Barbara E. Euler

Der Krieg


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Ritter“, sagte sie. Sie sah zum Mond, der nun hoch über ihnen stand, riesig und leuchtend, und ungerührt all die Stunden markierte, die sie sich vom Lager entfernt hatten. Lelle schüttelte den Kopf und sank in die Knie, den duftenden Kräutersack fest umklammert. Moira räusperte sich. Es musste wohl sein. „Gut“, schnappte sie und wandte sich zum Gehen. „Sicherlich seid Ihr gut bewaffnet, Ritter“, sagte sie über die Schulter, „… gegen die Gonligots…“ Die Waldfrau verbiss sich ein Grinsen, als der Stadtmensch hochschoss. „Kommt“, sagte sie schlicht. „Wir gehen zurück.“ Und Lelle wollte wohl und stolperte willig hinterdrein und widersprach nicht, als Moira ihr den Beutel abnahm. Immer wieder fielen ihr die Augen zu und ihr Schritt ging holprig und mit langen Pausen. Schließlich blieb Moira stehen. Es hatte keinen Zweck. Die Kleine würde es niemals schaffen.

      Besser, sie machte dem ein Ende.

      Die Waldfrau öffnete ihren Beutel und schüttete den gesamten Inhalt auf den Teppich aus sachtem Moos, der sich um die lichtumschwommenen Bäume legte. Dann setzte sie sich mit untereinandergelegten Beinen auf ihren löchrigen Mantel und betrachtete die Schätze aus dem Wald. Lelle blinzelte und hielt sich an ihrer Schulter fest, bis Moira ihr ärgerlich bedeutete, sich neben sie zu setzen. Lelle plumpste in das weiche Moos.

      Moira saß jetzt sehr gerade und ließ den Blick über Blätter und Wurzeln, Beeren und Blüten gehen. Langsam fuhr ihre Hand über die Pracht, die im kühlen Nachtdunst die ganze Wucht ihrer Düfte preisgab. Moira schloss die Augen und inhalierte tief und hielt beide Arme über die Pflanzen wie zum Segen. Dann stieß, habichtgleich, ihre Hand hinunter in den wirren Haufen und zog ein Zweiglein heraus, an dem eine Dolde tief purpurner Früchte hing. Moira öffnete die Augen und besah das Ästlein in ihrer Hand. Sie pflückte ein paar der kleinen Beeren, eine, zwei, drei, und ließ sie in ihre schwielige Handfläche fallen. Dann hielt sie Lelle die Beerlein hin.

      „Esst!“, sagte Moira ruhig.

      Beeren, rot wie Blut. Lelle wich erschrocken zurück. Im Rückwärtskriechen schüttelte sie den Kopf, immer wieder. „Nein…. Nein…. Nein!“

      Über Moiras hochwangiges, schönes Gesicht ging ein Lächeln. „Esst!“, wiederholte sie und streckte die Hand aus, in der die roten Beeren einladend hin und her rollten.

      Lelle saß jetzt mit dem Rücken gegen eine starke, alte Fichte gelehnt. „Nein…“, murmelte sie, „… nein…. nein…“, und zog die Knie gegen den mageren Körper unter dem weiten Mantel. Moira erhob sich. Immer noch hielt sie die Hand mit den Beeren ausgestreckt, als sie jetzt ganz nah an Lelle herankam. „Esst…“, flüsterte sie, vertraulich und weich.

      Lelle zitterte. Nichts konnte sie tun als mit den Augen funkeln, in denen jetzt Tränen glitzerten. Moira legte den Kopf schräg. „Esst“, sagte sie.

      Lelle presste ihre beiden Hände über den Mund und starrte auf die kleinen Beeren, die vor ihren Augen tanzten, und auf Moira, deren walddunkler Blick geradewegs durch sie hindurch zu gehen schien. Mit einem Mal hob die Waldfrau ihre Hand, ohne dabei den Blick von Lelle zu lösen, und warf sich die purpurnen Beerlein in den Mund und begann zu kauen.

      Lelle starrte sie an.

      „Wenn Ihr mir nicht vertraut“, sagte, nachdem sie hinuntergeschluckt hatte, die Waldfrau, „so werden unsere Wege sich trennen.“ – „Nein!“, beinahe hätte Lelle laut geschrien. „Bitte…“, sie rang um Fassung, „lasst mich nicht allein…“ Mühsam schob sie sich an der rauen Rinde hoch, bis sie stand. Angestrengt hielt sie die Augen offen und sah Moira ins Gesicht. „Ihr verlangt viel, Moira“, sagte sie leise, „sehr viel.“

      „Auch Ihr verlangt sehr viel“, sagte Moira ernst, „…Ritter…“ Sie begann die ausgebreiteten Kräuter wieder in ihren Beutel zu sammeln. Vorsichtig kniete Lelle sich neben sie, um ihr zu helfen. Moira ließ sie gewähren. Bald war alles verstaut. Moira stand auf, sehr munter jetzt, raffte die beiden Beutel zusammen und wandte sich schnellen Schrittes dem heimatlichen Lagerplatz zu.

