Jürgen Heller

Die Tochter, die vom Himmel fiel


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Licht unter einen Scheffel oder einen Tisch, sondern auf einen Leuchter, um das Haus zu erhellen. Also, lass dein Licht leuchten."

      "Na sag ich doch, auch ohne Bibel. Aber bei Bibel fällt mir ein, ich muss morgen früh raus. Kriege Besuch und da muss ich noch einiges erledigen."

      "Aber Bruno, jetzt wirst du albern. Ich meine die zehn Minuten wirst du wohl noch aushalten. Außerdem, wir sind doch dein Besuch, wir kommen doch nicht zum Frühstück."

      Bruno versucht den Lässigen zu spielen, den Coolen, dem sein Geburtstag völlig egal und dem Zeremonien sowieso zuwider sind. Aber obwohl er eigentlich ein ganz guter Schauspieler ist, diese Rolle hier und jetzt überzeugt nicht. Womöglich liegt es auch daran, dass Karla inzwischen aus ihrer Handtasche ein kleines viereckiges Päckchen herausgeholt hat, blauglänzendes Papier mit einer Schleife aus weißem Satinband, eindeutig Geschenk. Da ist Brunos Neugier natürlich erwacht, trotz der späten Stunde.

      "Na gut, das ziehen wir jetzt noch durch aber dann ist Schluss, ich bin hundemüde."

      Bruno hat schon seit einiger Zeit das Gefühl, dass seine Feinmotorik nicht mehr diese Präzision früherer Jahre hat. Das macht sich besonders beim Öffnen von Verpackungen bemerkbar. Was hat er schon für nervenaufreibende Momente erlebt. Erst neulich wieder, eine neue Speicherkarte musste her, eine sogenannte SD-Karte. Also Ladendiebstahl hin oder her, warum aber alle Käufer von solchen Speicherkarten nun gezwungen werden, eine im Vergleich zum Inhalt ungefähr fünfzig Mal so große Blisterverpackung öffnen zu müssen, das wissen die Götter. Scheinbar gibt es aber keine Verpackungsgötter und falls doch, meinen sie es nicht gut mit den Menschen. Bruno hat sich schon lange angewöhnt, um die Verletzungsgefahr zu reduzieren, solche Verpackungen nur noch mit geeignetem Werkzeug zu öffnen. Nur hat er das jetzt natürlich nicht dabei. Aber es ist ja auch keine Blisterverpackung, nur eine in Geschenkpapier eingewickelte Pappschachtel, die mit Klebeband und einer Schleife gesichert ist. Allerdings, Klebeband war wohl gerade im Angebot. Sylvia erbarmt sich seiner und holt eine Schere vom Tresen. Schon geht es besser. Obwohl ihm sechs Augen auf die Finger schauen, Brunos Operation gelingt. Schon beim Anblick der kleinen dunkelblauen Pappschachtel beginnt er zu ahnen, dass es sich wohl tatsächlich um einen Ohrring handeln könnte.

       Scheiße, war doch nur ein Witz. Jetzt muss ich mir tatsächlich ein Loch ins Ohrläppchen schießen lassen? Auf gar keinen Fall! Hier endet die Freundschaft …

      Der Ohrring ist zwar ein Ring aber nicht für Brunos Ohr, sondern für seinen Finger und da muss auch kein Loch gebohrt werden, einfach aufstecken. Bruno lächelt, streckt den linken Arm aus und hält die Hand hoch. Er hätte nicht gedacht, dass er jemals einen Ring tragen würde, schon gar nicht so einen. Früher, noch als Kind, trug er ab und zu Ringe, Plastiktotenkopf mit giftig glänzendem Metallüberzug, natürlich Kaugummiautomat. Aber der hier, alter Schwede, da hat sich Karla aber richtig angestrengt.

      "Gefällt er dir? Schau her, ist genau der gleiche wie der, den du mir vor zwei Jahren von der Ostsee mitgebracht hast. Nur, dass meiner noch den kleinen Stein hat, das fand ich aber für einen Herrenring unpassend. Jetzt sind wir schon seit zwei Jahren verlobt und endlich können es alle sehen."

      Bruno ist tatsächlich etwas gerührt, kann aber auch an der alkoholischen Nebenwirkung liegen, dann wird er oft mal melancholisch. Er beugt sich zu Karla rüber und flüstert ihr ein Herzliches Dankeschön ins Ohr. Dann noch einmal ein Blick auf seinen beringten Finger und endlich ist es Mitternacht, Bruno hat Geburtstag. Jetzt gerade berührt es ihn noch nicht, aber die Momente werden kommen, wieder ein Jahr vorüber. Vorüber im Sinne von vorbei, vergangen, nichts mehr zu retten, kann man nicht mehr eingreifen, rückwirkend. Die Vier stoßen noch einmal an und Bruno lässt die Gratulationszeremonie tapfer über sich ergehen. Immerhin Gelegenheit, noch einmal ungestraft den engen Körperkontakt mit Sylvia zu spüren.

