Hannes Wildecker

ORGANE


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und begrüßte ihn freundschaftlich.

      „Man sagte mir, ein Toter soll auf irgendeinem Berg liegen.“ Peters sah mich fragend an.

      „Ja, das ist eine seltsame Angelegenheit hier. Ich weiß auch noch nicht, was ich davon halten soll.“ Ich zeigte mit dem Arm in Richtung Felsenhügel. „Wir können nichts unternehmen, ehe die Feuerwehr hier ist. Ich habe sie mit der Drehleiter angefordert. Ein Gutes hat das Ganze: Außer uns und dem Arzt wird niemand dort oben sein und Spuren verwischen.“

      „Dann bin ich mal gespannt, was uns dort erwartet.“ Peters stellte seinen Spurensicherungskoffer vor sich zwischen seinen Beinen auf der Erde ab und sah sich suchend um.

      „Fehlt da nicht jemand? Ist Leni nicht dabei?“

      Leni…ja…natürlich! Ich hatte bisher nicht einen Gedanken an Leni Schiffmann verschwendet und mich deshalb auch nicht gewundert, dass sie nicht am Tatort war.

      „Man wird sie wohl nicht verständigt haben. Offensichtlich konnte man sie nicht zu Hause erreichen. Vielleicht kommt noch jemand vom Dauerdienst zur Unterstützung.“

      „Das hättest Ihr wohl gerne?“, tönte eine Stimme hinter uns und Peters und ich sahen uns an und konnten ein Lachen gerade noch unterdrücken.

      Die Stimme gehörte Leni, die in einem eng anliegenden Jeansanzug mit hellen Sportschuhen darunter, auf uns beide zukam. Das brünette Haar, das sie normalerweise locker bis auf die Schultern fallen ließ, hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengefasst. Dazu trug sie eine eher unpassende lederne Umhängetasche, in der sie offensichtlich die dienstlichen Utensilien wie Pistole, Handschellen und Pfefferspray mitführte, abgesehen von den zahlreichen wichtigen Kleinigkeiten, wie sie eine Frau ständig zur Hand haben musste.

      „So untätig, wie Ihr hier herumsteht, habt ihr doch sicherlich auf mich gewartet“, flötete Leni. „Aber im Ernst: Wo ist der Tote? Oder gibt`s gar keinen?“

      „Doch Leni, es gibt einen.“ Ich zeigte hinauf zu dem Felsenplateau und Lenis Blick folgte meinem gestreckten Arm.

      „Da oben? Wie kommt ein Toter da hinauf?“

      „Wir werden es hoffentlich bald wissen Die Feuerwehr muss jeden Moment hier eintreffen, dann werden wir nachsehen.“

      Ich sah Leni prüfend an. „Du kommst doch mit nach oben?“

      „Und ob! Warum sollte ich nicht? Glaubst du, ich habe Höhenangst?“

      Ich verkniff mir eine weitere Bemerkung. Höhenangst! Wenn einer die hier hatte, dann war ich das.

      „Es fährt aber sonst niemand mit da hoch, ist das klar, Heiner. Nur wir drei! Wegen der Spuren, versteht Ihr? Seht euch mal hier unten um!“, rief Peters seinen Kollegen zu und sah mich und Leni an. „Ich habe das dumpfe Gefühl, dass wir dort oben die Stecknadel im Heuhaufen suchen müssen. Ich meine, es kann ja sein, dass die Leiche schön länger dort oben liegt, das wird uns zu schaffen machen.“

      Es dauerte noch rund eine Viertelstunde, bis das rote Feuerwehrauto mit knirschenden Reifen über den geschotterten Weg anrollte. Aus dem Fahrzeug sprangen fast gleichzeitig fünf Feuerwehrleute, die sich sogleich zu den Waldarbeitern gesellten, nur der Fahrer verharrte noch kurz hinter seinem Lenkrad und prüfte die Umgebung, indem er wie ein witterndes Tier nach allen Seiten sah und offensichtlich den besten Ausgangspunkt für den Betrieb der ausfahrbaren Leiter suchte. Doch er schien nicht zufrieden und stieg ebenfalls aus. Ohne die anderen Anwesenden zu beachten, machte er ein paar Schritte in Richtung des Felsens, blieb stehen, nahm seine Arbeitsmütze ab und kratzte sich am Hinterkopf in seinen dichten schwarzen Haaren.

      Dann drehte er sich um und begutachtete einen kleinen Waldweg, der in der Nähe des Fahrzeugstandortes in den Wald führte. Offensichtlich behagte ihm die Breite des Weges nicht so richtig, denn er schaute mehrfach zurück zu seinem Fahrzeug, als ob er dessen Breite mit der des Weges vergleichen wollte. Dann schien er einigermaßen zufrieden und ging auf die Gruppe der Wartenden zu, die sein Tun die ganze Zeit über beobachtet hatten.

