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Verena K. Bauer
Märchen aus Toffiland 1
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Inhaltsverzeichnis
Der Karottengeist
„Ich hasse dich!“ rief das kleine Mädchen und warf die Karotte auf den Küchenboden. „Aber Daniela, wieso sagst und tust du denn so etwas?“ fragte ihre Mutter erstaunt. Da Daniela nichts darauf antwortete, wurde sie nun ermahnt, dass man Essen nicht schändet und dass Karotten gesund seien. „Ach!“ maulte das Mädchen nur, ließ sich die Karotte von der Mutter in den Schulranzen packen und verließ das Haus.
Weil Daniela nicht besonders gerne zur Schule ging, setzte sie sich auf dem Weg dorthin lieber noch eine Weile auf einen Baumstrunk. Das machte sie jeden Morgen und jeden Morgen hoffte sie auch, dass die Schule verschwunden sein würde, wenn sie ins Dorf kam. Und sie wünschte sich, dass sie keine Karotten mehr mitnehmen musste. Andere Kinder bekamen Schokolade oder Sandwiches mit, nur sie, sie musste immer eine Karotte mitnehmen.
„Wieso hast du gesagt, dass du mich hasst, Daniela?“ ertönte da eine sehr tiefe Stimme neben ihr. Das kleine Mädchen erschrak fürchterlich, denn sie war in ihren Gedanken versunken gewesen! Nun sprang sie auf und sah sich um. Aber da war ja gar niemand zu sehen. „Sag mir, wieso du das gesagt hast, Daniela“ brummte die Stimme wieder. Wie begann sich die Kleine da zu fürchten! Rasch packte sie ihren Schulranzen und lief Richtung Dorf, so schnell sie konnte. Aber da ertönte erneut diese Stimme, ganz dicht bei ihr: „Daniela, wieso hast du es gesagt? Wieso?“
Daniela war jetzt angst und bange zumute. Mit zittriger Stimme fragte sie: „We-wer bist du? Und wo bist du?“ Sie fürchtete sich nun so sehr, dass ihre Beine sie nicht mehr weiter trugen. So blieb sie stehen, wo sie war und fürchtete sich sehr.
„Ich bin der Karottengeist, Daniela. Wieso hasst du mich? Ich habe dir nichts Böses getan.“ Da war die Stimme wieder, so nahe bei ihr. „Wenn du nun so freundlich wärst und mich aus deinem Schulranzen holen könntest, wäre ich dir sehr verbunden.“ „Was?“ entfuhr es Daniela so laut, dass sie schnell die Hand vor den Mund schlug.
„Ich bitte höflich um Verzeihung, aber bitte, nimm mich jetzt aus diesem Gefängnis heraus.“ fuhr die Stimme fort. Das kleine Mädchen wusste gar nicht, wie ihm geschah und es glaubte an einen üblen Scherz. Dennoch nahm es den Ranzen vom Rücken, stellte ihn auf den Weg und machte die Schnallen auf. Ängstlich nahm sie die verhasste Karotte, die sie in der Küche auf den Boden geworfen hatte, aus dem Schulsack und legte sie schnell auf die kleine Straße. Wenn das nur niemand sah!
„Danke dir“, brummte die Stimme und nun begann sich die Karotte immer schneller im Kreis zu drehen, bis Staub aufgewirbelt wurde. Die Staubwolke wurde schnell größer, bis sie so groß war wie ein sehr großer Baum und sie wurde orange wie die Karotte. Als sich das Gebilde endlich nicht mehr drehte, sah es aus wie eine riesige Karottenwolke mit riesigen Augen, einem riesigen Mund und einem grünen Büschel obendrauf. Zu Tode erschrocken stand Daniela da und starrte auf die orange Wolke, die sie um viele Meter überragte.
„Sagst du mir jetzt endlich, wieso du mich hasst?“ kam nun die tiefe Stimme aus dem Karotten-Wolken-Mund. „Du musst auch gar keine Angst vor mir haben, ich tue dir nichts, Daniela.“
Die Kleine erinnerte sich nun wieder daran, wieso sie Karotten hasste und so nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und rief zornig: „Weil mich in der Schule alle auslachen, weil ich Haare habe wie eine Karotte! Und dann muss ich auch jeden Tag so eine blöde Karotte mitnehmen für die Pause und dann lachen sie mich noch mehr aus! Und sie ziehen mich an meinen hässlichen, orangen Haaren und tun mir weh!“
„Aber, aber!“ entfuhr es dem Karottengeist und er wich ein wenig zurück. „Hässlich? Also ich bitte dich, deine Haare sind doch nicht hässlich, sie haben eine wunderschöne Farbe! Sie sind von derselben Farbe wie ich und ich bin doch wohl nicht hässlich!“ „Ja, aber du bist eine Karotte und ich bin ein Mädchen. Deshalb piesacken sie mich alle!“ Nun kullerten erst ein paar dicke Tränen aus den blauen Augen, dann wurden es immer mehr und endlich begann Daniela so sehr zu weinen, dass sie richtig durchgeschüttelt wurde.
Etwas hilflos und unangenehm berührt beobachtete der Karottengeist das weinende Kind. Er wusste im Augenblick gerade nicht, was er nun mit der Kleinen anfangen sollte, die da mit gesenktem Kopf vor ihm auf dem Weg stand und furchtbar schluchzte. „Hässlich...“, murmelte er. „Ist doch nicht hässlich, ist eine sehr schöne Farbe. Hmm...“ Mit weinenden Kindern kannte er sich überhaupt nicht aus, eigentlich überhaupt nicht mit Kindern. Aber der Geist verstand sehr wohl, dass Daniela sehr traurig war. Weil sie karottenfarbene Haare hatte und deshalb von den anderen Kindern gehänselt wurde. Doch, soviel hatte er jetzt begriffen und jetzt wurde er mächtig wütend.
„Na wartet, ihr boshaften Kerle, euch zeige ich, was es heißt, ein Mädchen zu beleidigen, das aussieht wie ich!“ rief er mit dröhnender Stimme und wurde noch ein bisschen größer.
Daniela zuckte zusammen, als seine tiefe Stimme auf einmal so wütend war. Aber der Karottengeist sagte: „Habe keine Angst, Daniela. Ich bin dein Freund.“ Und dann erklärte er ihr, dass sie wie gewohnt zur Schule gehen sollte und er ihr helfen würde.
Kurz darauf setzte das Mädchen seinen Weg endlich fort. Die Stunde hatte schon begonnen, als sie in der Schule ankam. Sie wurde von der Lehrerin getadelt und die ganze Klasse lachte. Mit gesenktem Kopf ging sie zu ihrem Platz und drückte dabei den Schulranzen fest an sich. 'Jetzt kann mir nichts mehr passieren, jetzt habe ich einen großen Freund', dachte sie. Aber viel mutiger machte sie das nicht. Schüchtern drückte sie sich auf ihren Stuhl und hoffte, dass der Tag bald zu Ende ging. Und der Nächste auch. Und alle anderen Tage ihres Lebens.
Als die Schulglocke zur Pause rief, öffnete Daniela unsicher ihren Schulranzen und nahm die Karotte raus. Diese fest in der Hand haltend, folgte sie den anderen mit größerem Abstand auf den Pausenhof. Vielleicht würden sie sie diesmal nicht bemerken. Und sie hatte ja ihren Karottengeist-Freund in der Hand. Alles würde gut werden. Im Moment war aber gar nichts gut.
„Daniela, Karottenkopf!“ „Du,