Jules Verne

Die Eissphinx


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hat seinen Kiel zuerst aufgenommen.

      – Sag' doch, das Wasser der Mersey, Du Tropf! erwiderte Meister Atkins. Putz' einmal Deine Fernrohrgläser und sieh zu, welche Flagge nach der Gaffelspitze emporsteigt.

      – Die englische!« riefen jetzt alle Versammelten.

      In der That entfaltete sich eben das rothe Flaggentuch des Vereinigten Königreichs mit dem britischen Jack in der oberen inneren Ecke.

      Jetzt schwand jeder Zweifel, daß es ein englisches Schiff war, das auf die Einfahrt nach Christmas-Harbour zuhielt; doch wenn das auch feststand, so folgte doch noch nicht, daß es die Goëlette des Kapitän Len Guy sein mußte.

      Zwei Stunden später wäre darüber nicht mehr zu streiten gewesen. Vor der Mittagszeit lag die »Halbrane« schon bei vier Faden Wasser inmitten des Hafens vor Anker.

      Meister Atkins begrüßte mit Handbewegungen und lauten Zurufen den Kapitän der »Halbrane«, der sich mir dabei kühler zu verhalten schien.

      Als ein guter Vierziger von sanguinischem Temperament, von ebenso solidem Bau wie seine Goëlette, schon ergrauendem Barte, mit schwarzen Augen, deren Pupille unter den dichten Brauen in dunkler Gluth leuchtete, gebräunter Haut, schmalen, scharf geschnittenen Lippen, die eine in der mächtigen Kinnlade fest eingewurzelte Zahnreihe erkennen ließen, mit einem durch einen noch röthlichen Knebelbart verlängerten Kinn und kräftigen Armen und Beinen – so erschien mir der Kapitän Len Guy. Sein Gesichtsausdruck war etwas hart, oder mehr kalt, wie der eines verschlossenen Individuums, das seine Geheimnisse nicht leicht preisgiebt – das wurde mir noch am nämlichen Tage von einem Manne hinterbracht, der darüber offenbar besser unterrichtet war als Meister Atkins, obgleich der Gastwirth sich als vertrauter Freund des Kapitäns aufzuspielen liebte. Im Grunde konnte sich eigentlich niemand schmeicheln, diese etwas widerspenstige Natur ganz durchschaut zu haben.

      Hier sei gleich eingeschoben, daß der von mir erwähnte Mann der Hochbootsmann der »Halbrane« war. Hurliguerly mit Namen, stammte er von der Insel Wight, war vierundvierzig Jahre alt, mittelgroß, untersetzt und kräftig, hatte vom Brustkasten abstehende Arme, etwas gekrümmte Beine, einen kugelrunden Kopf auf einem Stiernacken, sehr breite Brust, die gleich zwei Lungen hätte aufnehmen können – und ich fragte mich, ob er die nicht besäße, so verschwenderisch ging er mit der Luft beim Athmen um – immer blasend, immer schwatzend, mit listigen Augen, lachender Miene, und dabei breitete sich unter den Augen ein Netz von Furchen aus, das von der immerwährenden Zusammenziehung des großen Jochbeinmuskels herrühren mochte. Auch eines Ohrrings – eines einzigen – der vom Ohrläppchen linkerseits herabhing, sei hier erwähnt. Welch ein Unterschied von dem Befehlshaber der Goëlette, und wie konnten zwei so verschiedene Wesen miteinander auskommen! Und doch war das der Fall, denn schon seit fünfzehn Jahren segelten sie miteinander und zwar zuerst auf der Brigg »Power«, die sechs Jahre vor Anfang unserer Geschichte gegen den Schooner »Halbrane« vertauscht worden war.

      Hurliguerly erfuhr gleich bei seiner Ankunft durch Fenimore Atkins, daß ich mit dem Kapitän Len Guy, wenn dieser damit einverstanden wäre, abzureisen gedächte. Ohne Vorstellung oder sonstige Umschweife trat der Hochbootsmann noch am ersten Nachmittage an mich heran. Er kannte bereits meinen Namen und begann ohne Zögern:

      »Guten Tag, Herr Jeorling!

      – Schönen Dank, guter Freund! antwortete ich. Was wünschen Sie?

      – Ihnen meine Dienste anzubieten...

      – Ihre Dienste?... Wozu denn?...

      – Nun, wegen Ihrer Absicht, sich an Bord der »Halbrane« einzuschiffen....

      – Wer sind Sie denn?

      – Der Hochbootsmann Hurliguerly, so bezeichnet und in der Stammrolle der Besatzung aufgeführt, außerdem ein getreuer Gefährte des Kapitän Len Guy, der gern auf ihn, das heißt auf mich, hört, obwohl er sonst dafür bekannt ist, daß er auf niemand hört.«

      Da kam mir der Gedanke, daß es gut sein möchte, mich dieses sich so gefällig erweisenden Mannes zu bedienen, der seinen Einfluß auf den Kapitän Len Guy gewiß nicht bezweifelte. Ich antwortete also:

      »Schön, lieber Freund, so sprechen wir darüber, wenn Sie Ihre Pflicht augenblicklich nicht in Anspruch nimmt.

