Thomas Pfanner

Das große Geheimnis


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nach der Eheschließung ausgewandert.«

      »Ausgewandert?« unterbrach sie ihn, »wohin denn?«

      »Das hätte ich dir schon gesagt, wenn du mich nicht unterbrochen hättest. Nun, sie sind nach Israel ausgewandert, ziemlich ungewöhnlich für Deutsche. Sie blieben genau sieben Jahre, dann kamen sie zurück.«

      »Aha. Dann kannst du mir sicher erzählen, warum es mir nicht gelungen ist, diese Familie zu finden. Beim Einwohnermeldeamt ist immer noch die alte Adresse verzeichnet, unter der sie sich nach der Vermählung angemeldet haben.«

      Sie sah ihn auffordernd an. Schmickler wiegte den Kopf bedächtig, kaute auf der Unterlippe und schielte auf seinen Monitor. »Sie haben den Namen geändert.«

      »Den Namen geändert? Wie? Wann? Warum? So was gibt es doch im deutschen Namensrecht gar nicht.«

      »Gibt es doch. Das Namensrecht wurde modernisiert. Man kann seit einigen Jahren einen anderen Nachnamen annehmen, wenn er in der Familien-Historie schon mal vorgekommen ist.«

      Sie schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn: »Schmicki, nun reiß dich mal zusammen. Deine Nervosität macht mich rasend. Das ist doch keine Sache, bei der man den Tatter kriegen muss. Jetzt noch mal ganz langsam: Wie ist das mit dem modernen Namensrecht?«

      Er beschloss tatsächlich, sich zu konzentrieren. Katja sollte nicht auf dumme Gedanken kommen. Also musste er sie weiter einnebeln. »Du sitzt auch wirklich sehr dicht bei mir. In meinem Dasein als asketischer Mönch, der nur seine Maschinen kennt, bin ich ziemlich empfindlich gegen stark parfümierte Wuchtbrummen.«

      Halb besänftigt knurrte sie gespielt drohend: »Wenn ich es mir überlege: Es stimmt. Du hast seit Jahren keine Freundin mehr gehabt. Bilde dir aber bloß nicht ein, dass ich dir auf dem Gnadenweg aus deiner Not helfe. Also los, noch mal von vorne.«

      Erleichtert ging er zu den Erklärungen über.

      »Nun, man kann heutzutage auf besonderen Antrag einen anderen Namen annehmen. Da gibt es verschiedene Gründe, die akzeptiert werden, in diesem Fall ist aber folgende Möglichkeit relevant. Man nimmt einen Namen an, der vor langer Zeit bereits einmal von einem Vorfahren in direkter Linie geführt wurde.«

      »So?«

      »Ja, sicher. Das Witzige daran ist, dass diese Möglichkeit geschaffen wurde, um den Reichen und Schönen in diesem Land entgegen zu kommen. Speziell der deutsche Adel fand es recht blöd, dass die Frauen bei Heirat den bürgerlichen Namen des Mannes annehmen mussten und so ihren klingenden Edelnamen verloren. Also schuf man die Möglichkeit einer Rückübertragung des Namens, mit dem kleinen Effekt, dass der bürgerliche Gatte plötzlich auch ein Von-und-zu wurde. Inflation sozusagen, denn nun bleibt der Name und wird munter weitergegeben.«

      »Und was genau ist daran witzig? Diese Maria hat keinen Adelstitel.«

      »Schon. Aber der Nachname Bauer wurde geändert in Agricola. Das ist lateinisch und bedeutet: Bauer! Bauer ist auch das ziemliche Gegenteil von Graf, mithin hat sich so der unterste Prolet eine Regelung zu Nutze gemacht, die für feinere Leute bestimmt war. Aber mit dem Namen Agricola sichert man sich ein Odium der besseren Herkunft. Das ist schon witzig.«

      Katja lehnte sich zurück und dachte nach. Dann wandte sie sich wieder an Schmickler: »Agricola, ja? Wirkt auf mich wie ein Rätsel für Insider. Ein wirklicher Identitätswechsel wird jedenfalls anders gemacht.«

      »Wie man es nimmt. Das Ehepaar hieß jedenfalls weiterhin Bauer. Nur die Tochter wurde umbenannt.«

      »Was? Was soll das denn? Wieso waren sie dann nicht polizeilich gemeldet?«

      Jetzt wurde es spannend. Schmickler suchte sich seine Worte sorgfältig aus.

