Cory d'Or

Korridorium – magische Abenteuer


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Artefakte lagert. Er tut so, als sei es eine große Ehre, von ihm hierhergeführt zu werden. Mit blumigen Worten beschreibt er, was er angeblich nie an den Mann bringen wird, aber auch nicht einfach leichten Herzens wegwerfen kann:

      Ein Unsterblichkeitselexir, das das Altern nicht verhindert. (Wäre vielleicht etwas für den größten Feind oder die Ehefrau, wenn man sicher sein will, im Alter noch gepflegt zu werden, meint der Antiquar mit einem zweideutigen Lächeln. Ich winke ab.)

      Eine Tarnkappe, die den Träger aber nur runter bis zu den Knien unsichtbar macht. (In hohem Gras könne sie vielleicht nützlich sein, meint der Antiquar versonnen. Ich winke ab.)

      Ein fliegender ^, der buchstäblich nur im Tempo einer Schnecke von der Stelle kommt. (Dafür steigt er aber auch nur ein paar Zentimeter hoch, maximal, meint der Antiquar und schürzt die Lippen. Ich winke ab.)

      Ein magischer Schlüssel, mit dem man zwar keine Türen aufbekommt, sie dafür aber für immer verschließen kann. (Er solle vielleicht mal bei der Atomindustrie anfragen, meint der Antiquar gespielt nachdenklich, als sei ihm diese Idee gerade erst gekommen. Ich winke ab.)

      Ein Fläschchen mit einer Wahrheitsdroge, die allerdings die Nebenwirkung hat, dass die Wahrheit in aller minutiösen Deutlichkeit erzählt wird und das Opfer sich heillos in Details verliert, ohne je zum entscheidenden Punkt zu kommen. (Manchmal habe er den Eindruck, der Sud werde bei gewissen Talkshows im Fernsehen eingesetzt, meint der Antiquar und lacht etwas gequält. Ich winke ab.)

      Die Bundeslade, die in Wirklichkeit ein quantenmechanisches Funkgerät ist, mittels dessen man mit Gott telefonieren kann. (Also mit dem biblischen Jehova, erklärt der Antiquar jovial und fügt an, dass dieser schon seit einiger Zeit den Hörer nicht mehr abnimmt. Er lächelt verschmitzt: kein AB. Ich winke ab.)

      Ein Liebestrank, der dazu führt, dass, wer ihn zu sich nimmt, in unsterblicher Liebe zu sich selbst entbrennt. (Wobei dies für viele von der Liebe Enttäuschte, meint der Antiquar mit einem Seitenblick zu mir, ja eigentlich nach der perfekten und nachhaltigen Lösung klinge. Ich winke ab.)

      Ein Buch, das sich, wenn man es aufschlägt, in diesem Moment selbst schreibt. (Es stünden aber immer nur kleine, verworrene Geschichten drin über jemanden, der Gänge oder Flure oder so betritt, nein, »Kolonnaden« heiße es da immer – jedenfalls könne mit dem Geschreibsel kein Mensch etwas anfangen, brummelt der Antiquar missmutig. Ich frage, wie viel er dafür haben will.)

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       26.12.11

      Ich betrete den Korridor. Irgendwie glaube ich, dass mich die Inselbewohner loswerden wollen, und bin auf der Hut. Sie mögen meine großen Ohren nicht und die stämmigen Beine, meine Andersartigkeit, vermute ich. Schmucklose, grob verputzte Steinwände zu beiden Seiten, und da es kein Dach gibt, scheint die Sonne herein: Prüfend lasse ich meinen Blick umherschweifen. Erwartet mich eine Fallgrube? Werden Speere, ausgelöst durch meine Schritte, aus den Wänden schnellen, um mich zu durchbohren? Es riecht streng. Offenbar treiben die Insulaner sonst Ziegen in diesen Korridor. Behutsam setze ich Fuß vor Fuß. Plötzlich verdunkelt ein Schatten die Sonne. Ich blicke auf und sehe einen riesigen Vogel auf mich herabstürzen. In dem engen Korridor kann ich mich nicht schnell genug umdrehen. Und wo sollte ich auch hin? Ich werde ein leichtes Opfer für die ausgestreckten Krallen , jede von ihnen so groß wie ein ausgewachsener Leopard. Sie packen mich, und mit ein paar mächtigen Schwingenschlägen erhebt sich der majestätische Vogel wieder in die Luft. Anscheinend will er mich lebend. Unter mir haben sich, auf ihrem Platz vor dem Tempel des Wehrhaften Nacktmulls, die Inselbewohner versammelt; sie schwenken die Arme und tanzen, beschwingte Trommelmusik ertönt. Ich trompete protestierend.

