Michael Schenk

Sky-Navy 05 - Das schweigende Schiff


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den Äquator der Bugkugel. An seinen Seiten befanden sich die Tore, die zu verschiedenen Räumen führten. Obwohl der Gang nahe der Außenhülle lag, gab es keine Korridore, die in das Zentrum der Kugel führten. Es war eine Eigenheit der Hantelschiffe, dass der Kernbereich nur durch Tore in den innen liegenden Räumen erreicht werden konnte.

      In der Bugkugel befanden sich überwiegend die Aufenthaltsräume und Quartiere der Besatzung, Nahrungsmittellager und Wassertanks, die medizinische Abteilung, einige Labore und dergleichen. In zwei großen Depots wurden die bionischen Kunstwesen gelagert.

      An der Verbindung zum Mittelteil gab es auf dem Hauptdeck zwei Zwischenschleusen, die den Zutritt in die beiden gläsernen Gänge ermöglichten, die an den Außenseiten des Mittelteils entlang zur Heckkugel führten. Die Trennschotts des äquatorialen Rundgangs waren geschlossen. Über dem einen glühte ein warnendes Licht, dass jenseits des Tores Druckabfall signalisierte.

      „Wir sollten erst Rurod aus der Heilerabteilung befreien“, schlug Tisson vor. „Dann können wir jene Verletzten versorgen, die wir noch lebend vorfinden.“

      „Solange wir keine Energie bekommen wäre das Zeitverschwendung“, lehnte Buron ab. „Das Schiff geht vor, denn ohne das Schiff versagen wir alle.“

      Es gab keine Diskussion, denn die Entscheidung des Kommandanten stand fest. Sie wandten sich dem intakten Gang zu, der zum Heck führte.

      In ihren Helmen waren zunehmend die Stimmen von Überlebenden zu hören. Einige hatten sich mit eigener Kraft aus den verschlossenen Räumen befreit und halfen nun den anderen.

      „Kümmert euch um die Brände und Schäden“, befahl Buron ihnen über das Helmsprechgerät, „und redet nur, wenn es erforderlich ist. Euer Gezirpe hallt durch das ganze Schiff“, behauptete er, um seinen Unmut auszudrücken. „Vergeudet eure Kraft also nicht und konzentriert euch auf das, was getan werden muss.“

      Abgesehen von Toren, über denen das Warnlicht auf fehlende Atmosphäre hinwies, bekamen sie keine Schäden zu Gesicht, als sie durch den intakten gläsernen Gang liefen. Als sie durch die lange Front der Panoramascheiben hinaus blickten, sahen sie nur wenige Sterne, dafür jedoch einen gewaltigen Gesteinsbrocken, der nur wenige hundert Meter neben dem Schiff trieb.

      „Wir brauchen Energie“, sagte der Seher nervös. „Wir brauchen die Triebwerke.“

      Der Sprecher zirpte amüsiert. „Das ist die Absicht des Hoch-Wortes.“

      Sie erreichten den Äquatorgang der Heckkugel. Hier befanden sich die Lagerräume, Energiestationen und der große Maschinenraum im Zentrum, der sich über mehrere Decks erstreckte. Aufgrund der Nähe zur Energiequelle waren hier auch die Kälteschlafkammern installiert, zu denen eine kleine medizinische Abteilung gehörte.

      Am anderen Ende des gläsernen Gangs trafen sie auf ein weiteres geschlossenes Sicherheitsschott. Das Licht zeigte dahinter Atmosphäre, also öffneten sie. Nur wenige Meter entfernt befand sich das ebenso geschlossene Gegenstück. Sein Licht blinkte warnend.

      „Offensichtlich erreichen wir nun die Räume, in denen es keine Luft gibt“, stellte Buron fest. „Schließt das hintere Tor, damit die Luft aus der Schleuse abgelassen werden kann. Nun werden wir endlich sehen, was in der Heckkugel geschehen ist.“

      Im Licht ihrer Scheinwerfer öffnete Tisson die Klappe, hinter der sich die Hebel und Ventile der Notsteuerung verbargen. Augenblicke später war die kleine Schleuse luftleer und sie konnten das Tor zum anderen Bereich des Äquatorgangs öffnen. Hier gab es keine Notlichter, doch das war auch nicht erforderlich. Wenige Meter vor ihnen klaffte ein unregelmäßiges Loch in der Wandung des Mittelteils. Das Metall war von der Gewalt des Durchschlags extrem erhitzt worden und die Ränder glühten unheilvoll. Auf der gegenüberliegenden Seite führte ein mehrere Meter durchmessender Tunnel mit sanfter Steigung durch die Heckkugel hindurch. Streben und Rumpfplatten waren geborsten, zerstörte Versorgungsleitungen und Kabelstränge ragten dazwischen hervor. Auch hier waren Glut und sprühende Funken zu sehen.

