Kim Bergmann

Schein oder Nichtschein


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hat. Und erst die Haare... du bist sehr versucht, nachzuschauen, ob ein Vogel sein Ei in dieses Gebilde gelegt hat."

      Salomo hieb nachdrücklich einen neuen Nagel in die Sohle des Schuhes, den er gerade bearbeitete.

      "Dann bist du erst geschockt, doch es kommt noch schlimmer. Sie benimmt sich nicht so halbwegs vernünftig wie sonst, nein, sie kichert blöd, hebt den Saum ihres unpraktischen Kleides ein Stückchen, dreht sich um sich selbst und fragt: 'Wie sehe ich aus?' Und hier, mein Junge, darfst du nie, nie, niemals die Wahrheit sagen! Glaube mir, ich habe es einmal getan."

      Wie in schmerzhafter Erinnerung hob er die linke Hand an die Wange.

      „Ich bin dann allein zum Dorffest gegangen.“

      Helge hob erstaunt den Kopf. Sein Onkel hatte einmal eine Frau gekannt, eine ganz richtige Frau? Das war ihm neu. Salomo bemerkte den Blick und knurrte: "Mach weiter, Junge!"

      Erst dachte Helge, das Gespräch sei beendet, doch nach einer Weile fuhr sein Meister fort: "Das Schlimmste an ihnen ist, dass sie nicht logisch sind. Man kann sie einfach nicht verstehen. Lass dir erzählen, Junge, was einst... ähm... einem Freund von mir passiert ist: Er war ein junger Mann, sah ganz passabel aus und war mit einer Frau verabredet. Er wusste inzwischen recht gut, in welchen Situationen man lügen muss, und so dachte er sich nichts Böses, als er an die Tür der Frau klopfte und sich auf eine längere Wartezeit einrichtete. Er hatte die Blumen sogar in einer Vase mitgebracht. Doch diesmal kam alles anders. Anstatt zu rufen, riss die Frau die Tür auf (sie sah aus wie immer, nur wütender), quietschte mit blitzenden Augen: 'Ihr seid doch alle gleich', gab m... meinem Freund eine schallende Ohrfeige und warf die Tür wieder zu.

      Später stellte sich heraus, dass ein paar Stunden vor der Verabredung eine Freundin diese Frau aufgesucht hatte, um ihr von den Missetaten eines Bekannten meines Freundes zu berichten. Die Frau war so ergriffen, dass sie meinem Freund aus Solidarität auch den Laufpass gab, aber nur," hier meinte Helge leises Zähneknirschen zu vernehmen, "um einige Wochen später mit eben jenem Mann auf ein Fest im Nachbardorf zu gehen, über den ihre Freundin sich beklagt hatte." Salomos Hammerschläge wurden fester. "Mein Freund hat danach den Frauen ganz abgeschworen, und ich rate dir, nimm dir ein Beispiel an ihm. Frauen machen bloß Ärgauu!"

      Salomos sonst so sichere Hand war abgerutscht und der Hammer auf seinem Daumen gelandet. Helge war zutiefst beeindruckt. Frauen mussten tatsächlich schlimm sein, wenn allein die Erinnerung an die Leiden anderer Salomo so aus der Bahn werfen konnte. Und wer, fragte er sich, war dieser mysteriöse Freund, dessen Schicksal seinen Onkel so sehr beschäftigte?

      Vorsichtig warf er einen Blick in die Ecke, in der Salomo kauerte und leise fluchend seinen Daumen untersuchte. Er zuckte zusammen, als der Verwundete den Blick hob und polterte: "Nie wieder sprichst du mich auf dieses Thema an, hast du verstanden?"

      Es klopfte an der Haustür - für Helge die Rettung aus einer unangenehmen Situation. Er sprang auf und wich zur Tür zurück.

      "Verstanden? Ja, sicher, Onkel, nein, ich spreche dich nie mehr darauf an... es hat geklopft!" Und er floh aus der Werkstatt, mitten hinein in das Abenteuer seines Lebens.

      Kapitel 4

      "Sie ist WAS?!!" brüllte Edwin der Cholerische. Der Diener vor ihm wich mit angstverzerrtem Gesicht zurck. Zahlreiche Narben an ihm zeugten von seiner langjährigen Tätigkeit als Überbringer schlechter Nachrichten. Da aber auch die Wachen hinter ihm ihren normalen Platz gegen einen viel weiter hinten im Saal eingetauscht hatten, konnte er sich hinter niemandem verstecken. Allein auf weiter Flur blieb er gottergeben stehen und hoffte wider besseres Wissen das Beste.

      "Sie ist... ähm, weg, Herr, wenn Euer Durchlaucht erlauben...", stotterte er.

      "Ich erlaube NICHT!", donnerte Edwin ihn an. "Wie ist sie überhaupt hier herausgekommen?"

      Gequält blickte der Diener zur Seite.

