Irene Dorfner

Todesursache: Mord


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Unterlagen und besah sich die Fotos sehr genau. Dabei runzelte sie mehr und mehr die Stirn, was Leo sehr gefiel. Christine schien etwas entdeckt zu haben. „Gut. Wo ist die Leiche?“ fragte sie schließlich.

      „Das kann ich erst morgen herausfinden.“

      „Steht eine Verbrennung an oder ist eine Erdbestattung geplant?“

      „Keine Ahnung.“

      „Gehen wir vom ungünstigsten Fall einer Verbrennung aus. Die Frau ist gestern verstorben und der heutige Tag ist bereits gelaufen. Wir haben also nur zwei Tage Zeit, um uns die Leiche vorzunehmen. Verdammt knapp.“

      Hans war irritiert, denn noch hatte er nicht verstanden, warum Christine hier war und was sie und Leo vorhatten. Langsam verstand er und ihm wurde schlecht.

      „Ihr wollt doch nicht…Sagt mir nicht, dass ihr die Leiche…“

      „Junger Freund,“ sagte Christine an Hans gewandt, der nur wenige Jahre jünger war als sie. „Du zweifelst an einem natürlichen Tod. Es liegt auf der Hand, dass ich mir die Leiche ansehen muss, um die Todesursache herauszufinden. Was dachtest du denn?“

      „Eine Obduktion? Wo? Wie?“

      „Das Wie ist kein Problem, ich bin voll ausgerüstet und habe alles mitgebracht. Und das Wo werden wir schon noch klären. Irgendwo werden wir schon ein geeignetes Plätzchen finden.“

      „Aber das ist doch illegal! Wenn das einer rausfindet, können wir alle unsere Jobs vergessen!“

      „Das ist mir klar. Dir nicht?“

      Hans war sprachlos und sah Leo an. Auch ihm war das Risiko also bewusst, das die beiden für ihn und für die Aufklärung der Todesursache seiner Doris eingingen.

      „Nein, das kann ich nicht erlauben,“ sagte Hans bestimmt. „Ihr könnte eure Jobs nicht wegen mir aufs Spiel setzen. Das ist meine Angelegenheit und ich werde ab sofort alleine ermitteln.“

      Statt einer Antwort lachten Leo und Christine.

      „Dazu ist es jetzt zu spät, junger Freund. Wir sitzen in einem Boot. Wir ziehen die Sache entweder gemeinsam durch, oder lassen sie fallen. Entscheide dich!“ Christine trank einen Schluck Wein und sah Hans an. Sie konnte sehen, wie er innerlich mit sich kämpfte.

      „Ich danke euch,“ sagte er nur.

      „Gut, dann wäre das geklärt. Ich für meinen Teil bin hundemüde und möchte so schnell wie möglich ins Bett. Morgen liegt viel Arbeit vor uns, dazu sollten wir alle ausgeschlafen und fit sein. Wo ist mein Bett? Wo kann ich schlafen?“

      „Mein Schlafzimmer steht dir zur Verfügung, ich schlafe auf der Couch. Aber erst muss ich noch das Bettzeug frisch beziehen.“

      „Spar dir die Arbeit. Die lange Fahrt ist für eine Frau in meinem Alter ganz schön anstrengend, zumal ich in der Dunkelheit nicht sehr gut sehe. Ich leg mich sofort hin. Gute Nacht.“

      Leo hatte ihr gesamtes Gepäck bereits im Schlafzimmer abgestellt. Ohne ein weiteres Wort war Christine verschwunden.

      „Es ist unfassbar, was ihr für mich aufs Spiel setzt.“

      „Dazu sind Freunde da. Hör auf darüber nachzugrübeln. Wir wissen um die Risiken. Wir sind alt genug und haben uns entschieden, dir trotzdem zu helfen. Ich denke, Christine hat Recht, für heute ist es genug.“

      „Stimmt. Und wenn ich mir die beiden leeren Rotwein-Flaschen so ansehe, ist es auch ratsam, dass ich nicht mehr mit dem Auto fahre und bei Tante Gerda übernachte. Zum Glück hat die Gute immer ein Bett für mich frei.“ Inständig hoffte er darauf, endlich etwas Schlaf zu finden. Seit er vom Tod seiner Doris erfahren hatte, konnte er kein Auge zutun.

      Christine schnarchte bereits selig, als es sich Leo auf seiner Couch gemütlich machte. Trotz der Umstände bezüglich des Todes von Hans‘ Freundin war er überglücklich, dass er seine Freundin endlich wieder an seiner Seite hatte und schlief selig ein.

      2.

