Nancy Salchow

Die Liebe in deinen Spuren


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Lippen, das sich einstellte, wann immer sie von ihm sprach.

      „Schön, dass es so gut für euch läuft.“ Ich griff nach einem Paar bordeauxroter Ballerinas, die mir weder in der Form noch in ihrer Farbe gefielen. Immerhin erfüllten sie den Zweck, ein neues Thema anzuschneiden. „Mit etwas Glück passt mir auch Größe 40.“

      „Das würde mich freuen.“ Celine lächelte. „Wenn sie dir passen, bekommst du sie auch zum Freundschaftspreis.“

      *

      Ich hatte ihr verschwiegen, dass die Schuhe zu eng waren. So schnell ich mich dazu entschieden hatte, ihren Stand aufzusuchen, so schnell hatte ich auch wieder die Flucht ergriffen, was die weitere Suche nach geeigneten Schuhen nur hinausgezögert hätte.

      Eine grüne Plastiktüte in der Hand schlenderte ich mit meiner Ausbeute den Weg zu den Ferienhäusern entlang.

      Es war mir erstaunlich schnell gelungen, den Grund für meinen Besuch des Flohmarktes zu verdrängen, ebenso wie meine fragwürdigen Versuche, mehr über Celines Meinung zum Thema Treue zu erfahren. Was auch immer mich dazu gebracht hatte, sie aufzusuchen, in diesem Moment schienen meine Beweggründe meilenweit weg. Vielleicht lag es daran, dass mein Kopf automatisch frei wurde, sobald ich mich eine Weile abseits des Hauses befand. Dieselbe Beobachtung hatte ich bereits bei meinem Besuch in Percys Tanzscheune gemacht. Vielleicht hatte mich aber auch einfach Celines Irritation über meine Anspielungen zurück auf den Boden der Tatsachen geholt.

      Während ich an den Häusern vorbeiging und meinen Blick über das Wasser wandern ließ, gab ich mich zum ersten Mal seit langem entspannender Gedankenlosigkeit hin. Es war Mittagszeit; anscheinend saß jeder in den eigenen vier Wänden oder in einem der umliegenden Restaurants beim Essen. Auf dem Weg zu meinem Quartier begegnete mir bis auf eine ältere Frau mit ihrem Rauhaardackel keine Menschenseele. Keine fremden Gesichter. Keine Fragen. Keine Gedanken.

      Für einen Moment fühlte ich mich frei und unbekümmert. Vielleicht war dieser Ort tatsächlich der richtige, um die eigenen Emotionen zu ordnen, um Abstand von allem zu gewinnen. Abstand vom Großstadttrubel. Abstand vom immer selben Rhythmus. Abstand von ...

      „Piet!“

      Abrupt blieb ich stehen.

      „Was machst du hier?“

      Er erhob sich von der Bank neben der Eingangstür. „Tina! Es ist so schön, dich zu sehen.“

      Unfähig, mich vom Fleck zu bewegen, auf ihn zuzugehen oder davonzulaufen, starrte ich ihn wortlos an.

      „Was ist? Sehe ich so furchtbar aus?“ Er kam einen Schritt näher. „Okay, ich hab zwei Stunden Autofahrt hinter mir, aber das ist kein Vergleich zu den tagelangen Fahrten im Tourbus, oder?“

      Er lachte leise, während er mich mit der gewohnten Intensität musterte. Eine Intensität, die noch immer die Macht hatte, mir den Atem zu rauben. Sein Blick war eindringlich, und doch ruhte er gewissermaßen in sich. Eine Kombination, die typisch für ihn war. Ebenso typisch wie meine Unfähigkeit, ihr standzuhalten.

      „Tina?“ Er stand nun so dicht vor mir, dass ich die winzige Narbe an seiner Wange sehen konnte. „Was ist los? Hat es dir die Sprache verschlagen?“

      Sein Haar war zu kurz, um vom Wind zerzaust zu werden. Die Lederjacke lag wie angegossen auf seinen Schultern, die – so dicht vor mir – noch breiter aussahen, als sie waren.

      „Ob es mir die Sprache verschlagen hat?“ Endlich hatte ich meine Stimme wieder gefunden. „Soll das ein Witz sein?“

      Fragend erwiderte er meinen Blick.

      „Du stehst hier unangemeldet vor meinem Haus, erzählst irgendwelchen Blödsinn von Fahrten mit dem Tourbus, als sei nichts gewesen, und fragst mich, ob es mir die Sprache verschlagen hat?“

      „Ich wollte einfach mal schauen, wie du vorankommst“, antwortete er irritiert.

