Telegramm an Herrn Hauptmann Franck:
Herzliche Grüße nach der Rückkehr.
Willi
Wilhelmshaven 16. VIII. 1895
Liebe Eltern!
Gestern hatten wir Urlaub hier in Wilhelmshaven; ich kam mir ganz komisch vor in einer Stadt, in der es nicht unangenehm roch, wo ich nicht von jedem Menschen angerempelt wurde und wo man mich verstand, ohne daß ich Englisch sprach. Kurz nach uns ist auch die „STEIN“ hier angekommen die ihre Reise nach den nordischen Gegenden gemacht hatte. Mittwoch habe ich mit Ernst Rebensburg unser Wiedersehen gefeiert.
Mit diesem Brief will ich den Bericht über die Tanger-Reise abschließen. Ob Ihr alle Briefe erhalten habt, könnt ihr vielleicht daran erkennen, daß, die Briefe immer an einander anschließen und in kurzen Zwischenräumen geschrieben sind nur zuletzt ein großer Sprung Tanger-Wilhelmshaven
Euer Willi.
Elbemündung 24. VIII. 1895
a. B. S.M.S. „STOSCH“
Liebe Eltern!
Der erste Teil der diesjährigen Manöver ist beendet, morgen sollen wir wieder in Wilhelmshaven sein. Die Manöver sind, so viel ich beurteilen kann sehr bedeutsam in ihrem Ausgange gewesen; in der Zeitung pflegen doch Artikel über diese Manöver zu erscheinen, Ihr würdet mir einen großen Gefallen tun, wenn Ihr die Artikel darüber mir zuschicktet bzw. aufbewahrtet.
Besondere Unglücksfälle sind bisher nicht vorgekommen. Morgen also sollen wir in Wilhelmshaven sein. In den nächsten Tagen geht es dann von neuem los. Am 30ten sollen wir in Kiel sein, wo der Sedanstag großartig gefeiert werden wird. Dann, nach den Manövern, also gegen Mitte September wird die „STOSCH“ ins Dock gehen wie behauptet wird. Während dieser Zeit hoffen wir dann auch Urlaub zu bekommen. Vielleicht steht uns auch in der Mitte nächsten Monats ein Tentamen in der Marine Akademie bevor, sonst machen wir es hier an Bord.
Viele Grüße an die Großeltern, Tante Gusche, Onkel Wenck und die Geschwister sowie Heini, besonders an Euch von Eurem
Willi.
Kiel den 8. Sept 1895
Liebe Eltern!
Zunächst will ich den Brief von Papa beantworten.
„Sturm“ sollen wir gehabt haben, ich habe das auch in der Zeitung gelesen, doch wenn es hier nicht schlimmer werden kann, dann ist es nicht gefährlich, denn im Atlantischen haben wir ohne Sturm schon bedeutend stärkeren Seegang gehabt. Daß aber trotzdem das Torpedoboot gekentert ist (Das Torpedoboot „S 41“ (Bj 1887) war am 28.08.1895 in der Jammerbucht vor Skagen im Sturm gesunken, dabei starben 13 Mann.), kommt dadurch, daß es in die Wellen der Brandung kam, und dabei parallel den Wellen fahren musste. Hätte das Boot außerhalb des Geschwaders nach Belieben fahren können, so hätte der Fall niemals eintreten können, denn unsere Boote sind bei wirklichem Sturm ausgeschickt um die Sicherheit gegen Kentern zu erproben und sie haben die Probe gut bestanden.
Das Boot war also in ein Wellental gekommen, dann so umgeschlagen, daß es verkehrt herum noch etwa 3 Minuten schwamm. Alle Leute vom Oberdeck klammerten sich an das Boot und wurden vom D Boot (Kaptl. v. Schimmelmann) gerettet bis auf zwei, die nicht den Mut hatten loszulassen um die zugeworfenen Rettungsbojen zu ergreifen. Diese wurden ebenso wie die übrigen eingeschlossene Mannschaft nach einer wahrscheinlich erfolgten Kesselexplosion in die Tiefe gezogen. Bis jetzt soll das Boot ja noch nicht gefunden sein.
Übrigens scheint mir wahrscheinlicher (dies ist aber eine persönliche Meinung, die nicht jeder zu wissen braucht und darf), daß das Boot nicht infolge des Seegangs allein kenterte, sondern daß es ein Fehler im Manövrieren bloßstellt, der durch den angeblichen Sturm verdeckt werden soll; denn ich glaube daß den Booten die zum starken Seegang notwendige in etwa selbstständige Manövrierfähigkeit nicht gewährt ist, allerdings wohl wegen allzu großer Sorglosigkeit. Bitte dies nicht weiter zu erzählen oder dergl. da uns streng untersagt ist irgendwelche Gerüchte in die Öffentlichkeit zu bringen.
