Stefan Wichmann

Dorin, der Erdwichtel


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      Sunny sah von einem zum anderen. Sie wusste, dass es viel besser ist, wenn nicht der Held von seinen Taten berichtet, sondern ein anderer. So war es ja auch bei den Erzählungen der Krieger am Lagerfeuer. Insgeheim wartete sie, dass Skalli seinen Freund gleich einbeziehen würde, sodass Dorin seinen Mut noch einmal selbst bekräftigen und davon berichten konnte, dass sie ihn fast erwischt hätten.

      Doch Skalli erwähnte Dorin mit keiner Silbe!

      Darüber ärgerte sich Sunny. Nüchtern gab der das Geheimnis der Alten preis, ohne auch nur mit einer Silbe Dorin zu erwähnen, der voller Ungeduld von einem Fuß auf den anderen trat! Auch dessen Miene verfinsterte sich zusehends.

      Endlich holte er Luft, um sich weiter selbst in Szene zu setzen.

      Sunny bemerkte es.

      „Wow“, unterbrach sie ihn, „Da muss ich gleich versuchen, etwas mehr von meiner Oma zu erfahren.“

      Ihr Blick fiel zu Dorin.

       „Mensch Dorin, was schaust du denn so miesepetrig?“

      Sie bot Dorin ihre Hand an.

       „Komm doch mit, dann können wir beide versuchen etwas von ihr zu erfahren!“

      Dorin wurde rot.

       „Ja, gern“, stotterte er.

      Skalli starrte beide sprachlos an. Es stand ihm im Gesicht geschrieben, dass er Sunny hatte beeindrucken wollen und jetzt verwirrt war, dass sie ihm nicht ihre Hand anbot.

      In diesem Augenblick erscholl ein Ruf quer über den Marktplatz: „Dorin! Komm und hilf mir mal!“

      Dorin stöhnte auf:

       „Mist!“

      Dann senkte er den Kopf und trottete zu seiner Mutter, die mit einem Korb vor dem kleinen Zelt stand und auf ihn wartete.

      Sunny lächelte Skalli an.

       „Komm Skalli.“

      Sie bot ihm die Hand.

       „Wenn du nicht so sauer dreinschaust, dann kannst du mit mir kommen!“

      Skalli stampfte seinen Fuß in den Boden und raunte.

       „Nee, lass mal.“ Offensichtlich wütend drehte er sich um und trottete in den Wald.

      Sunny nickte und murmelte:

       „So ist es, wenn man seinen Freund um seinen Ruhm bringen möchte. Man kann es nicht wirklich genießen.“

      Sie zuckte die Schultern und lief zügig nach Hause. Als sie die Zeltwand zur Seite schlug, drang ihr der köstliche Duft von gedünstetem Obst entgegen.

      „Hmmm! Das riecht aber lecker, Oma!“

      Die Oma schaute sie gespielt ernst an. Ein leichtes Lächeln huschte über ihr runzliges Gesicht, während ihre Mutter Brombeeren und Wurzeln im Topf umrührte.

      „Na, Sunny, was soll denn Oma für dich tun?“, fragte sie und blinzelte der Oma zu, die am Tisch Erdknollen schälte.

      Sunny setzte sich ganz dicht neben ihre Oma und flüsterte ihr zu:

       „Erzählst du mir eine Geschichte?“

      Die Oma schaute ihr liebevoll ins Gesicht: „Die Brombeeren, die deine Mutter dort mit den Wurzeln verrührt, schmecken nicht nur, sondern helfen sogar bei Fieber! Wusstest du das?“

      Sunny lächelte: „Und aus den Blättern kann man auch Tee kochen. Ach Oma, das weiß ich doch längst.“

      Sie stellte ihre Stimme tief und raunte: „Eine Geschichte von verbotenen und geheimen Abkommen?“

      Der Löffel im Topf klapperte und ihre Mutter drehte sich um: „Was hast du denn jetzt wieder aufgeschnappt, Kind?“

      Sorge lag in ihrer Stimme. „Ich kenne nur ein Abkommen und das ist ganz bestimmt nichts für Kinderohren!“ Jetzt hörte Sunny sogar einen wütenden Klang heraus.

