Thomas Pfanner

Unternehmen Stunde Null


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Adrenalin im Blut, ohne zu zucken erwiderte er das Feuer, auf den Angreifer weiter zustürmend. Drei Mal feuerte er, dann war das Magazin leer. Er sah die Feuerblumen aus dem Lauf des Gegners schießen, spürte jedoch keinen weiteren Luftzug. Ohne zu zögern, ohne langsamer zu werden klickte er das Magazin aus, riß eines der mitgenommenen frischen Magazine aus der Hosentasche und rammte es unbarmherzig in die Glock. Durchladen und feuern wurden eins, der letzte Meter zwischen sich und dem Gegner reichte für eine weitere Kugel. Der bärtige Mann taumelte zurück, seine Waffe am ausgestreckten Arme pendelte hin und her in dem Bemühen, endlich einen Treffer zu landen. Den Mund weit aufgerissen präsentierte er Johenn das geeignete Ziel. Die Kugel fuhr dem Angreifer in den Rachen und trat am Übergang zwischen Halswirbelsäule und Hirnschale aus, eine kleine Schar Knochensplitter und Gewebsfetzen mit sich nehmend. Der Mann sackte zusammen wie eine Gummipuppe, der man die Seite aufgerissen hatte.

      Melissas Klasse war nicht mehr weit weg. Johenn sprang über den Toten und setzte seinen Weg fort. Da, die Klasse. Ein Schatten sprang heraus, groß genug, um Zweifel zu unterbinden. Der Schatten führte zwei Pistolen mit sich, Johenn sah es und krümmte gleichzeitig den Zeigefinger, so schnell wie nur möglich. Die alte Panik wollte ihn verschlingen, als die ersten beiden Kugeln vorbei flogen, doch bereits der dritte Schuß traf ins Gesicht. Er bemerkte es erst, nachdem er vier weitere Kugeln in den fallenden Leib gefeuert hatte. Vorbei an dem Toten umkurvte er die Türzarge und nahm einen weiteren Attentäter ins Visier. Und hielt erschreckt inne.

      Ein wahrer Alptraum offenbarte sich ihm. Dieser Kerl wollte nicht kämpfen, er bediente sich der uralten Methode der Geiselnahme. Zwischen der Tafel und dem in der Ecke stehenden Skelett lehnte er an der Wand, eine riesige Desert Eagle auf den Kopf eines Mädchens gerichtet. Er kannte sie, Aylin, die türkische Freundin seiner Tochter. Aylin befand sich in einer Art Schreckstarre, alle Glieder steif und unbeweglich, die Augen weit aufgerissen, flacher Atem, kalkweißes Gesicht. Der Attentäter das genaue Gegenteil, hyperaktiv, extrem nervös und aggressiv. Er schrie ihn an, laut und unbeherrscht, wodurch reichlich Speichel auf seine Geisel gespuckt wurde. Johenn verstand ihn nicht, konnte noch nicht einmal bestimmen, um welche Sprache es sich handelte. Der Kerl hörte einfach nicht auf zu schreien, bewegte sich aber auch nicht weg. Ein perfektes Patt. Johenn ging einen Schritt zurück und begann konzentriert langsam ein und auszuatmen. Er mußte von seinem Berserker-Trip herunter und ein paar klare Gedanken fassen. Zum ersten Mal fand die Frage Platz in seinen Gedanken, was diese Typen eigentlich für eine Sorte Attentäter waren. Sie sahen aus wie Islamisten, doch dafür gingen sie zu planlos vor. Vor allem hielt der übliche Islam-Terrorist einen Plan B in der Hinterhand, eine Bombe, Handgranaten, Gift, irgend etwas. Diese Sorte Angreifer war darauf vorbereitet zu sterben. Keinesfalls würden sie sich ihren Ausweg freizupressen versuchen wie dieser Typ da. Johenn musterte seinen Gegenspieler eine Sekunde lang. Der Vollbart schien gut gepflegt zu sein, ebenso wie der ganze Mann, ein kleines Bäuchlein wölbte sich unter dem Militärhemd hervor. Überhaupt, das Hemd, jetzt fiel ihm auf, was damit nicht stimmte. Es war bedruckt, nicht bemalt. Die arabischen Zeichen waren Bestandteil des Hemdes, ein Großserienprodukt. Johenn hob den Blick und erinnerte sich wieder an die grundlegenden Lektionen in Gefechtsfeld-Taktik. Stillstand bedeutet Niederlage. Keine Pause für den Feind, in den Pausen kann er sich was ausdenken, auf das du nicht kommst. Regel Nummer eins: Die Initiative behalten.

      Johenn durchlebte eine weitere schreckliche Sekunde auf der Suche nach einem Plan. Natürlich konnte er einfach schießen und das Beste hoffen. Oder ein Schwein sein und den Kerl durch Aylin hindurch erschießen. Beides schied aus. Er konnte es nicht, weil es sich wieder einmal sehr plastisch ausmalen konnte, wie ein Fehlschlag aussehen würde. Der zerplatzende Kopf der Schülerin, ein letztes Triumph-Geheul des Attentäters. Unmöglich.

      In diesem Moment erinnerte er sich an einen Comic-Helden aus seiner Jugend. Ja, das könnte klappen. Jetzt wußte er, warum er den Trommelrevolver mitgenommen hatte. Ein Trommelrevolver eignete sich für einen langwierigen Häuserkampf überhaupt nicht, für das Folgende dagegen schon.

