Azura Schattensang

Schattendrache


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sie nicht rasch etwas unternahmen, würde das gesamte Land in dem Flammen eines Bürgerkrieges untergehen. Für einen kurzen Moment schloss sie die Augen und versuchte ihre Gedanken zu ordnen. Schließlich hielt sie es auf dem Thron nicht mehr aus und erhob sich. Langsam schritt sie die wenigen Stufen zu dem alten Mann und seiner Enkelin hinab.

      „Welch eine furchtbare Geschichte“, sagte sie heiser und kniete neben dem Mädchen nieder, welches sie mit unverhohlener Neugier anstarrte. „Wurden viele bei dem Feuer verletzt?“

      Der alte Mann schüttelte den Kopf. „Glücklicherweise nicht. Aber die Menschen besitzen nun kein Dach mehr über dem Kopf. Einige konnten bei Freunden und Verwandten unterkommen, aber bei Leibe nicht alle.“

      „Und Ihr seid Euch sicher, dass das Feuer etwas mit dem Unruhestifter zu tun hat?“

      „Sicher können wir uns nicht sein, aber wir gehen davon aus.“ Unbehaglich verlagerte er das Gewicht von einem auf den anderen Fuß und sah zu Aurelia herab. Es schien ihm unangenehm zu sein, dass die Königin auf dem Boden kniete.

      Ein Räuspern neben dem Thron ließ Aurelia über die Schulter blicken. Arvid Nader saß an seinem Schreibpult und blätterte in einem der dicken Bücher, die sich rings um ihn herum stapelten.

      „Euer Majestät, dies ist nicht der erste Fall von dem wir hören. Die Hinweise verdichten sich zunehmend. Inzwischen können wir uns sicher sein, dass noch immer eine Rebellengruppe im Land agiert und dabei ist einen Bürgerkrieg zu entzünden.“

      „Das ist mir durchaus bewusst“, seufzte sie und wandte sich wieder dem Mädchen zu. „Wie heißt du, Kleines?“

      Dem Kind schoss die Röte ins Gesicht, als es schüchtern antwortete. „Meine Name lautet Mina.“

      „Ein sehr schöner Name. Und du wohnst bei deinem Großvater?“

      Das Mädchen nickte heftig.

      „Darf ich fragen, wo deine Eltern sind?“

      Mina sah Aurelia aus traurigen Augen an. „Meine Mama ist gestorben... und Papa... ist fortgegangen.“

      Erstaunt sah Aurelia zu Minas Großvater auf.

      „Mein Schwiegersohn hat den Tod meiner Tochter nicht verkraftet und – nun - es war besser, dass er ging“, erklärte er und legte seiner Enkelin eine Hand auf die Schulter.

      Aurelias Herz verkrampfte sich unangenehm in ihrer Brust, als sie über die Schulter zum Thron sah und Kyles Blick suchte. Er stand wie immer einen Schritt hinter dem wuchtigen Thron und beobachtete mit wachsamen Augen die anwesenden Personen. Zu ihrem Schutz hatte er mehrere dutzend Soldaten im Thronsaal postiert, wovon die Hälfte sich unbemerkt in den Schatten aufhielt. Sie würden jeden noch so kleinen Versuch eines Angriffs unterbinden. Doch trotz all dieser Vorkehrungen befand sich Kyle stets in höchster Alarmbereitschaft. Nach allem, was bisher geschehen war, konnte sie es ihm nicht verübeln. Dennoch wünschte sie sich, dass er etwas mehr Gelassenheit zeigen würde. Die dauernde Anspannung zehrte an seinen Kräften, auch wenn er es niemals zugeben würde.

      Aurelia konnte sich kaum vorstellen, wie es für ihn gewesen sein musste zu glauben, dass er sie für immer verloren hatte. Sie selbst konnte den Gedanken kaum ertragen, die Pfade der Welt möglicherweise eines Tages ohne ihn beschreiten zu müssen. In dieser Hinsicht empfand sie großes Mitleid für Minas Vater. Dennoch konnte sie nicht verstehen, wie man sein eigenes Kind zurücklassen konnte, egal wie sehr man unter dem Verlust seines geliebten Partners litt.

      Sanft strich sie dem kleinen Mädchen durch die braunen Haare. „Was möchtest du einmal werden, wenn du groß bist?“, fragte sie.

      Minas Augen begannen zu leuchten und sie lächelte. „Ich möchte gerne Heilerin werden!“ Dann verblasste ihr Lächeln. „Aber daraus wird wohl leider nichts. Großvater sagt, die Ausbildung können wir uns nicht leisten. Dafür müsste ich erst zur Schule gehen und Rechnen und Schreiben lernen, aber...“ Sie ließ den Kopf hängen und krallte die Finger in den Saum ihres Hemdes.