      Draußen ist es angenehm kühl im Vergleich zu den Tagestemperaturen. Man kann richtig durchatmen. Karla hat ihre Strickjacke übergezogen und sich bei Bruno eingehängt. Die Straßen sind menschenleer und es herrscht eine Stille, wie sie nur die Nacht erzeugen kann. Umso lauter hallen Karlas Schritte durch die Dunkelheit. Beim Überqueren der Berliner Straße müssen sie aber doch aufpassen, einige wenige Autos sind noch unterwegs und an dem Taxistand warten zwei Fahrzeuge mit laufendem Motor, wohl wegen der Klimaanlage. Die Menschen werden eben nicht gescheit, müssen immer und überall auch die fragwürdigsten Errungenschaften benutzen.

       Technischer Fortschritt, dass ich nicht lache. Die Idioten könnten bei der Temperatur doch auch mal die Fenster öffnen. Sind doch nicht mal 20 Grad.

      Bruno fingert sein Schlüsselbund aus der Jackentasche und schließt die Haustür auf. Um die Zeit wird wohl Frau Krause nicht mehr hinter der Tür lauern. Aber als sie die Tür des Hausdrachens passieren, können sie deutlich den lauten Fernseher hören, wahrscheinlich ist die gute Frau vor ihrer Kiste eingeschlafen. Nur gut, dass Bruno zwei Treppen höher wohnt. Da hört er davon nichts. Irgendwie ist das Zeitrelais für die Treppenbeleuchtung falsch eingestellt oder sie sind mit ihrer Bettschwere belastet einfach zu langsam. Jedenfalls schaffen sie es nicht bis zur Wohnungstür, schlagartig stockdunkel. Zum Glück ist der Lichtschalter mit einem Leuchtknopf ausgestattet und Bruno hat kein Problem dort hinüberzugehen, um das Licht noch einmal einzuschalten. Wobei kein Problem nicht ganz richtig. Wenn da nicht dieser Widerstand wäre, dieses Hindernis, das in der Dunkelheit eine nicht vorherzusehende, gefährliche Falle darstellt. Bruno gerät ins Straucheln und kann sich gerade noch so an der Wand abfangen. Seine Hand landet mehr durch Zufall auf dem Lichtschalter und dadurch kann man sie sehen. Eine zusammengekrümmt am Boden hockende Frau, Alter schwer zu schätzen. Sie hat es sich offenbar mit ihrem riesigen Rucksack so gemütlich wie möglich gemacht.

      "Scheiße, hab ich mich erschrocken! Was machen Sie denn da? Wollen Sie zu Möllers oder wollen Sie hier übernachten?"

      Brunos Lautstärke soll wohl ein wenig seinen Schrecken überspielen. Auf der Etage wohnen nur er und ein älteres Ehepaar, das aber die Hälfte des Jahres bei seinen Kindern in Spanien verbringt. Karla ist auch der Schreck in die Glieder gefahren und sie hat schon ihr Handy in der Hand.

      "Soll ich die Polizei anrufen? Guck dir mal an, wie die aussieht."

      "Moment, darf ich auch mal was sagen?"

      Die Frau kommt geschmeidig auf die Beine und jetzt kann man sehen, dass sie noch recht jung ist, Bruno schätzt sie auf dreißig, vielleicht etwas darüber. Sie trägt Jeans und ein buntes T-Shirt. Ihre lockigen blonden Haare hat sie mit einem schwarzen Tuch gebändigt, das sie wie eine Indianerin um die Stirn gebunden hat. Sie ist ungeschminkt und auch nicht besonders hübsch, hat aber etwas, das Bruno sofort fasziniert, besonders ihre hellblauen Augen. Diesen hypnotischen Blick muss man erst mal aushalten können, nicht ganz easy.

      "Mein Name ist Konny Kramer. Ich weiß, ziemlich blöder Name aber meine Mutter mochte wohl diesen Schlager damals, und da Kramer nun mal vorgegeben war, hat sie Konny als Vornamen gewählt, aber Konny mit K. Ich bin ja auch kein Junge, wie der Conny, der in dem Lied verstorben war."

      "Es ist auch kein Schlager und hat im Original nichts mit einem Drogentoten zu tun, sondern ist ein Song über den amerikanischen Bürgerkrieg."

      "Ach was weiß ich, ist mir auch egal. Sag mal, können wir nicht reingehen. Ich muss dir was zeigen."

      Das kann er ja gerade so leiden, diese plump vertrauliche Art von Menschen, die man gar nicht kennt. Bruno sucht den Blickkontakt zu Karla. Die signalisiert etwas zwischen Bist-du-bekloppt-? und Besser-als-hier-draußen-stehen.

      "Also gut, zehn Minuten, dann zischen Sie wieder ab."

      Bruno macht keine Anstalten, der fremden Frau einen Platz anzubieten. Die hat ihren 40-Liter Rucksack auf einen Sessel gewuchtet und fängt an, in den diversen Reisverschlusstaschen herumzukramen. Bruno beobachtet sie dabei und stellt fest, dass man für ihre Figur diese engen Jeans erfinden müsste, wenn es sie nicht schon gäbe. Konny Kramer legt einen großen gelben Briefumschlag auf den Tisch, nebst einer Zigarettenschachtel und einem Feuerzeug.

      "Hier drinnen wird nicht geraucht. Und kommen Sie endlich zur Sache. Von den