Anna Lohg

Am Rande. Eine Bemerkung


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und Schmiede gießen eifrig Kanonen, Alchemisten verbessern die Lunte. Und natürlich kommen auch Stellmacher, Korbflechter, Astrologen, Bäcker und Wirte, Bischöfe und Aderlasser, Richter und Henker. Am Schluß sind sogar Kulturschaffende zu gebrauchen und es finden sich Intellektuelle ein, Künstler und Barden: die einen schreiben ein Histörchen über die mythischen Ursprünge des Reiches, die anderen porträtieren gefällig eine Kunigunde und pinseln dazu ein Wappen, letztere komponieren ein Operettchen das schließlich zur Hymne wird. Kinder werden gezeugt und auf die Hymne eingeschworen und auf das Wappen verpflichtet, darauf folgt die allgemeine Wehrpflicht, die Straßenverkehrsordnung und das Einwohnermeldeamt. Der Rest ist bekannt und verschwindet in Unübersichtlichkeit.

      Soweit sei an dieser Angelegenheit rein gar nichts besonders, das scheint der natürliche Lauf der Dinge, als würden alle Beteiligten willenlos einem Trieb folgen und das kann wahrlich niemandem zum Vorwurf gemacht werden. Aber dieser vergessene Ort in der Eifel, in dem ich geboren wurde, der ist zweifellos besonders in seiner Art. Sich in der Nähe einer Burg anzusiedeln, kann an Gewöhnlichkeit kaum übertroffen werden. Aber gleich zweien? Zwei Burgen? Zweifache Untertänigkeit? Ich meine, dafür bedarf es eines ganz extraordinären Gemüts, ob eines gewaltigen Hohlraumes zwischen den Ohren. Das jedenfalls sind meine Vorfahren: unsägliche Idioten und Schwachköpfe.

      Erstaunlicherweise unterscheide ich mich jedoch nicht im geringsten von anderen Exemplaren der Gattung, deren Stammbaum mit einer Äffin und ihrer verblüffenden Missgeburt beginnt, wiederum entsprang jene Äffin in noch grauerer Vorzeit einem unscheinbaren Einzeller, steckt eben in jeder Amöbe eine Menge Potenzial. Und in diesem Wandel der Evolution, Wechsel der Generationen, Entwicklung, Wachstum, Steigerung des Bruttoinlandsproduktes wuchs rund um die beiden Burgen eine Ansiedlung heran, die hier Zweiburgen genannt sei. Wie woanders auch wurde das römische Recht verdaut und als Peinliches Strafrecht wieder ausgeschieden, was ausgefeilte Instrumentarien nötig machte, wie Streckbänke, Daumenschrauben und vergleichbares mehr, Innovationen die unweigerlich den Fortschritt voran trieben, durch welchen sich die Ansiedlung vergrößerte, bis sie sich urban über die nächstbeste Anhöhe ergoß. Als die Burgen längst in Ruinen lagen, wurde auf dem Hügel, den einst Kunigunde und Kuno erklommen hatten, zum Andenken eine Kapelle errichtet, damit ward das ritterliche Reich vorerst unter der Kirche begraben.

      Auf diesem Hügel, insbesondere in dieser Kapelle wohnt das Schaurige. Dieses kleine, aus schweren Quadern gemauerte Häuschen, ebenfalls mit einem kleinem Turm versehen, einem Glockenturm, steht mitten im dichten Wald. Darinnen ist es finster und eisig kalt, es finden sich in Reihe ein paar hölzerne Bänke vor einem steinernen Alter hinter dem ein massiges schwarzes Kreuz hängt, und wer sich hier dennoch für ein andächtiges Gebet einfindet, kann plötzlich die Glocke läuten hören, obschon niemand da wäre, der am Seil zöge. Dann sollte die Kapelle schleunigst verlassen werden, um mit möglichst passendem Schuhwerk den Hügel hinunter zu eilen, dorthin wo seit Jahrhunderten bedächtig der Bach fließt, als könnte ihn nichts von seinem Weg abbringen. Daneben ist aus dem ausgetrampelten Pfad nun eine asphaltierte Straße geworden. Vorbei an diesem Hügel, wo Kunigunde längst zu Staub zerfallen ist, führt die Straße endlich in das moderne Zweiburgen.

      Doch noch bevor irgendwas von dem Ort zu sehen ist, fällt auf dem allerletzten Hügel ein großes Gebäude auf, als hätte es schon immer dort gestanden, ist es ein Kloster, dienlich als ein Versteck für Frauen, die in schwarzen Kutten und ominösen weißen Hauben möglichst niemandem auffallen wollen. Jahrhunderte haben sie diskret auf diesem Hügel verbracht, Kuchen gebacken, gebetet, Einmachgläser gefüllt, gebetet, Fusel gebrannt, gebetet, Tinkturen gemischt und gut davon gelebt, so gut, dass sie in ihrem Kloster bald ein Sanatorium eröffneten. Ein prächtiges Geschäft bis mit der Baktereologie die geschulte Medizin ihren vernichtenden Siegeszug antrat, danach wurden Heilwässerchen, die bis dahin vielleicht geholfen hatten, umgehend zum lebensgefährlichen Aberglauben erklärt und jene die selbiges verabreichten, als Kurpfuscher angeklagt. Im Zuge dieses medizinischen Siegestaumels wurden die Nonnen aus ihrem Gewerbe gedrängt, selbst Hebammen mussten Männern in weißen Kitteln weichen, weshalb inzwischen aus beinahe jeder simplen Schwangerschaft ein durchtechnisiertes Unterfangen geworden ist. Das Sanatorium mussten sie also schließen, doch statt sich artig hinzusetzen und ein für allemal auszustreben, eröffneten die Nonnen frohgemut ein Altenheim. Der Schulmedizin sei Dank, läuft der Laden bis heute ganz prima. Somit steht am Ortseingang von Zweiburgen ein ausgesprochen flexibler, global aufgestellter Konzern, mildtätiger Dienstleister auf dem wachsenden Markt der finalen Pflege, finanziert aus diversen Kanälen und unschlagbar wettbewerbsfähig durch bemerkenswert niedrige Löhne für ein unterwürfiges Personal, ergeben in Dankbarkeit ihrem Herrn dienen zu dürfen. Dieses krass erfolgreiche Konzept, hier im Wald schon lange erprobt, wurde mittlerweile weltweit zum Standard erhoben.