      „Da oben soll ein Toter liegen?“, fragte er und sah wieder den Felsen hinauf.

      „Auch angenehm. Mein Name ist Spürmann. Heiner Spürmann und das sind meine Kollegen.“

      Ich sah den Feuerwehrmann abwartend an.

      „Entschuldigen Sie, ich war ganz in Gedanken mit meiner Einsatzplanung. Bresser mein Name. Martin Bresser von der Freiwilligen Feuerwehr Saarburg. Ich bin heute der Gruppenführer. Ich glaube, wir sollten beginnen, ehe es dunkel wird.“

      Es dauerte ungefähr 10 Minuten, dann hatte Bresser sein Gefährt mithilfe seiner Kollegen, die ihn von allen Seiten einwiesen und dirigierten, so platziert, wie es ihm am besten erschien. Während er die Stützen am Ende des Wagens ausfuhr und für einen festen Stand sorgte, warteten Leni, Peters und ich auf das Zeichen, endlich in den Korb einsteigen zu können. Dann war es so weit.

      „Dreißig Meter hoch kann er“, sagte Bresser. „Aber die brauchen wir nicht. Ich schätze mal so an die zwanzig Meter. Ich fahre den Korb bis an den Rand des Plateaus. Aber Achtung, dass mir niemand ausrutscht. Da oben ist nicht sehr viel Platz, das kann ich von hier aus sehen.“

      Bresser bestieg als letzter den Korb und betätigte den Hebel, der den Mechanismus zur Fahrt nach oben in Gang setzte.

      „Ist dir nicht gut?“ Leni sah mich mit zur Seite geneigtem Kopf an und ich glaubte, eine leichte Ironie in ihren Worten zu erkennen. Aber dass ich unter Höhenangst litt, eigentlich schon immer, solange ich zurückdenken konnte, wollte ich ihr nicht unbedingt auf die Nase binden.

      „Alles okay“, sagte ich und hielt mich mit Blicken an dem Felsen fest, der unter mir immer unstabiler und über mir so schmal wurde, dass ich glaubte, da gleich nicht hinauszugehen, nicht auf das Plateau des Felsens steigen zu können. Ich würde hinunterfallen, dieses Gefühl überkam mich immer dann, wenn ich mich höher als ein Stockwerk über der Erde befand und der Untergrund, auf dem ich stand, überflüssigerweise auch noch einen Blick durch irgendwelche Ritzen in die Tiefe zuließ.

      Bresser drehte den Korb leicht nach links, um an einem kleinen Vorsprung vorbei zu manövrieren und Leni musste mit ansehen, wie ich mich krampfhaft an der Reling des Korbes festhielt und meinen Blick krampfhaft auf den Felsen richtete, um ja nicht nach unten sehen zu müssen.

      Leni verkniff sich eine Bemerkung, was ihr schwerfiel, das konnte man erkennen. Doch ihre Gedanken erfuhren eine Ablenkung, denn über das Handsprechfunkgerät des Feuerwehrmannes kam die Meldung, dass der Arzt eingetroffen sei.

      „Ich lasse Sie jetzt da oben raus und bringe anschließend den Doktor nach oben“, sagte Bresser und lenkte den Korb an das Ende des Steinwalls und dirigierte ihn noch einen halben Meter weiter auf das Plateau, soweit es eben ging, ohne dass der Ausleger Kontakt bekam.

      Und bereits jetzt, noch vor dem Verlassen des Korbes, bot sich uns der von Heinen so dramatisch beschriebene Anblick.

      „Da hat einer ganze Arbeit geleistet“, bemerkte Bresser trocken, während er die Sicherung der Korbtür löste und diese öffnete. „Dann mal viel Spaß, ich hole jetzt den Doktor nach oben.“

      Langsam bewegte sich der Korb mit Bresser nach unten und wir drei fanden uns alleine auf einem Felsplateau, das gerade einmal die Ausmaße eines kleinen Vorgartens hatte, wieder.

      „Lasst mich das mal alleine machen“ bat Peters. „Wir brauchen hier jeden Zentimeter als möglichen Spurenträger.“

      Ich nickte, und ließ mich auf einem Stein nieder, während Leni neben mir stehenblieb. Jetzt noch einige Schritte zu machen, würde die Arbeit von Peters gefährden.

      „Ich wusste gar nicht, dass du Höhenangst hat“, sagte Leni, während ihre Augen das kleine Plateau bestreiften.

      Es war ein Plateau, wie man sich eben ein Plateau vorstellte. Flach eben und geeignet, etwas abzulegen, das nicht wieder nach unten rollte oder fiel. Die Leiche, die dort lag und momentan von Peters verdeckt wurde, rollte weder, noch fiel sie. Das bedeutete, dass diejenigen, die sie dort abgelegt hatten, wissen mussten, dass es hier oben