      „Ich habe dir doch schon gesagt, dass das seine Zeit braucht. Was erwartest du? Dass ich dir nach zwei Tagen die Texte für ein ganzes Album liefere?“ Mit einem tiefen Atemzug ging ich an ihm vorbei zur Eingangstür.

      „Natürlich nicht“, sagte er. „Ich war nur so aufgeregt, weil wir endlich wieder ein neues Projekt am Start haben. Das ist nun mal eine besondere Zeit. Für uns alle.“

      „Aufgeregt. So so.“ Ich steckte den Schlüssel ins Schloss und öffnete die Tür, die er wie selbstverständlich hinter mir durchquerte.

      „Und ich wollte dich sehen“, sagte er, als er vor mir stehen blieb und langsam die Hand auf meine Schulter legte. „Ist das so schwer zu verstehen?“

      Für einen Moment standen wir schweigend voreinander, zwischen uns nur eine Handbreit Abstand. Ich erwiderte seinen Blick, der mich regelrecht zu röntgen schien. Kein Geräusch war zu hören. Nicht mal ein Atemzug. War das wirklich möglich? Piet und ich, in einem Raum? Nach allem, was war? Und besonders: nach allem, was nicht war?

      „Ja, Piet, das ist es tatsächlich. Es ist schwer zu verstehen.“ Unvermittelt löste ich mich von seinem Blick. „Es ist schwer zu verstehen, dass du hier auftauchst, obwohl zu Hause Frau und Kind auf dich warten. Und es ist ebenso schwer zu verstehen, dass du dich auch noch darüber wunderst, dass ich deswegen keine Luftsprünge mache.“

      „Sie ist nicht meine Frau, Tina.“

      „Macht das einen Unterschied?“

      „Abgesehen davon wusste ich nicht, dass es einem Mann untersagt ist, seiner Songtexterin bei der Arbeit an seinem eigenen Album über die Schulter zu schauen, nur weil er zufällig Vater und liiert ist.“

      „Du weißt genau, was ich meine.“

      Ich wandte mich von ihm ab und verschwand im Wohnzimmer. Unweigerlich kam er mir nach. Mit dem Rücken zu ihm blieb ich schließlich vor dem Fenster stehen.

      „Ja, Tina. Ich weiß, was du meinst“, sagte er schließlich. „Aber ich hatte gedacht, dass deine Zusage, am neuen Album mitzuwirken, einiges geändert hätte. Dass die Dinge wieder ein kleines bisschen wären wie ...“

      „Wie früher?“ Noch immer stand ich mit dem Rücken zu ihm.

      „Ja.“ Seine Stimme wurde leiser. „Ein bisschen vielleicht.“

      „Die Dinge können niemals wieder wie früher werden, Piet, und das weißt du.“

      „Ich weiß, warum du denkst, dass sie nicht wie früher werden können. Das macht es aber nicht automatisch wahr, Tina.“

      „Vielleicht haben wir beide einfach unterschiedliche Definitionen von der Wahrheit.“

      Ich hörte ihn seufzen. Das altbekannte Seufzen, das er von sich gab, wann immer er merkte, dass er mit seinen Argumenten auf taube Ohren stieß. Taube Ohren, die nicht selten mir gehörten.

      „Warum bist du gekommen, Piet? Warum jetzt?“

      „Wir waren Seelenverwandte, hast du das vergessen? Und wir sind es noch immer. Jedes Wort aus deiner Feder war mir immer so vertraut. Jede Zeile, jeder Gedanke. Niemand kennt mich so gut wie du. Und ich kenne niemanden so gut wie dich.“

      Seine Worte durchbohrten mich wie Messerstiche. Hatte er denn noch immer nichts begriffen? Oder war es letztendlich sogar meine Schuld, weil ich ihm durch meine Zusage für das Album Hoffnungen gemacht hatte, eine Brücke zur Vergangenheit zu schlagen?

      Langsam drehte ich mich zu ihm um. „Was ist mit Jessica?“

      „Jessica und der Kleine sind zu Hause.“

      „Weiß sie, dass du hier bist?“

      Er zögerte, während er für einen Moment meinem Blick auswich.

      „Piet!“

      „Nein, sie weiß es nicht. Aber nur, weil ich selbst nicht wusste, dass ich kommen würde. Ich hatte heute früh ein Interview, und als ich im Auto saß, da dachte ich ... Es war eine spontane Bauchentscheidung, Tina. Ich