      "Sie... sie hat Welpe mitgenommen, Hoheit, und ist mit ihm über die Palastwachen gesprungen."

      Bei Welpe handelte es sich um das beste Jagdpferd des Königs. Zu seinem Namen und seiner Schnelligkeit war es gekommen, weil es von einer Jagdhündin großgezogen worden und die ersten Jahre über auf der Jagd bei der Meute mitgelaufen war. Dann war irgendeinem Freigeist - die Leute auf Glandor gewöhnten sich nur schwer an Veränderungen - aufgefallen, dass es sich bei Welpe um ein Pferd handelte, und es war auf dessen nachdrücklichen Wunsch hin als Kuriosität an des Königs Hof gekommen.

      Edwin sprang auf, stieß den Diener beiseite und brüllte nach seinem ergebenen Hauptmann, der Sekunden später eifrig erschien. Sein Name war Brontus, und genau so sah er auch aus.

      "Sie ist also weg, ja? Nimm ein paar Männer und bring sie mir zurück! Und Welpe auch!"

      Brontus' kleine Augen bekamen einen freudigen Glanz. Er salutierte zackig und verließ den Saal, während Edwin noch etwas einfiel.

      "Brontus", rief er dem Davoneilenden nach. "Bring sie unverletzt zurück!"

      *

      Helge stolperte durch die Küche, öffnete die Tür und erstarrte.

      Dann schloss er sie wieder, um sie erneut zu öffnen, vorsichtig diesmal.

      Nein, es war keine Sinnestäuschung gewesen.

      Im Mondschein vor ihm stand ein Mädchen.

      Mehr als das.

      Sie war ein fleischgewordenes Gedicht. Ein sehr energisch aussehendes Gedicht. Glänzende Locken kringelten sich unter einem Kriegerhelm hervor, die Bergseen-Augen blickten gebieterisch, eine Rüstung - halb Leder, halb Stahl - umhüllte die schlanke Gestalt. In der einen Hand hielt sie die Zügel eines mächtigen Pferdes, die andere ruhte locker auf dem Heft ihres Schwerts.

      Helge öffnete den Mund, um zu sagen: "Nun weiß ich, warum die Sonne nicht mehr scheint: Sie schämt sich, denn ihre Schönheit verblasst neben der deinen!" Leider war seine Zunge noch zu überrascht, und was er tatsächlich sagte, klang eher nach "grllnng".

      "Ja, sicher", erwiderte das Gedicht mit einer Stimme, die Helge einen wohligen Schauer über den Rücken jagte. "Ich wollte fragen, ob du uns beiden ein Obdach für die Nacht bieten kannst? Mein Pferd und ich sind müde."

      "Nein, das kann er nicht", erklang Salomos wütende Stimme. Den Daumen im Mund, erschien er hinter seinem Neffen, erblickte das Gedicht und erstarrte. Langsam ließ er die Hand sinken, und in seine Augen trat ein etwas dümmlicher Ausdruck.

      "Ich, äh, ich wollte sagen, dass er das nicht entscheiden kann, da es sich hier um mein Haus handelt. Tritt doch ein! Helge, kümmere dich um das Pferd, bring es zu Hengst und Stute in den Stall!" Salomos Pferde hießen tatsächlich so. Kreativität war nun einmal nicht seine Stärke.

      Das Gedicht drückte Helge die Zügel in die Hand und schenkte ihm ein dankbares Lächeln, ehe sie sich Salomo zuwandte. "Das ist sehr nett von dir, danke. Gestattet, dass ich mich vorstelle: Mein Name ist Hera, und ich bin Krieger und Abenteurer." Meister und Lehrling schwiegen verwirrt und versuchten, das Gehörte mit der energischen kleinen Person gegenüber in Einklang zu bringen. Schließlich platzte Helge heraus: "Aber... aber du bist ein Mädchen!" Hera fuhr zu ihm herum, in ihren blauen Augen blitzte es kriegerisch auf, als sie die Hände in die Hüften stemmte. "Ich bin eine Frau, ja. Und es ist albern, dass nur Männer gewisse Berufe ergreifen dürfen. Nebenbei, wer bist du?"

      "Helge", sagte Helge und kam sich blöd vor.

      Ein versöhnliches Lächeln erschien auf Heras Gesicht. "Ach, du bist auch emanzipiert?"

      Sie tätschelte den Hals des Riesenrosses. "Das hier ist Welpe. Er hat Durst!" Helge sagte: "Oh, ja, sicher, hätte ich auch, ich meine, hab ich auch, kann ich verstehen, echt..." und führte Welpe in den Stall. Als er ihn versorgt und sich vergewissert hatte, dass Hengst und Stute ihn freundlich anschnaubten, lief er schnell zurück zum Haus.

      In der Küche saß Hera Salomo gegenber und ließ sich das Mahl schmecken, das er ihr bereitet hatte. Helm, Schwert,