Ein zweiter Unglücksfall war folgender. Ein Torpedoboot rammte ein zweites, letzteres begann sofort zu sinken. Kurz entschlossen nimmt ein anderes Boot, das sich längsseit legte, Stahlleinen und bindet das sinkende fest an sich. So gelingt es den beiden nach Wilhelmshaven zu gelangen. Beinahe hätte die beiden hiernach das Unglück erreicht, doch gelang es mit genauer Not beide zu retten.
„GNEISENAU“ hat einen Schoner – oder irgend ein anderes Fahrzeug – überrannt. Es sank erst nach ziemlicher Zeit, doch ertrank der Kapitän und zwei Mann, die über Bord gesprungen waren.
Sonst sind ja leider auch noch mehrere Personen verunglückt, auch Rebensburg hat hierin Unglück gehabt, wie Dir Kurt wahrscheinlich schon berichtet haben wird; Seekadett Dietert wäre dabei auch beinahe umgekommen.
Unsere Maschine war ja immer schon gebrechlich, besonders aber nicht den Anstrengungen gewachsen, die ein Manöver an sie stellt. Die Havarie war vorauszusehen, wir glaubten nur die Kessel würden es noch weniger lange aushalten.
Bei dem schnellen Fahren und bei dem abwechselnd langsamen Arbeiten der Maschine, wenn die Schraube im Wasser war, und dann rasend schnellem, wenn sie in der Luft arbeitete, brach der Bock der Umsteuerungswelle, und zwar in dem Augenblick, wo die Maschine, weil sie sich heiß gelaufen hatte, stoppen sollte.
Nun erhielten wir Befehl sofort nach Kiel zu dampfen und dort nach Möglichkeit zu reparieren. Heute sind wir wieder in Ordnung und dampfen dem Geschwader nach Danzig nach.
In Kiel wurden auch die Kessel ausgebessert und dann der Druckprobe mit Wasser unterworfen. Überall spritzte das Wasser hervor. Nach dem Manöver fordert der Ingenieur 30 Tage zur Reparatur, sonst übernähme er keine Verantwortung. Ins Dock kommen wir sicher noch einmal. Übrigens haben wir das Tentamen (Tentamen: Zwischenprüfung – mehrere Tentamen gingen der Seekadettenprüfung voraus.) erst auf unserer Ausreise, also an Bord, und zwar wenn es nach dem 1. Oktober nach Westindien geht.
Eigentlich sollte dieser Brief heute morgen von Kiel aus abgehen, nun erhältst Du ihn schwerlich vor Donnerstag.
Herzlichen Gruß von
Eurem Willi.
Kiel, Kaiserl. Werft
a. B. S.M.S. „STOSCH“
den 8ten Sept. 1895
Lieber Papa!
Gestern abend fand ich Deinen Brief vor, für den ich Dir vielmals danke.
Mit unserem Urlaub sieht es allerdings trübe aus. Ich wäre zu gern gestern und heute nach Pinneberg gefahren, hatte aber doch keine Lust darum zu bitten, nachdem mir der Urlaub wiederholt abgeschlagen ist; auch der Urlaub hier in Kiel wird uns sehr gekürzt, nachdem einige Kadetten, die etwas zu viel getrunken hatten, abends beim Unsinn machen auf der Straße von Offizieren gesehen worden sind. Sogar etwaiger Heiratsurlaub solle uns deswegen entzogen werden, sagte unser Kadettenoffizier. Doch habe ich gerade durch diese Äußerung, ferner durch das Gerücht, daß die Seekadetten 14 Tage Urlaub bekommen sollten, und daß wir die Reise nach Westindien nicht vor dem 1. Oktober antreten würden, wieder neue Hoffnung bekommen.
Nun fragtest du noch, wie es mir bis jetzt gefalle. Ich muß sagen, daß ich mir den Dienst bedeutend anstrengender gedacht hatte (die schwerste Zeit, aber doch sehr nett, war die infanteristische Ausbildung); wie wir uns amüsiert haben, wie viel wir gesehen haben und noch sehen sollen, weißt Du ja.
In einem nur habe ich mich gründlich getäuscht. Ich glaubte nur unter anständige junge Leute zu kommen, das ist nicht der Fall, denn manche unter den Kadetten haben geradezu überhaupt keine Erziehung und keine Manieren, besonders sind es solche, die früher im Kadettenkorps waren, die sich nicht zu benehmen wissen.
Diesen Brief lies bitte allein.
Dein Willi.