      Johenn atmete durch und… lächelte. Die Glock wechselte in die linke Hand und mit der rechten zog er den Trommelrevolver heraus. Der Attentäter verstummte augenblicklich, blieb hypernervös, beobachtete aber aufmerksam, welchen Taschenspielertrick sein Feind wohl versuchen würde. Johenn senkte den linken Arm und ließ die Waffe fallen. Auf einer zweiten Denkebene betete er inständig um das Glück, den wirklich letzten Attentäter vor sich zu haben. Gleichzeitig bewegte er den ausgestreckten rechten Arm zur Seite, bis der Revolver rechtwinklig zum Attentäter an die Seitenwand zeigte. Dann kam der Zaubertrick. Johenn löste den Klammergriff um die Waffe und ließ sie um den Zeigefinger rotieren, ballte die anderen drei Finger zur Faust. Der Revolver hing nutzlos am Zeigefinger. Der Attentäter schaute eine subjektiv unglaublich lange Zeit, bis er schließlich den Mund aufmachte. Immer noch gehetzt und mit hoher Stimme, aber immerhin in verständlichem Deutsch haspelte er ein »Ich werde jetzt gehen!« herunter und richtete sich an der Wand auf, seine Geisel fester in den Griff nehmend. Das konnte Johenn nicht zulassen.

      »Wen willst du lieber töten? Ein islamisches Mädchen oder einen gottlosen Deutschen?«

      Der Mann schnaubte wild.

      »Ihr seid alle Gottlose. Eine Hure, die in einem sündhaften Land auf eine christliche Schule geht, um die wahre Sünde zu lernen. Eine Frau zählt nichts, eine ungläubige Frau zählt noch viel weniger.«

      Der Attentäter wollte den ersten Schritt machen und tatsächlich mit seiner Geisel verschwinden. Johenn hatte genug Filme gesehen um zu wissen, wie die Veranstaltung enden würde. In der Tür würde der Kerl das Mädchen töten und anschließend auf ihn schießen. Anders funktionierte eine derartige Flucht nicht. Er mußte ihn provozieren. Womit konnte man einen Araber provozieren?

      »Nim'as li, miflezet.«

      Der Kerl hörte unvermittelt auf zu atmen, seine Augen wurden riesig und in beeindruckendem Tempo färbte sich der trotz Bart sichtbare Teil des Gesichtes tiefrot.

      »Wer bist du?«

      Es war soweit. Johenn spannte sich, konzentrierte sich mit allem, was er noch aufzubieten vermochte, auf die Eagle, achtete nicht auf den Rest des Kerls, während er die Antwort gab. Sein Kontrahent verstand hebräisch. Ein Araber, der hebräisch verstand, würde auch die folgenden Worte korrekt einordnen können. Und hoffentlich total ausflippen.

      »Hal-Lischka le-Kischrej Mada.«

      Er tat es. Wie erhofft vergeudete der Attentäter wertvolle Zeit, indem er seine nächste Handlung mit einem Schrei ankündigte. Erst danach kam Bewegung in die Desert Eagle. Es mußte eigentlich gegen das Ehrgefühl jedes arabischen Attentäters verstoßen, sich mit einer Waffe auszurüsten, die in Israel entwickelt worden war. Wirklich tragisch wurde für ihn die Unkenntnis über im echten Kampf auftretenden Tücken dieser Waffe. In Hollywood-Filmen war es die bevorzugte Waffe der Helden, weil sie groß und furcheinflößend daherkam. Im richtigen Leben war die Eagle nichts weiter als eine Sportpistole, zu groß und vor allem zu schwer für einen ernsthaften Gebrauch. Das merkte der Attentäter, als er versuchte, die Eagle so schnell wie möglich auf Johenn zu richten. Die riesige Pistole zeigte hierbei eine erschreckende Trägheit. Diese Trägheit ermöglichte Johenn erst seinen Taschenspielertrick, der eine ganze Sekunde beanspruchte. Ruckartig öffnete er seine Faust. Die drei Finger prallten mit großer Wucht auf den herabhängenden Revolver und übertrugen ihr Bewegungsmoment auf die Waffe. Sie rotierte schnell um den Zeigefinger und wurde von den nun ausgestreckten Fingern aufgehalten, genau in der richtigen Position. Gleichzeitig riß Johenn den Arm auf den Attentäter zu. Dann bewilligte er sich eine halbe Sekunde für sorgfältiges Zielen. Der Attentäter war auch in der letzten Aktion seines Lebens hyperaktiv, aggressiv und dumm. Er sah den Revolver plötzlich vor seinem Gesicht auftauchen und schoss einfach, obwohl sich die Eagle noch mitten in der Schwenkbewegung befand. Ein donnernder Schuß löste sich, die Kugel pfiff einige Zentimeter an Johenns rechtem Ohr vorbei. Zu früh, zu hoch. Da die Eagle schwer war und einen enormen Rückstoß aufwies, bestrafte sie den Schützen für den Fehler, einhändig geschossen zu haben. Die Waffe ruckte weit nach oben aus dem Ziel und zerrte dabei die Bänder des Handgelenkes. Bevor der Attentäter nochmals würde schießen können, mußte er die Geisel loslassen, weil er nun die zweite Hand benötigte.

      Mit derlei Feinheiten