Mona Checinski

Der Geruch von Heimat


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zwei Fahrräder nebeneinander hätten fahren wollen.

      Dies ist meine Reise in das Land meiner Väter. Eine Reise, die ich erst mit 46 Lenzen antreten konnte und die den Kreis der Ahnen und auch meine Wurzelsuche geschlossen hat. Natürlich haben wir trotz der kurzen Zeit in Andalusien, eine knappe Woche nur, nicht nur meine Vatersfamilie besucht, sondern uns neben Malaga auch die Alhambra angeschaut und auf einer dreistündigen Fahrt in unserem schnuckeligen Cinquecento die Serrania von Ronda erlebt. In Ronda selbst haben wir auch Halt gemacht und bei Serrano und Wein direkt an der gut 100 m tiefen Schlucht den atemberaubenden Ausblick genossen. In Cortes de la Frontera dann, nur 10 km weiter, haben wir einen Teil meiner mir bis dato unbekannten Familie besucht. Von den vielen Brüdern meines Vaters leben noch zwei. Einer von ihnen ist für diesen Tag unser stolzer Gastgeber. Auch habe ich meine Großeltern aufgesucht, die allerdings schon seit einigen Jahren einen ruhigen Platz gefunden haben. Alex und ich werden herzlich auf spanisch aufgenommen. Nach fünf Stunden Familienschnellkennenlerntrip, Mittagessen, von Onkel zu Onkel, und Cousinen in Mengen, von Friedhof zum ehemaligen Haus meiner verstorbenen Großeltern und zum Abschluß noch gemeinsam in eine Bar sind wir beide völlig platt. Das wenige Spanisch, dass ich von mir gebe wird am Ende noch weniger und obwohl mein Onkel nicht verstehen kann, warum wir nicht bei ihm übernachten, was ich zunächst auch gerne getan hätte, bin ich am Ende doch froh, dass Alex Druck macht und wieder zurück nach Malaga in unsere Ferienwohnung will.

      Die prall gefüllten Tage in Andalusien vergehen wie im Flug. Ich bin sofort ganz da und sauge den Geruch des Südens jeden Tag in mich ein. Zu gerne wäre ich dort geblieben. Ausgeklügelte Phantasien eines jungen Mädchens überfallen mich am Abreisetag. Einfach einen Job finden, am besten gleich bei der Autovermietung selbst, die brauchen ja auch Deutschsprachige…und da bleiben. Ich will nicht zurück.

       Herzlich willkommen

      im internationalen Lesezimmer, nehmen Sie Platz und lesen Sie, was ich aus meinem Leben ausplaudern werde. Was nicht erwähnt wird, das mag der geneigte Leser selbst zwischen den Zeilen erahnen. Spanien, Deutschland, Italien, mehr Europa geht nicht. In Deutschland geboren, Vater aus Andalusien, der vor fast 50 Jahren als Gastarbeiter nach Deutschland kam, Mutter aus Westpreußen sowie drei Kindern aus einer 15jährigen italienischen Ehe kann ich mich getrost als Europäerin bezeichnen. Ich spreche meine Mutters Sprache und suchte lange Jahre nach Vaters Land. Das habe ich in diesem Jahr endlich besucht und mit allen Sinnen gefunden, was gefehlt hat. Heimat kann ich auf Nachfragen zwar immer noch schwer deklarieren, aber ich kann sie fühlen. Heimat, nicht ohne Wurzeln.

      Dieses Buch ist in Lebensabschnitts-Kurzgeschichten aus meinem bislang 47jährigen Dasein eingeteilt. Wer mag, kann also nach persönlicher Leselaune einzelne Episoden lesen oder chronologisch von vorn bis hinten. Ich bin ein Kind des Windes und somit der Freiheit, meiner und ihrer verpflichtet.

      Warum ich schon im Alter von 47 Jahren meine Lebenserinnerungen aufschreibe? Im Verhältnis zu Herrn Heesters mag ich noch als Backfisch wirken, stimmt. Allerdings zeichnet sich derzeit eine große Veränderung in meinem Leben ab. Eine innere Veränderung zunächst, gefühlt aber einem Abschluß einer Epoche gleich und diese möchte ich festhalten. Für mich, für alle beteiligten Personen, für die vielen Menschen, denen es ähnlich geht und erging. Diesen soll meine Geschichte als verstehender, freundschaftlicher Schulterschluss dienen.

      Und ich schreibe für Frauen, die wie ich in den 60ern geboren und von Müttern dieser Zeit geprägt wurden. Ganz besonders sind die nachfolgenden Seiten für Frauen gedacht, die ihre Kinder mit erstaunlicher Selbstverständlichkeit schon recht früh in Kindertagesstätten stecken oder zu Tagesmüttern bringen, nur der Karriere, der Finanzen oder gar der Ruhe wegen. Und obwohl die Folgen von Fremderziehung, vor allem seitens des Staates, genug bekannt sind, werden in Deutschland schon wieder Kinder je früher, desto besser weggesteckt. Raus aus dem familiären Verbund, raus aus dem, was die Kultur eines Landes, Kultur des Menschseins ausmacht bzw. ausmachen sollte. Ich schreibe für Frauen, die sich wie selbstverständlich in internationale Beziehungen begeben und deren Kinder dann die ewig Wurzelsuchenden bleiben. Mir ist es selbst so ergangen und genau so auch meinen eigenen Kindern. Und ich schreibe für Menschen, die wissen, dass man aus jeder Lebensgeschichte, wenn es auch nicht die eigene ist, immer etwas Nützliches herausziehen kann. Und last but not least schreibe ich ganz besonders für meine drei Kinder meine Lebensgeschichte nieder. Die Geschichte, die auch Teil ihrer eigenen ist.