      Lelle stolperte hinterher. Ihre Hände griffen nach jedem Ast, den sie erreichen konnte, sonst wäre sie gefallen. Sie konnte nichts dagegen tun, dass der Abstand zwischen ihr und Moira sich zusehends vergrößerte. Moira drehte sich nach ihr um. Lachte sie? „Mit diesen Beeren bleibt man wirklich wach!“, rief sie noch über die Schulter. Dann lief sie weiter.

      Das also war es. „Wartet…“, keuchte Lelle. Moira reagierte nicht. Moira lief weiter; fast hüpfte sie, und war da nicht ein Liedlein auf ihren Lippen? „Wartet…“, stammelte Lelle, leise und sinnlos. Endlich gab sie es auf. Gab sie sich auf.

      Halt. Nein. Nicht. Sie hatte eine Aufgabe. Sie hatte ein Ziel. Sie brauchte Moira nicht, die in der Ferne trotzig weiterträllerte, als gäb es keine Gonligots auf der Welt. Abrupt machte Lelle kehrt und taumelte wieder in den Wald hinein. Sie hatte ein Ziel: Nach Norden… nach Norden…

      Elftes Kapitel

      Kaats Augen glänzten, als sie in die lachenden Gesichter von Fien und Marieke sah. Es hatte sich gelohnt, ihren Kugelbauch durch die Masse zu schieben und die beiden Kleinsten dazu – die von den Kleinsten, die ihr geblieben waren. Gebannt starrten sie auf die gelenkigen Hände des Zauberers, der mitten auf dem Marktplatz glänzende Kupferbecher auf einem von seinem blauen Reisemantel bedeckten Tischlein über Kugeln stülpte, die niemals zu sein schienen, wo man sie erwartete; flink tanzten die Becher hin und her, schneller fast, als der Blick ging, und die bunten Bälle kullerten mal hier, mal dort hervor und auf einmal kreischten alle, denn nun waren es keine Bälle mehr, sondern leuchtend rote Äpfelchen, die er in die Menge warf, und eins direkt zu Kaat, die es auffing, verdutzt, und in des Zauberers grüngoldene Augen sah, aus denen ein stetes Lächeln wie Silberperlen zu sprudeln schien; atarkanische Augen, schöne Augen, doch nichts gegen die von Joris.

      Joris’ Augen. Gestern, als er nach Hause gekommen war, war etwas Dunkles in diesen Augen gewesen, das sie noch nie gesehen hatte. Er mocht’ ihr nicht sagen, was es war; es hatte mit der Beerdigung des großen Ritters zu tun gehabt, des war sie gewiss. Heut waren seine Augen schon wieder fast wie immer gewesen, als er zur Arbeit aufbrach, er musste auch irgendwo hier sein, er wusste immer, wo’s was zu holen gab, und nun war ja auch wieder Ruhe in der Stadt; der Schauder, den sie alle gestern gespürt hatten, war verflogen, und es war Frühling und die Sonne schien und jetzt warf der Atarkanier seinen farbenprächtigen Hut hoch in die himmelblaue Luft und als er ihn auffing, war’s eine schneeweiße Taube, und die Menge johlte und schrie und Kaat und die Kinder schrien auch und lachten.

      Übermütig biss Kaat ein Stück aus dem rotwangigen Apfel, der nicht runzlig und schlaff war wie die letzten Herbstäpfel, die sie in ihrer Vorratskiste hortete, sondern prall und fest wie frisch geerntet, ein Wunder! – und süß wie nur die atarkanischen es waren. Kauend gab Kaat die saftige Frucht an ihre Kleinen weiter. Es war ein Tag, so schön wie lange keiner.

      Sie wussten ja nichts von den stillen Nöten des Großmeisters, die ihn nicht ruhen ließen und nicht rasten und die ihr sanftes Gift schon ausströmten, unmerklich noch, über die Stadt und das Land und alle, die darinnen waren.

      Bis gestern hatte Herigold geglaubt, die entlauf’ne Hexenbrut in aller Heimlichkeit zu packen, dass keine schmutz’ge Rede aus ihrem verderbten Munde ging, und sie zu läutern und zu bekehren, mit aufrichtigem Ernst und harter Hand, dass sie ihre Sünden bekenne und, so’s dem Höchsten gefiele, auch des anderen widerwärtigen Zwillings Verbleib enthülle… und dann vor allem Volke sie endlich zu erlösen in heiligem Feuer; beide; auf dass der Königin und dem König Ruhm und Ehre zuteilwerde jetzt und in Ewigkeit. Herigold, der Ausrotter; der Retter; der Erlöser… Der Großmeister knirschte mit den Zähnen; seit gestern war gewiss, dass die Hunde die Spur der kleinen Nonne verloren hatten. Im Stillen würd’ die Geschichte nun nicht mehr zu lösen sein. Jetzt kam der große Schlag.

      „Hoy!“ sagte der Atarkanier, als er die schneeweiße Taube fing, und er flüsterte ihr was ins Ohr und dann ließ er sie los und sie flog, flog hoch über die Stadt und als sie wieder schauten, hatte der Atarkanier bunt glasierte irdene Teller hervorgezaubert, die er einen um den anderen hoch warf auf die