Jürgen H. Ruhr

Undercover - Auftrag


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      Frieda Ottkans sah mich wieder kopfschüttelnd an. Wenn die Frau eines gut konnte, dann mit dem Kopf schütteln. „Nein, Herr L...“ - „Lärpers.“ - „Ja, Herr Lärpers. Es geht nicht um meinen Mann. Wie kommen sie denn darauf?“

      Fast hätte ich mir die Lippen an dem süßen, heißen Wasser verbrüht. Zuckerwasser! Auch nicht schlecht, nur um Tee handelte es sich definitiv nicht ... „Sie sprachen doch von ihrem ‚Männe‘. Wie heißt er denn genau - also mit vollem Namen - und wie alt ist er?“ Ich zückte meinen Stift. Erst einmal mit den grundlegendsten Informationen anfangen.

      „Mein Männe - ja, um den geht es. Der Männe heißt ‚Racker‘ und ist zwölf Jahre alt. Und er ist verschwunden ...“ - „Ja, dass er verschwunden ist, weiß ich“, unterbrach ich die Frau. Dann schaute ich auf meine Notizen. Name: Racker Ottkans. Alter: zwölf Jahre.

      ‚Racker Ottkans‘, welch ein merkwürdiger Name. Und zwölf könnte ja schon gar nicht stimmen. Ob die Frau nicht doch ein wenig verwirrt war? Ich änderte die Zwölf in zweiundneunzig. Nach meinen Schätzungen konnte das schon eher hinkommen.

      „Wie alt sind sie denn, Frau Ottkans?“ - „Ich? Wieso wollen sie das wissen, ich bin doch nicht verschwunden!“ - „Dem stimme ich zu, trotzdem - um das ungefähre Alter ihres Ehegatten zu verifizieren, interessiert mich das schon.“

      Wieder schüttelte Frieda - mittlerweile nannte ich sie bei mir die ‚Kopfschüttlerin‘ - ihren Kopf. „Was wollen sie verfieren? Sind sie ein wenig dumm, Herr L...?“ - „Lärpers.“ - „Ja, Herr Lärpers. Verstehen sie denn nicht, dass es hier um Männe geht, meinen geliebten Racker?“

      Aha. Jetzt wurde mir alles klar. Die Frau redete nicht von ihrem Ehemann, sondern von ihrem Liebhaber. Aber zwölf Jahre alt? Sie war doch bestimmt so um die Neunzig! „Wie alt sind sie denn, Frau Ottkans?“ - „Sag ich nicht.“ - „Bitte.“ - „Achtundachtzig.“ Akribisch notierte ich ihr Alter. Trotzdem war mir noch nicht klar, wieso eine Achtundachtzigjährige einen zwölfjährigen Liebhaber hatte.

      „Sagen sie, Frau Ottkans“, versuchte ich Klarheit zu schaffen, „wie alt ist denn nun ihr Liebhaber? Das mit den zwölf Jahren glaube ich jetzt nicht wirklich.“

      Wieder schüttelte Frieda ihren Kopf. „Liebhaber? Ich muss sie aber bitten, Herr L...!“ - „Lärpers.“ - „Ja, Herr Lärpers. Was spinnen sie sich denn da zusammen? Ich in meinem Alter einen Liebhaber? Wenn sie weiter so dummes Zeug reden, dann müssen sie aber gehen! Und Tee bekommen sie auch keinen mehr.“

      Jetzt ließ sie sich in ihrem Sessel zurücksinken und verschränkte die Arme vor der Brust. Mir schwirrte der Kopf. Also kein Liebhaber? Und kein verschwundener Ehemann?

      „Frau, Ottkans, wer ist denn nun verschwunden? Wenn schon nicht ihr Ehemann oder ihr Liebhaber?“ Vielleicht war es ja ein Bekannter von ihr ...

      „Mein Mann ist schon seit über zwanzig Jahren tot“, erklärte sie trotzig, „aber was geht sie das an? Und mir einen Liebhaber anzudichten ... Das ist ja wohl eine Frechheit.“

      Besänftigend versuchte ich auf die Frau einzuwirken: „Wer ist denn dann dieser Männe? Der Racker Ottkans?“ - „Racker, nur Racker. Mein Pudel natürlich. Aber das habe ich ihrer Kollegin doch am Telefon schon alles gesagt? Hört mir denn niemand zu?“

      Ich nahm einen tiefen Schluck warmen, süßen Wassers.

      Jetzt wanderte ich durch das mittägliche Rheydt auf der Suche nach ‚Männe‘, dem zwölfjährigen Pudel mit Namen ‚Racker‘. Frieda Ottkans war gestern zusammen mit ihrem Hund einkaufen gewesen. Zuhause dann bemerkte sie, dass zwar alle Einkaufstaschen vollzählig vorhanden waren, der Hund aber verschwunden. Andersherum wäre es ihr lieber gewesen.

      Hatte jemand den zwölfjährigen Pudel entführt? Gestohlen? Die Polizei zeigte sich wenig interessiert. Hunde verschwanden in Rheydt alle Tage. Warum so viel Aufhebens darum, im Tierheim gab es doch genug davon!

