Tessa Koch

Liebe ist tödlich


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Wann immer eine Nachricht von einer entführten, missbrauchten oder misshandelten Frau an ihre Ohren dringt, empfindet sie tiefstes Mitleid mit ihr. Es ist wie ein schwaches Band, das sie dann mit dieser Frau verbindet, mit dem leisen Ahnen, dass ihr etwas vergleichbar Schreckliches ebenfalls geschehen könnte. Dass sie selbst nur eine schwache, wehrlose Frau ist.

      Sie schiebt diese Gedanken beiseite und versucht nicht mehr an die Nachricht zu denken. Sie ist froh, dass sie sie im Radio gehört hat, statt es über das Fernsehen zu erfahren. Denn so fällt es ihr wesentlich einfacher, sie in einen hinteren Teil ihres Kopfes zu schieben, sie quasi zu den Dingen zu tun, die vergessen in einer abgelegenen Ecke ihres Kopfes ruhen. Hätte sie jedoch ein Bild des Opfers in den Nachrichten gesehen, so wäre es ihr garantiert schwerer gefallen.

      Sie ist froh, als sie nach einer weiteren Viertelstunde Fahrt endlich ihren Wagen auf einen der wenigen Parkplätze abstellen und aussteigen kann. Den ganzen Morgen über schon brummt ihr der Schädel, ihre Migräne scheint ihr in den letzten Wochen ein ständiger Begleiter zu sein. Sie hätte gut auf sie verzichten können.

      Sie hängt sich die Tasche über die Schulter, verriegelt das Auto und geht langsam auf den Laden zu. Von Weitem kann sie bereits ihre Chefin sehen, wie sie mit einem leicht unzufriedenen Blick die Pflanzen im Schaufenster hin und her schiebt und anders zu arrangieren versucht. Als sie den Laden betritt, hört sie damit auf und lächelt sie an. Ihre grünen Augen blitzen. „Guten Morgen, Lela.“ Wieder schiebt sie an einer Vase.

      „Hallo Margret, seit wann bist du schon hier?“ Lela durchquert den Laden und betritt den Bereich, der nur für das Personal bestimmt ist. Also für sie und Margret. Seit Jahren sind sie schon zu zweit, nur ab und an verirrt sich noch gelegentlich eine Praktikantin in ihren kleinen Laden. Sie hängt ihre Tasche und ihre Jacke auf.

      „Ach, seit sechs, sieben Uhr. Ich weiß es schon gar nicht mehr so genau.“ Margret lacht munter auf und flankiert die gewaltige Vase mit zwei kleineren. Sie steckt zwei orangefarbene Lilien in die schmalen Hälse und betrachtet ihre Dekoration. Es dauert etwas, bis sie Lelas entsetzten Blick bemerkt. Wieder muss sie lachen. „Mach dir keine Sorgen, wenn ich dich gebraucht hätte, hätte ich angerufen. Aber ich musste noch auf den Blumenmarkt und konnte noch ein bisschen aufräumen, das hat mir ganz gut gepasst.“ Sie wischt sich eine Strähne ihres ergrauten Haares aus der Stirn und wirft einen letzten Blick auf ihr Arrangement.

      Lela kann nicht anders als zu seufzen. „Ganz wie du meinst.“ Sie bindet sich die grüne Schürze um, die sie immer bei der Arbeit trägt, und macht sich sofort daran die Bestellungen, die sie für heute haben, vorzubereiten. Darunter befindet sich neben einem Blumenstrauß für eine Hochzeit auch ein Friedhofsgesteck. Sofort muss sie wieder an die Schlagzeilen vom Morgen denken. Wieder schiebt sie sie beiseite.

      Während sie still in einem hinteren Teil des Verkaufsraumes die Bestellungen vorbereitet, hantiert Margret vorne noch immer mit der Schaufensterdekoration herum, bis sich die ersten Kunden in ihren Laden verirren und sie ebenfalls gebraucht wird. Durch den aus Kirschholz geflochtenen Raumteiler, der den kleinen Laden klar in den Verkaufsraum und den Arbeitsbereich teilt, unterhält Margret sich munter mit ihrer Kundin, einer älteren Dame, die des Öfteren bei ihnen einkauft, während sie für sie einen Sommerstrauß bindet.

      Lela hört dem Gespräch schweigend zu, während ihre Hände wie von selbst die Blumen zu stecken scheinen. Sie liebt ihre Arbeit in dem kleinen Blumenladen des Dorfes, auch wenn sie sich manchmal wünscht, etwas mehr zu verdienen. Dennoch, die Arbeit mit den Blumen gefällt ihr, ebenso wie das Ausleben ihrer Kreativität, wenn die Kunden ihr wieder einmal frei Hand lassen, und sie tun darf, was immer ihr gerade in den Sinn kommt. Außerdem weiß sie, dass sie Margrets vollstes Vertrauen besitzt, was sie sehr zu schätzen weiß.

      Als das Gespräch der beiden Frauen sich über Blumen, das Wetter und den kranken Hund von Margret zu der Schreckensnachricht des heutigen Morgen tastet, hält sie in ihrer Arbeit inne. Sie weiß selbst nicht genau, was es ist, doch etwas, das mit diesen Geschehnissen zusammenhängt, ruft ein Unbehagen in ihr hervor. Sie weiß nur noch nicht, ob sie den Gründen dafür weiter nachgehen will.