      Buron erkannte mehrere große Blutflecken am Boden und am Rand des Tunnels. Sie waren das Einzige, was auf den Tod eines Besatzungsmitgliedes hinwies. Jenseits der Biegung des Gangs war unruhiger Lichtschein zu erkennen. Wenig später tauchten zwei Norsun in Raumanzügen auf.

      „Maasla“, stellte sich der eine vor.

      „Der niedere Kristallputzer“, erinnerte sich Buron. „Wie ich sehe hast du noch einen weiteren Putzer gefunden.“

      „Ich bin eine Hand und kein Kristallputzer“, protestierte der andere. Der Standesdünkel des Maschinisten gegenüber einfachen Hilfskräften war nicht zu überhören. Im Volk der Norsun war es weit verbreitet und wurde unterstützt, denn es spornte zu besonderen Leistungen und Aufstieg im hierarchischen System an.

      „Habt ihr einen freien Zugang zum Maschinenraum gefunden?“, fragte Buron.

      „Viele Zugänge, Herr“, behauptete Maasla. Obwohl er unter einer Hand stand, schien er der Wortführer der beiden Überlebenden zu sein. „Was uns traf, das hat ein langes Loch durch unser Schiff gegraben. Eine Seite des Maschinenraums wurde derart aufgerissen, dass wir ihn dort mühelos betreten können.“

      „Aber es ist gefährlich“, schränkte die Hand ein. „Scharfkantige Trümmer, zerfetzte Kabel, die noch unter Energie stehen…“

      Buron hob die Hand und gebot Schweigen. „Sehen wir uns dort um.“

      „Meine Hand folgt deinem Willen, Hoch-Wort“, versicherte der Maschinist zögernd.

      Kristallputzer Maasla schien über mehr Mut zu verfügen als sein Begleiter, denn er wandte sich bereits um und führte die Gruppe den zu einem der Tore des Maschinenraums. Dieses war aus seiner Führung gedrückt worden und ragte in den Gang hinein, die umgebende Wand war verzogen und wies Spuren auf, als habe man sie von der anderen Seite mit enormen Schlägen bearbeitet.

      Sie zwängten sich vorsichtig zwischen den Torhälften hindurch. Nach rechts erstreckte sich die schreckliche Wunde, die der Erzklumpen geschlagen hatte. Vor ihnen lag die Krümmung der Außenwand des Maschinenraums. Hier, in Höhe des Äquators, war sie aufgeschlitzt worden und man konnte zwischen den zerfetzten Metallrändern in den Maschinenraum hineinblicken. Die starken Lichtkegel der Scheinwerfer offenbarten, welcher Schaden dort entstanden war.

      Der Maschinenraum wies die Grundform einer Kugel auf und erstreckte sich über zwölf Decks. Im Abstand von drei Decks gab es eine umlaufende Galerie. Kern der Anlage war der aufragende Zylinder des riesigen Reaktors. Sein pulsierendes Leuchten war erloschen, denn mit den auftretenden Kurzschlüssen in den Hauptleitungen war es zur Notabschaltung gekommen. Um den Reaktor bildeten zwei Reihen schlanker Kristallsäulen einen doppelten Ring. In ihnen wurde jene Energie zwischengespeichert, die vom Reaktor produziert, aber nicht unmittelbar abgerufen wurde. Diese Kristallsäulen speisten auch das Transit-Triebwerk des Schiffes. Zwei der Säulen erstrahlten in hellem Blau und zeigten die volle Ladung an, drei weitere glommen schwach, die übrig dreißig waren matt und enthielten keine Ladung.

      Als sich die Katastrophe ereignete hatte keiner der Norsun im Maschinenraum seinen Anzug geschlossen. Alle dreiundfünfzig waren bei der explosiven Dekompression ums Leben gekommen. Der Luftsog hatte die meisten, ebenso wie fast alle losen Gegenstände, mit sich aus dem Schiff gerissen. Einige der Leichen waren zwischen Maschinenteilen verkeilt. Ihre aufgeplatzten Leiber wurden nur noch von den Anzügen zusammengehalten.

      Buron gab seinen Gefährten einen Wink, schaltete seine Magnete ab und ließ sich langsam durch den Riss in den Maschinenraum treiben. Nun gewann er einen besseren Überblick und was er sah, bestätigte seine schlimmsten Befürchtungen. Ein Teil der Anlage war durch Kurzschlüsse zerstört worden. In einem Umfang, der eine Reparatur unmöglich machte.

      „Hoch-Wort an alle Besatzungsmitglieder“, wandte sich Buron an die Überlebenden. „Das Bekämpfen der Kurzschlüsse hat oberste Priorität. Alle beschädigten Energieverbraucher sind von der Versorgung abzutrennen. Anschließend werden alle Hände die Schäden im Maschinenraum begutachten und beheben, soweit dies möglich ist. Lebenserhaltung und Schwerkraft haben Priorität. Ich erwarte in einem Kleinzyklus die Berichte der ausführenden