      »Lass es mich so ausdrücken. Es hat ihnen jemand geholfen.«

      »Ja. Und? Immer hilft jemand jemand anderem. So funktioniert die Gesellschaft. Über die Helfer findet man dann am Ende solche Leute.«

      »Oh Katja, für eine ehemalige Polizistin, die zu ihrer Glanzzeit jeden Fall lösen konnte, redest du hier aber ein bisschen sehr unbedarft. Ich rede hier von Helfern, an die man nicht so ohne weiteres herankommt.«

      »Ah ja? Terroristen? KGB?«, erwiderte sie schnippisch. Sie mochte es gar nicht, an glanzvolle Zeiten erinnert zu werden. Seit der Begebenheit mit dem Bischof galt das nichts mehr. Vor zwei Jahren hatte sie einen durchgedrehten Rächer dazu ermuntert, seinem Opfer, eben jenem Bischof, ins Bein zu schießen. Damit hatte sie ihm das Leben das Leben gerettet, nur leider hatte der Würdenträger keinerlei Dankbarkeit gezeigt. Seitdem schlug sie sich als Detektivin durchs Leben.

      »Nahe dran, unser eigener bundesdeutscher Nachrichtendienst. Die haben höchstselbst frische Papiere ausgestellt.«

      Nun staunte Katja doch und vergaß sogar, Schmickler wegen seiner offenen Worte eins auszuwischen.

      »Alter Schwede! Dann sind die Leute doch bedeutend. Umsonst macht sich unser Staat nicht die Mühe, jemanden zu schützen. Was haben die denn ausgefressen? Handelt es sich bei denen etwas um Spione?«

      »Ich glaube nicht. Jedenfalls habe ich nichts dergleichen finden können. Und ganz sicher trifft dieser Verdacht nicht auf das Kind zu. Die Eltern sind schließlich tot, und für Tote interessiert sich niemand.«

      Katja lehnte sich grübelnd zurück.

      »Da muss ich dir recht geben, leider. Andererseits halte ich es für ein ziemlich sicheres Alarmzeichen, wenn niemand über diese Leute etwas weiß. Gäbe es kein Geheimnis, würde man etwas finden können. Irgendetwas, normale Menschen hinterlassen doch Spuren, sie kaufen und verkaufen, gehen mit Behörden und Banken um, sterben eventuell. Hey, das ist es. Gibt es Gräber?«

      Schmickler wiegte unbehaglich den Kopf und starrte auf den Monitor, während er leise antwortete: »Cha sgeul-rùin e 's fios aig triùir air. Altes irisches Sprichwort. Bedeutet so viel wie: Wenn es drei wissen, ist es kein Geheimnis mehr. Nach dieser Maßgabe müssen ein paar Leute in diesem Fall vorgegangen sein. Der zuständige Mann beim Geheimdienst ist nämlich zufällig nicht mehr auffindbar. Aber wenn man tief genug gräbt, findet sich immer ein kleiner Zipfel der Wahrheit. Den glaube ich gefunden zu haben. Da gibt es nämlich einen kleinen Dorffriedhof in einem kleinen Dorf, Roisdorf bei Bonn, hinter einem kleinen Altenheim.«

      »Bei den sieben Zwergen hinter den sieben Bergen«, unterbrach Katja unwirsch, »komm mal zum Punkt, Schönster.«

      »Nun, dort sind die Eltern begraben. Der Trick ist, dass du das Grab des Ehepaares nicht so leicht finden wirst.«

      »Du hast doch gerade gesagt, dass dieser Friedhof zwergenhafte Ausmaße hat. Wo also ist das Problem? Ist da alles überwachsen, oder was?«

      »Nein, im Gegenteil. Da ist alles wunderbar gepflegt, wirklich gut. Der Haken besteht in den Namen der Beerdigten.«

      Wieder einmal nervte sie seine umständliche Art, vom Hölzchen aufs Stöckchen zu kommen.

      »Oh Schmicki, nun mach mal. Das ist ja nicht auszuhalten.«

      Sie hasste es, wenn Männer um den Brei herum redeten, vor allem deshalb, weil in diesen Fällen immer ein dickes Ende bevorstand. Sie verspürte keine Lust auf schlechte Neuigkeiten, die mit reichlich Gedruckse nur noch schlechter werden konnten.

      »Schon gut, es ist nur so, dass jeder auf diesem Friedhof Bauer heißt. Wirklich jeder, etwa 120 Leute. Das wird richtig schwierig.«

      »Na, das nenne ich mal eine Neuigkeit. Mhm.«

      Sie dachte eine Weile nach, kritisch von Schmickler beobachtet. Schließlich gab sie sich einen Ruck: »Schön, das muss ich mir persönlich ansehen. Hast du sonst noch was für mich? Ist eigentlich bekannt, wann genau und woran die Eltern gestorben sind?«

      »Bedingt. Auf dem Grabstein wird das Datum draufstehen, weitere Informationen habe ich nicht finden können. Nur diese Notiz im Zentralcomputer unserer Vaterlandsbewahrer, in der als letzter Verbleib dieser Friedhof erwähnt wird.«

      »Wundervoll. Todesursache also nicht bekannt?«

      »Nein,