      „Es ist einfach schrecklich“, sagt Margret in diesem Moment und schüttelt bedauernd den Kopf. „Ein armes, junges Mädchen. Sie wurde mit fünf Schüssen getötet, haben Sie das schon gehört? Drei trafen sie in die Brust, in die Nähe des Herzens, und zwei in den Kopf. Als ich das in den Nachrichten gehört habe, musste ich sogar an den Straßenrand fahren und erst einmal anhalten! Das so etwas geschieht! Hier, in unserem Dorf! So etwas ist noch nie vorgekommen!“

      Die alte Frau nickt bekümmert. „Ja, ich hoffe, dass dieser Widerling, wer immer er auch war, schnell gefasst wird! Bevor er noch einem jungen Mädchen etwas antun kann!“ Lela lässt das Messer, mit dem sie die Stiele der Blumen gerade kürzen wollte, fallen. Die Frauen beachten sie nicht. „Ich habe außerdem gehört, dass sie übel zugerichtet worden sein soll. Geschlagen und vergewaltigt! Was für eine kranke Seele tut so etwas?“

      Margret schüttelt nur den Kopf. „Ich weiß es wirklich nicht. Gefällt es Ihnen so?“ Sie zeigt der Frau den Strauß und mit einem breiten Lächeln nickt sie diesen ab. Margret bindet ihn mit Bastband zusammen und tritt dann hinter die Kasse, um den Strauß zu berechnen. Die tote Frau scheint bereits wieder aus ihren Gedanken getreten zu sein, nur einen Moment gefüllt zu haben, in dem ihr Tod von Bedeutung gewesen ist.

      Lela jedoch schafft es nicht mehr, sie aus ihren Gedanken zu verdrängen.

      Kapitel 3

      Lela ist dankbar, als sie endlich Feierabend machen und gehen darf. Margret wünscht ihr noch ein schönes Wochenende, ehe sie Lela die Tür vor der Nase zumacht und dann mit einem letzten Lächeln die Tür verschließt. Kurz verharrt Lela an Ort und Stelle, dann seufzt sie leise und macht sich auf zu ihrem Wagen.

      Noch immer ist sie von einem Unbehagen erfüllt, das sie sich selbst nicht zu erklären vermag. Sie weiß nur, dass es ihr Angst bereitet, alleine durch die dunkle Nebenstraße zu ihrem Auto zu gehen. Normalerweise macht sie sich darüber keine Gedanken. Doch normalerweise geschehen in diesem kleinen Dorf auch keine Morde.

      Als sie ihr Auto erreicht, ist sie erleichtert. Sie schließt es auf, setzt sich rein und verriegelt es sofort wieder von innen. Ihre Tasche landet auf dem Beifahrersitz und noch ehe sie den Motor anlässt und losfährt, stellt sie ihr Radio ein und schaltet solange durch die verschiedenen Sender, bis sie einen gefunden hat, der laute, sie ablenkende Musik spielt. Erst dann lässt sie ihren Motor aufheulen und rollt langsam vom Parkplatz.

      Die Fahrt zu ihrer Wohnung dauert etwa eine halbe Stunde. Sie wohnt in einer benachbarten Stadt, die die Bezeichnung als diese nicht ganz verdient hat, in einem Mehrparteienhaus, in dem sie zusammen mit ihrer besten Freundin Stella und einem Kaninchen namens Sir Wingston lebt. Bereits seit vier Jahren wohnen sie dort, seit Lela aus ihrem Auslandsjahr in Australien zurück kam. Eigentlich hat sie vorgehabt nach diesem zu studieren, doch anfangs hat es keine freien Plätze mehr gegeben und dann ist ihr die Lust am Studieren mit einem Mal vergangen. Letztendlich hat sie eine Ausbildung bei Margret zur Floristin gemacht und arbeitet seitdem für sie. Sie hat ihre Entscheidung nie bereut.

      Als sie einen Parkplatz direkt vor ihrem Wohnhaus findet, seufzt sie erleichtert auf. Es beruhigt sie, in ihrer merkwürdigen Gefühlslage nicht noch einmal eine dunkle Straße alleine durchqueren zu müssen. Sie sucht noch im Auto den richtigen Schlüssel für die Tür, ehe sie aussteigt, den Wagen verriegelt und dann das Wohnhaus betritt. Sie steigt in die zweite Etage auf und schließt die Tür auf. Sofort schlägt ihr das vertraute Plärren des Fernsehers entgegen und auch das warme Flurlicht hat eine beruhigende Wirkung auf sie. Es fühlt sich beinahe so an, als würde sie ihre plötzlichen Sorgen und Ängste einfach auf der Schwelle vor der Tür zurücklassen. Es fühlt sich gut an.

      Auf dem Weg durch den kleinen Flur in das Wohnzimmer schleudert sie ihre Tasche in ihr Zimmer. Stella sitzt mit Sir Wingston auf dem Schoß auf dem Ledersofa und schaut eine ihrer geliebten Sitcoms. Der breite Fernseher zieht für ein paar Sekunden Lelas Aufmerksamkeit auf sich, dann gleitet ihr Blick über das Foto von ihrem Abschlussball, auf dem Lela und Stella sich fest umarmen, weiter zu ihrer besten Freundin, die