      – Ich habe zwei Stunden freie Zeit, Herr Jeorling, und heute überhaupt nicht viel zu thun. Morgen sind einige Waarenballen zu löschen, etwas Proviant zu fassen... doch das ist für die Mannschaft so gut wie eine Ruhezeit. Im Fall Sie eben so frei sind... wie ich...«

      Dabei deutete er mit einer Handbewegung nach dem Hintergrunde des Hafens in einer Richtung, die ihm wohlbekannt zu sein schien.

      »Können wir denn nicht gleich hier miteinander reden? bemerkte ich, ihn zurückhaltend.

      – Reden, Herr Jeorling, stehenden Fußes reden... und das mit trockener Kehle, wo wir's so bequem haben, uns bei ein paar Tassen Thee mit Wisky in einer Ecke des »Grünen Cormoran« häuslich niederzulassen?...

      – Ich trinke keinen Wisky, Hochbootsmann.

      – Thut nichts... ich trinke für Zwei. O, glauben Sie nicht, es mit einem Trunksüchtigen zu thun zu haben!... Nein, niemals mehr als gerade genug, doch auch niemals weniger!«.

      Ich folgte dem Seebären, der offenbar im Fahrwasser der Schänken zu schwimmen gewöhnt war. Und während Meister Atkins auf dem Deck der Goëlette um Ein- und Verkaufspreise feilschte, nahmen wir im großen Zimmer seines Gasthauses Platz. Hier wendete ich mich an den Hochbootsmann mit den Worten:

      »Ursprünglich rechnete ich auf Atkins, die Vermittlung zwischen mir und Kapitän Len Guy zu übernehmen, denn er kennt diesen, wenn ich mich nicht täusche, ja sehr genau.

      – Pah! stieß Hurliguerly hervor. Fenimore Atkins ist ein ganz braver Mann und der Kapitän achtet ihn auch recht hoch. Mit mir kann er sich aber nicht messen. Lassen Sie mich die Sache ordnen, Herr Jeorling....

      – Macht sie denn so große Schwierigkeiten, Hochbootsmann, und giebt es keine freie Cabine am Bord der »Halbrane«? Ich begnüge mich ja mit der kleinsten und bezahle gern...

      – Sehr schön, Herr Jeorling! Wir haben am Ruff eine Cabine frei, die bisher niemand benützt hat, und wenn's Ihnen auf den Preis nicht zu sehr ankommt – im Fall das nothwendig wäre... doch, unter uns, man muß schon etwas pfiffiger sein, als Sie vielleicht glauben und als es mein alter Freund Atkins ist, um den Kapitän Len Guy zu bestimmen, einen Passagier aufzunehmen!... Ja, ich sage Ihnen, es gehört die ganze Verschlagenheit des gutmüthigen Kerls dazu, der jetzt gleich auf Ihre Gesundheit trinken wird und es nur bedauert, daß Sie ihm nicht Bescheid geben!«

      Und wie schaute mich da Hurliguerly mit dem rechten Auge an, während er das linke zukniff! Es schien, als ob alle Lebhaftigkeit, die in seinen beiden Augen wohnte, durch die Pupille des einen hervorstrahlte. Ich brauche wohl kaum zu versichern, daß das Ende dieser langen Phrase bis in ein frisches Glas Wisky reichte, dessen Vorzüglichkeit der Hochbootsmann gewiß zu schätzen wußte, da der »Grüne Cormoran« diesen Stoff ausschließlich aus der Cambüse der »Halbrane« bezog.

      Darauf zog der Teufelsbursche eine kurze schwarze Pfeife aus der Tasche, stopfte sie sorgsam, legte auch noch ein loseres Häuschen Tabak darüber, zündete sie an, nachdem er sie fest in die Lücke zwischen zwei Backenzähnen eingeschoben hatte, und hüllte sich nun, wie ein Dampfer bei voller Fahrt, in einen solchen Qualm, daß sein Kopf in einer blaugrauen Wolke fast verschwand.

      »Herr Hurliguerly?... begann ich wieder.

      – Herr Jeorling...

      – Warum sollte mich Ihr Kapitän denn abweisen?

      – Weil es ihm nie in den Sinn gekommen ist, Passagiere an Bord zu nehmen, und er bisher alle Gesuche dieser Art rundweg abgeschlagen hat.

      – Welchen Grund mag er aber dazu haben?

      – O, weil er sich in keiner Weise beschränkt sehen mag, weil er hinfahren will, wo es ihm gerade beliebt, jetzt plötzlich umzukehren oder wenn's ihm einfällt, nach Norden oder Süden, nach Westen oder Osten zu segeln, ohne