      Um 6.30 Uhr rief Tante Gerda. Sie freute sich über den unerwarteten Besuch und hatte für alle Frühstück gemacht, was freudig angenommen wurde. Christine war ein Morgenmuffel und heute ganz besonders mies gelaunt, da sie nach eigenen Aussagen überhaupt nicht geschlafen hatte. Eine glatte Lüge, denn Leo hatte sie selbst schnarchen gehört, und das mehrfach.

      Hans sah schlecht aus, er hatte tiefe Ringe unter den Augen. Trotz des Rotweins hatte er nur sehr wenig geschlafen. Die Gedanken an Doris und das schlechte Gewissen wegen Leo und Christine, die wegen ihm viel riskierten, ließen ihn nicht zur Ruhe kommen. Sobald er die Augen schloss, tauchten Bilder und Szenen von seiner Doris auf, die so lebendig und real waren, dass er sie beinahe greifen konnte. Er hatte sich dazu durchgerungen, Tante Gerda einzuweihen und ihr die ganze Geschichte zu erzählen. Warum sollte er sie nicht einweihen?

      Tante Gerda war sehr betroffen und bot selbstverständlich ihre Hilfe an.

      „Bitte sag mir sofort, wenn du meine Hilfe brauchst, egal, was es ist. Du tust mir so unendlich leid. Ich hätte deine Freundin gerne kennengelernt, sie war bestimmt ein ganz besonderer Mensch.“

      Obwohl sich Tante Gerda alle erdenkliche Mühe gab, es Christine Recht zu machen, war diese wortkarg und mürrisch. Beim Trinken des Kaffees verzog sie angewidert ihr Gesicht und nachdem sie den Brotkorb lange inspiziert hatte, entschied sie, nichts zu essen. Was war los mit ihr? Auch bei den Unterhaltungen beteiligte sie sich nicht, ganz egal, welches Thema sie auch anschlugen. Sie starrte nur vor sich hin, obwohl jeder bemüht war, sie ins Gespräch zu integrieren. Leo war gar nicht wohl; er musste mit ihr ein ernstes Wort sprechen, denn in wenigen Minuten mussten er und Hans zur Arbeit fahren. So konnte er die beiden Damen unmöglich sich selbst überlassen. Er hatte Angst um Tante Gerda, denn dieser warmherzige, liebevolle Charakter war Christine hilflos ausgeliefert. Unruhig rutschte er auf seinem Stuhl hin und her. Er überlegte, ob es wirklich eine so eine gute Idee war, dass er sie um Hilfe bat und sie nun hier war.

      „Christine, ich möchte mich mit dir unterhalten – unter vier Augen.“ Leo war aufgestanden und ging zur Tür.

      Diese sah ihn nur an und machte keine Anstalten, ihm zu folgen. Die Stimmung war sehr angespannt.

      „Würdest du bitte mitkommen?“ wiederholte Leo.

      Wieder sah sie ihn nur an und lehnte sich zurück.

      „Du hast dich verändert Leo. Du bist weich geworden und nicht mehr so gerade heraus, wie ich es immer an dir geschätzt habe. Wenn du mir etwas zu sagen hast, dann sag es, und zwar hier vor deinen Freunden. Ich werde mit Sicherheit nicht in die Kälte rausgehen. Also, raus mit der Sprache.“

      Diese Frau reizte ihn bis aufs Blut und er entschied, ihrem Wunsch zu entsprechen.

      „Wie du willst. Ich finde, du benimmst dich Tante Gerda und Hans gegenüber sehr unhöflich und ich verstehe nicht, warum du das machst. Ich kenne dich ganz anders. Ich habe Angst, euch beide hier alleine zu lassen, denn Tante Gerda ist dir nicht gewachsen. Was ist nur los mit dir?“

      Ihm pochte das Herz bis zum Hals. Er konnte nicht einschätzen, wie sich Christine nun verhalten würde. Auf der einen Seite freute er sich sehr, sie wiederzusehen und sie brauchten ihre Hilfe. Aber auf der anderen Seite schämte er sich auch für ihr Verhalten; so mochte er sie überhaupt nicht.

      „Jetzt bist du wieder so, wie ich dich kenne Leo: Ehrlich und gerade heraus. Ich mag es nicht, wenn man mir Honig ums Maul schmiert und herumschleimt, sondern die Dinge beim Namen nennt. Wir bewegen uns hier alle, und damit ist Tante Gerda eingeschlossen, auf sehr, sehr dünnem Eis und wir müssen uns alles sagen können und dürfen. Es hat mich sehr bestürzt, dass Hans seine Tante erst jetzt von der Geschichte unterrichtet hat und dass wir uns hier beim Frühstück über absolut banale und unwichtige Dinge unterhalten, wenn weit Wichtigeres ansteht. Gerda, ich lass die Tante weg und werde Sie einfach duzen,“ wandte sie sich nun an die 72-jährige Frau, die hier in Rüschenbluse und Latzjeans am Tisch saß, „du kannst mich nicht täuschen. Du