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      Nach dieser bewegenden Geschichte müsste hinter diesem letzten Hügel eigentlich eine glitzernde Metropole voll der blinkenden Werbetafeln mit frohen Botschaften aufwarten, doch auf die letzte Kurve folgt bloß ein Dorf. Aus der Jahrhunderte währenden Anstrengung ist nur ein Nest geworden, wenn auch ein Kreishauptnest. Zweiburgen ist die größte Ortschaft im Umkreis von zahllosen Hügeln, eine hügelweite Bedeutung die sofort ins Auge fällt, wegen der Kirche im Dorf. Umgeben von Häuschen, Scheunen, Stallungen steht alles erschlagend dieser Koloss, mit dem versucht wurde, den Himmel zu erreichen, mindestens aber Gott ein Zeichen zu geben. Dieses Ding mitten im Dorf ist bei weitem keine Kirche, es ist eine Kathedrale, als sei darin jeder dazu angehalten, sich selbst zu krönen.

      Diese Kathedrale gleicht einem zu Stein gewordenen Alptraum, wirken hier sogar die Regenrinnen bedrohlich, wenn an deren Enden teuflische Drachen ins Kupfer gestanzt sind, als könnten sie nur pures Gift speien. Im Inneren, für den der sich gruseln möchte, sind Figuren aufgestellt, große und kleine aus Holz, in deren Gesichter Höllenqualen geschnitzt sind. Dieses Theater des Schreckens wird jedoch unmissverständlich von einem peinlich Gequälten beherrscht, ein Gekreuzigter aus Holz, gehalten mit Nägeln aus Metall an Händen und Füßen, hat er ein Stück Stacheldraht auf dem Kopf, der ihm entkräftet auf der Schulter ruht. Mit treffend roter Farbe sind ihm blutende Wunden gemalt. Dort hängt er tot, wenn er nicht sowieso leblos wäre. Wirklich seltsam aber bleibt, dass dieses Gruselkabinett Heil spenden soll.

      Dort, wie sie da so steht auf diesem Hügel, imposant und abweisend, ist die Kathedrale nur über eine steinerne alte Treppe zugänglich, deren Stufen unmittelbar zum Eingang führen. Hier angekommen, kann von der einen Seite des Ungetüms auf die ältesten Häuser im Dorf hinab geschaut werden, auf der anderen Seite, kaum einladend, verläuft ein schmaler, feuchter Gang an einer hohen Mauer aus bemoosten Steinquadern entlang. Am Ende, in die Mauer eingelassen, findet sich eine weitere Treppe, ist ihr Ziel von unten nicht abzusehen, als führe sie geradewegs in den Himmel. Wer an der finsteren Kathedrale vorbei durch diesen dunklen Gang geht, endlich diese Stufen bezwingt, hat den friedlichsten Ort im Kosmos erreicht. Wer hier oben steht, kann das ganze Dorf sehen, wer hier liegt, tut dies auf ewig in Frieden.

      Zwischen den Gräbern, voll der bunten Blumen und brennenden Kerzen, lässt sich ein herrlicher Ausblick geniessen. Von der Kathedrale ist nur der Glockenturm sichtbar, nachgerade malerisch. Zweiburgen wird zum idyllischen Ort, vom Friedhof aus betrachtet. Und von soweit oben wird deutlich: in dieser von bewaldeten Hügeln förmlich eingekesselten Landschaft lässt sich seriös kein Reich gründen, es gibt nämlich gar keinen Platz für den unvermeidlichen Tand mit dem sich der Größenwahn so gerne schmückt. "Ich und mein ausuferndes Ego, wir sind auserkoren, ein famöses Reich zu führen." Wer an solch ermüdenden Allüren leidet, der will keine Prachtallee, die sich Hügelchen hinauf und hinab schleppen muss, weil dadurch die unabdingbar protzigen Bauten gar nicht zur Geltung kämen. Neben die Kathedrale passt kein Schloss, nicht einmal ein Lustgarten, ganz zu schweigen von opulenten Residenzen für die unausweichlichen Hofschranzen, lässt sich hier höchstens ein Reiterdenkmal einquetschen. Immerhin, denn so ein Ding darf in keinem Reich fehlen: immer derselbe Mann auf immer demselben Pferd, immer wieder eingeschmolzen und immer wieder aufgestellt, mal als Ottokar der Muskulöse, mal als Fridolin der Wackere. Der einzige Grund warum es heutzutage sowas nicht mehr gibt, ist, weil ein Winfried der Verbohrte sich nicht mehr auf ein Pferd setzen möchte und ein Denkmal mit Reiter im Auto keinen Sinn ergibt.

      Bis