      Ich klapperte nach und nach die Geschäfte ab, die Frieda gestern besucht hatte. Zumindest die, die sie mir nach einigem Nachdenken nennen konnte. In einer Drogerie erinnerte man sich an die alte Dame: „Ja, so eine komische Alte.“ Die junge Verkäuferin mit der pinkfarbenen Strumpfhose unter dem zerrissenen Rock kaute seelenruhig auf irgendetwas herum. Ich wartete darauf, dass sie gleich einen Strahl Kautabaks in die Ecke spucken würde. „Die kommt immer am gleichen Tag in der Woche hierhin. Dann bindet die ihren komischen Köter ...“

      „Ein Pudel“, erläuterte ich.

      „Ja, sag ich doch. Also, die bindet den da draußen fest und dann kauft sie ein. Sie dürfen ja auch keinen Hund hier mit reinbringen. Ist verboten. Wegen der Drogeriewaren - und so.“

      Ich nickte. „Und dann?“ - „Dann isse wieder gegangen. Nach dem Bezahlen. Da achten wir schon drauf, dass die Leute alle bez...“ - „Und der Hund?“

      Die Verkäuferin sah mich merkwürdig an: „Der war doch draußen. Der musste nicht bezahlen, weil der hat ja nich‘ einkauft. Aber ich hab‘ doch schon gesagt, dass der nich‘ hier rein darf!“ Jetzt schüttelte sie den Kopf, genauso wie Frieda Ottkans.

      „Nein, ich meine: Was war mit dem Hund weiter?“ - „Den hat sie mitgenommen, wie immer. Sie fragen aber auch komische Sachen.“

      In all den Geschäften konnte man sich entweder an Frieda Ottkans nicht erinnern, oder - wenn doch - so gab es keine Auffälligkeiten. Ich war der Verzweiflung nahe. Wie sich nach längerem Fragen und Herumrätseln ergeben hatte, fehlte Frieda auch die Hundeleine. Für mich ein Indiz dafür, dass ihr Pudel gestohlen oder von ihr einfach vergessen worden war. Aber wo steckte der Köter?

      Meine letzte Station wurde ein kleiner Kiosk am Rand der Einkaufsstraße. Ich machte mir wenig Hoffnung, denn in das kleine Geschäft konnte ich von außen nicht hineinsehen. Also galt dies mit Sicherheit auch in umgekehrter Richtung - von innen nach außen. Man würde somit in Bezug auf einen Hund vor der Tür nicht viel sagen können. ‚Reine Zeitverschwendung‘, dachte ich mir. Trotzdem siegte mein Pflichtgefühl.

      „Guten Tag, was kann ich für sie tun?“

      Der Laden war leer, lediglich der Inhaber oder Angestellte stand hinter einem schmuddeligen Tresen und sortierte gedankenverloren ein paar Zeitungen. In einem Mundwinkel steckte eine dicke Zigarre, die einen fürchterlichen Gestank verbreitete. Zigarre Marke ‚Kameldung‘, kam mir in den Sinn und ich musste lächeln.

      „Hallo, was kann ich für sie tun? Und was grinsen sie so dämlich?“ - „Ich, also guten Tag. Ich suche einen Hund.“

      Der Mann sah sich demonstrativ in seinem Büdchen um und lachte mich dann an: „Sorry, aber Hunde sind leider aus. Den letzten habe ich heute Früh verkauft.“

      Aha, schlagartig wurde mir alles klar: Frieda hatte gestern ihren Hund hier vor dem Kiosk vergessen. Und wie der Mann es ja selber sagte: er war so dreist gewesen, das Tier heute früh zu verkaufen. Drohend ging ich auf ihn zu. „An wen?“

      Grinsend blickte er auf: „An wen?“

      Wollte der sich jetzt über mich lustig machen? Mich nachäffen?

      Lässig schnappte ich mir den Mann am Hemdkragen und zog ihn zu mir heran. Dabei wäre die stinkende Zigarre fast gegen meine Nase gekommen.

      „Jetzt hör‘ mir einmal gut zu: Ich will wissen an wen du den Hund verkauft hast! Und zwar dalli. Oder soll ich dir einmal zeigen, was ich mit Hundedieben anzufangen weiß?“ Dann ließ ich den Kerl abrupt los, so dass er rückwärts gegen ein Regal taumelte. Einige Flaschen fielen scheppernd zu Boden und ein unangenehmer Alkoholgeruch breitete sich aus.

      „Ich, ich weiß gar nicht, wovon sie reden“, stammelte der Kioskbesitzer kleinlaut. Oder der Angestellte. Was wusste ich ...

      „Sie sagten doch gerade, dass sie den Hund heute früh verkauften. Ich bin nämlich auf der Suche nach einem verschwundenen Pudel und so wie es aussieht, am Ziel meiner Nachforschungen.“

      Jetzt lachte der Mann auch noch! „Sie meinen den Pudel von