      Alle folgenden Begebenheiten entsprechen den Tatsachen. Natürlich sind sie auch mit der Farbe meiner ganz persönlichen Erfahrung und Wahrnehmung getüncht. Bei den weniger schönen Episoden meines Lebens fiel es mir teilweise schwer, nicht einen gewissen Zynismus und den erhobenen Zeigefinger aufblitzen zu lassen. Meiner Schwester sei Dank. Sie hat mich auf meine teils harten Worte hingewiesen und gemahnt, hin und wieder emotionale Befindlichkeiten nicht ganz so intensiv einfließen zu lassen. Viele Geschichten sind hier nicht erwähnt, andere nur am Rande gestreift oder sehr zusammengerafft erzählt. Bis ins Detail zu gehen ist manchmal zu tief. Zum Schutz aller Beteiligten habe ich ALLE Namen verändert. Einzig Herrn Dr. Burschel sowie seine Website zum Thema Säuglingsheime habe ich mit seinem Einverständnis mit realem Namen belassen. Auch die Orte sind nicht verändert worden.

      Um was es geht

      Ich bin am 10. Oktober 1966 in Remscheid geboren und habe meine Lebensreise bereits als sechs Wochen alter Säugling mit einer dreijährigen „Voll-Pension“ gestartet. Seinerzeit waren dies gut gebuchte Säuglingsheime, die in ganz Deutschland sowie angrenzenden Ländern (Schweiz, Österreich, DDR) Orte der Wahl waren, in denen man Kinder wie mich unterbrachte. Kinder ohne Vater oder mit Vater (aber Ausländer) oder schlicht gesellschaftlich aus irgendeinem anderen irrelevanten Grunde untragbare Erdenbürger. Allein zu damaliger Zeit gab es in Deutschland über 300 solcher Heime. Die allerdings konnten den seinerzeit gut 250 000 Babyinsassen allerdings niemals Heimat sein.

      Nach drei Jahren Heimaufenthalt ging die Reise für zwei Jahre zu einer Tagesmutter und mit fließendem Übergang in eine Patchworkfamilie. Wie man das heute so schön nennt, aber eine mit deutschem Stiefdaddy. Ein Vater musste her, meinte meine Mutter, die das Gequatsche der Leute Leid war. Nach knapp 15 Jahren siedelte ich fast nahtlos über in (m)eine italienische Schwieger-Familie. Der Familie meines italienischen Mannes von dem ich drei Kinder bekam. Hier lernte ich zunächst Familie und Nestgefühl kennen, schnell aber auch Kleingeistigkeit, kulturelle Zwänge und klassisches Gastarbeiterdenken.

      Mein werter Gatte gönnte sich schon vor der Geburt unseres dritten Kindes eine 19jährige Freundin. Und so folgte Trennung und Scheidung. Nach dem ersten Jahr der Trennung zog ich mit meinen drei Kindern, mittlerweile im Alter von 1 ½, 10 und 12 Jahren, aus der noch im gemeinsamen Besitz befindlichen Wohnung. Wie sich schnell herausstellte war es allerdings wenig sinnvoll, im gleichen Ort zu bleiben. Letztlich nur einen Steinwurf von der ehemaligen Wohnung entfernt. Ich tat es der Kinder wegen.

      Es folgten fast fünf sehr bewegte aber auch freie Jahre mit meinen drei Kindern. Diese Jahre waren bunt wie das Leben und oft sehr, sehr anstrengend. Ich hatte selbst mit mir noch zu kämpfen, ähnlich jemanden, der aus den Klauen einer Sekte entfliehen konnte. Absolut unfrei, sich ständig für alles und jeden erklärend, von meinen eigenen Kindern meist genauso respektlos behandelt wie von ihrem Vater und mit einem desolaten Selbstwertgefühl.

      Da der Druck und die Kontrollmaßnahmen meines Ex-Mannes auch zu jener Zeit statt nachzulassen immer unerträglicher wurden, entschloss ich mich nach Jahren, nochmals weiter zu ziehen und wenigstens 80 km zwischen ihn und mir kommen zu lassen. Diesen Entschluss konnten meine beiden Größeren nicht folgen, die ohnehin lange schon sehr vaterbezogen waren und für die ihre Mutter immer noch ein gefälligst zu funktionierendes Etwas war. So zog ich also „alleine“ mit meinem Jüngsten, damals fünfjährigen Sohn gen Süden an den Bodensee. Es war mir zu derzeit unmöglich, die Stimme zu erheben, durchzugreifen und meine beiden Großen zum Mitziehen zu zwingen. Bitten meinerseits wurden ignoriert. Es war eine sehr, sehr schwere Entscheidung. Allerdings ließen mir die damaligen Zustände keinen anderen Weg mehr offen. Ich war nervlich mit meinen drei Kindern, deren Ablehnungen und Auflehnungen und dem nicht nachlassenden Psychostress seitens meines Ex-Mannes, irgendwann völlig am Ende. Jahre