      Aurelia biss sich auf die Lippen und stand auf. „Ich danke Euch, dass Ihr heute hierher gekommen seid. Ich werde mich um Euer Anliegen kümmern. Ihr dürft nun gehen“, sagte sie an Minas Großvater gewandt und entließ ihn mit einem Kopfnicken. Das Mädchen ergriff die Hand ihres Großvaters und folgte ihm hinaus. Beim Gehen wandte sie sich noch einmal um und sah Aurelia aus großen runden Augen an.

      Als sich die Tür hinter den beiden schloss, setzte sich Aurelia schwer auf den Thron und vergrub das Gesicht in den Händen. „Wie viele kommen noch?“

      „Nicht mehr viele, Euer Majestät. Es dürften nur noch fünf Personen sein“, meinte Arvid und überflog eine Liste.

      „Für heute Nachmittag berufe ich ein Treffen ein. Anwesend zu sein haben neben Euch, Constantin Korell, Sharon Quoos, Schatzmeister Ludbrock und Norwin Wehyers“, sagte sie durch ihre Hände hindurch.

      Arvid Nader hob erstaunt eine dunkle Braue. Selbst Kyle wirkte überrascht.

      „Was hast du vor?“, fragte er erstaunt.

      „Ich werde mein Amt als Königin nutzen und einige Veränderungen bringen“, erwiderte sie. Dann nahm sie die Hände von ihrem Gesicht und straffte die Schultern. Noch war die Zeit zum Ausruhen nicht gekommen.

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      Schatzmeister Ludbrock saß tief über seine Bücher gebeugt und schob sich in regelmäßigen Abständen seine Lesegläser auf der Nase zurecht. Arvid Nader saß neben ihm und studierte einige Listen. Sharon und Constantin hatten es sich an einem der Fenster gemütlich gemacht, während Norwin in einem der Sessel lümmelte. Alle warteten darauf, dass Aurelia zu ihnen stoßen würde, nachdem sie sie so überraschend zusammen gerufen hatte. Endlich öffnete sich die Tür und Aurelia betrat, dicht gefolgt von Kyle, den Raum. Norwin zuckte erschrocken zusammen und setzte sich auf.

      „Du hast uns rufen lassen“, sagte er und verschränkte die Hände ineinander.

      „Ich habe einige dringende Angelegenheiten mit euch allen zu besprechen“, erwiderte sie und baute sich vor dem Schatzmeister auf. „Zunächst einmal benötige ich aber einige Kalkulationen.“

      Der Schatzmeister sah sie abschätzig von unten herauf an und schob sich seine Lesegläser dichter an die Augen. „Wofür genau, Eure Majestät?“

      „Ich möchte die allgemeine Lehre in unserem Land reformieren“, sagte sie.

      Sharon sah Aurelia interessiert an. „Wie kommst du auf diese Idee? Nicht, dass ich sie nicht begrüßen würde.“

      „Mir schwebte dies schon länger vor, nur war ich in der Zwischenzeit mit wichtigeren Dingen beschäftigt. So geriet es etwas in Vergessenheit“, erklärte sie und spielte damit auf ihre Nachforschungen in Thyrr an. In der dortigen Akademie für Zauberei hatte sie lange nach einem Weg gesucht, den Schattenkönig für immer zu vernichten.

      „Es hat nicht zufällig etwas mit dem kleinen Mädchen von heute morgen zu tun?“, warf Arvid Nader ein.

      Aurelia sah ihn finster an. „Selbst wenn es so wäre...“, sagte sie grollen und wandte sich an Sharon. „Wie wird die schulische Ausbildung in Arthenholm gehandhabt?“

      „Nun, jedem Kind steht es offen eine Schule zu besuchen, sofern die Eltern das Schulgeld bezahlen.“ Sie legte einen Finger an ihr Kinn. „So weit ich weiß, ist die Höhe des Schulgeldes vom Lohn der Eltern abhängig. Es wird versucht, eine gewisse Gleichberechtigung herzustellen.“

      Aurelia verschränkte die Arme vor der Brust und runzelte die Stirn. „Das ist eine Möglichkeit... aber ich will einen anderen Weg gehen. Ich möchte, dass jedes Kind in Canthan zur Schule gehen kann. Egal, ob dessen Eltern reich oder arm sind. Alle sollen die gleichen Chancen haben.“

      „Das ist ein edles Ansinnen, Euer Majestät. Aber wie soll das realisiert werden?“ Schatzmeister Ludbrock nestelte an seiner Feder und betrachtete Aurelia aus schmalen Augen.

      „Dafür