      Die Oma reagierte nicht.

      „Du erzählst ihr nichts von den Geschichten!“ Die Stimme von Sunny’s Mutter überschlug sich schrill und sie beugte sich über den Tisch. Ihr Gesicht war nur noch eine Handbreit vom Gesicht der Oma entfernt: „Kein Wort“, zischte sie langsam und eindringlich.

      Die Oma schaute ihrer Tochter direkt in die Augen. Ihre Stimme war fest, als sie sprach: „Die Dinge nehmen ihren Lauf, wir können es nicht verhindern!“

      Mit diesen Worten stand sie langsam auf, während Sunny’s Mutter vor lauter Wut laut „Oooch“ machte.

      So standen die beiden Frauen voreinander und starrten sich an.

       „Auch du hast damals gefragt und ich habe es erzählt. Wissen kann nicht schaden!“

      Ihre Hand tastete nach dem Kopf Sunny’s.

      „Komm, lass und Beeren suchen gehen.“

      Tränen stiegen in die Augen von Sunny’s Mutter.

      „Wenn mein Mann noch leben würde, dann würdest du es nicht wagen!“

      Sunny fühlte sich unwohl. Was hatte sie nur angerichtet! Die Stimmung war so schnell umgeschlagen. Eben noch hatten die Beiden gescherzt und nun fochten sie einen Kampf aus, wann Wissen weiterzugeben sei.

      „Ich will es nicht mehr wissen“, log sie.

      Stille trat ein. Da kniete sich ihre Mutter vor ihr auf den Boden und hielt ihre Hände.

      „Es ist gut.“

      Eine tiefe Sorgenfalte hatte sich auf ihrer Stirn gebildet und sie rang nach Fassung.

      „Es ist schon gut, mein Kleines. Ich war nur nicht darauf vorbereitet, dass du es bereits jetzt erfahren wirst.“

      Mit einem Schwung nahm sie Sunny in die Arme und raunte ihr leise ins Ohr:

       „Du bist kein Kind mehr.“

      Dann sah sie Sunny wieder in die Augen.

      „Geht jetzt!“

      Schweigsam verließ Sunny mit ihrer Oma das Zelt. Sie fühlte sich unbehaglich und doch war sie gespannt auf die Geschichte. Mit ihrer Oma kam sie jedoch nur langsam voran und sie platzte doch fast vor Ungeduld! Schritt für Schritt ging ihre Oma über den großen Platz. Aus einem Baumwipfel heraus sang eine Nachtigall und Sunny freute sich über die schönen Töne des Vogels, der so gerne Beeren ist. Mit Mühe erreichten sie endlich den Rand des Marktplatzes. Sunny lief vor und machte es sich auf einem Baumstamm bequem. Immer noch lauschte sie den Tönen des Paradiesvogels und wartete.

      „Also, mein Kleines, es gibt ein Abkommen mit einem Volk, dass größer, aber nicht mächtiger ist, als wir es sind. Dieses Volk lebt in einer Welt, die so ...“

      Es knackte hinter ihnen und jemand machte laut:

       „Pssst!“

      Lenguja, der Schamane des Dorfes war hinter ihnen stehen geblieben. Mühsam drehte sich die alte Frau um.

      „Erzähl weiter“, drängte Sunny.

      „Du erzählst die verbotene Geschichte des Steines und von dem Abkommen?“, fragte Lenguja heiser.

      Sunny schaute von ihrer Oma zu Lenguja und wieder zurück.

       „Ich habe ein Gesicht gehabt“, sagte der Schamane, doch die Oma winkte ab.

       „Gesichter! Ha“, rief sie.

       „Ich bin alt, mir macht es keine Angst mehr mit euren Gesichtern!“ Lenguja kniff die Augen zusammen.

       „Ich habe ein Gesicht gehabt“, wiederholte er „und es nicht verstanden. Nun aber beginne ich zu verstehen!“

      Er schaute prüfend in Sunny’s Gesicht. Dann nahm er ihr Kinn in seine Hand und beugte sich vor.

       „Erforsche die Geschichte, aber sei vorsichtig. Alles wird sich zeigen.“ Er straffte