blühender Flur, aus des Lebens Reich – Und ins Grab will ich sinken.

      Du gabst mir des Lebens Leben. Du gabst mir die Liebe. Und du nimmst deine Gabe zurück. Ach, ich weiß es – Doch gib mir nicht Haß stattdessen! Ich liebe ja dennoch das Leben. O, denke daran! Doch ich weiß, daß des Hasses Last mich tötet.

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