      Der Riesenvogel hält auf einen Berghang zu. Ich erkenne ein immens großes Nest, aus dem sich vier gewaltige, aufgesperrte Schnäbel recken. Das hungrige Krächzen der Küken lässt mir das Blut in den Adern gefrieren.

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       14.1.12

      Ich betrete den Korridor, gefolgt von meiner Truppe. Infernalische Hitze schlägt uns entgegen, der Korridor ist ein einziges Flammenmeer. Tja, der Schatz aller Schätze mag gut geschützt sein, doch ich habe Helfer dabei. Meine zwei Feuersalamander treten an. Sie salutieren und begeben sich in die lodernde Hölle, um zur gegenüberliegenden Seite zu gelangen, wo sie den Flammenwerfern den Saft abdrehen. Der Weg ist frei. Wir marschieren weiter, zwischen den rußgeschwärzten und noch glutheißen Wänden hindurch.

      Das nächste Portal und der Gang dahinter sind komplett mit Erdreich ausgefüllt – hier ist meine Maulwurfbrigade gefragt. Sie setzen ihre Helme auf und machen sich an die Arbeit. Wenig später können wir passieren.

      Wir stoßen auf ein abwärtsführendes Treppenhaus voller Wasser. Auch daran habe ich gedacht. Klar, dass es der elementarste aller Schätze, der sich schon Jahrzehntausende lang allen Grabräubern entzieht, uns nicht leicht macht. Die Sumpfschildkröten setzen sich in Marsch und tauchen die Stufen hinab. Offenbar finden sie bald darauf den Auslass, denn mit einem Mal sinkt der Wasserspiegel. Ein letztes wässriges Rülpsen hallt im Treppenhaus nach, und wir können hinuntersteigen, wenn auch die Stufen noch ziemlich glitschig sind und wir aufpassen müssen, nicht lang hinzuschlagen.

      Im nächsten Korridor wachsen Mammutbäume so eng nebeneinander, dass dort kein Durchkommen ist. Nicht einmal meine Hand kann ich zwischen den Stämmen hindurchstecken. Holz? Ich hatte Luft erwartet. Oder Aristotelischen Äther. Aber Holz? Fleißig begeben sich die Termiten ans Werk. Doch obwohl sie sich voll ins Zeug legen, kommen sie nicht sonderlich schnell voran. Es dauert Tage, bis sie die Bäume zu Holzmehl verarbeitet haben. Die Moral der Truppe sinkt. Einige glauben nicht mehr an einen Erfolg und kehren um, obwohl ich beschwörend an sie appelliere, nicht aufzugeben. Jetzt hält nur noch ein Bruchteil derer zu mir, die mit mir aufgebrochen sind.

      Der letzte Korridor – denn nach alter Überlieferung können es nicht mehr als fünf sein – ist wieder angefüllt. Doch nicht mit Luft oder Äther, sondern mit Metall. Das Portal öffnet sich auf massives Eisen, womöglich in flüssiger Form in den Korridor gegossen und dann erkaltet. Wir Übriggebliebenen blicken uns an. Damit hat keiner von uns gerechnet. Ich werfe einen verzweifelten Blick auf unseren bunt zusammengewürfelten Trupp. Diesem Material ist keiner von uns gewachsen.

      Ein Zwitschern. Ich schaue hoch. Ein kleiner Vogel fliegt heran, ohne uns zu beachten. Einen Moment lang schwebt er flatternd vor der massive Eisenwand, wetzt seinen Schnabel kurz daran, und fliegt dann wieder davon. An der Stelle, an der er – vermutlich schon zum werweißwievielten Mal – seinen Schnabel gewetzt hat, entdeckt das Eichhörnchen eine kleine Einbuchtung im Metall und macht uns piepsend darauf aufmerksam.

      Auch an dieser Legende ist also etwas Wahres dran. Doch nun werfen sogar meine letzten Getreuen das Handtuch und machen kehrt – offenbar nicht mit der Geduld und Hartnäckigkeit eines Vögelchens aus Hinterpommern gesegnet, das alle hundert Jahre einmal mit dem Schnabel kurz ins Eisen pickt. Nur ich, als Letzter der Schatzsucher, setze ich mich mit verschränkten Armen vor das nackte Metall. Jetzt bin ich schon so weit gekommen. Da schreckt mich auch nicht mehr, warten zu müssen, selbst wenn es ein Weilchen dauern sollte.

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       23.1.12

      Ich betrete den Korridor, um die richtige Tür zu finden: die Tür, die mich zurückbringt ins »Schneckenhaus«. Schneckenhaus, so nannten wir die verzwirbelte Magnetkammer, die uns unser Supercomputer berechnet hatte. Nach zwei Jahren Bauzeit zusammen mit meinen Studenten war die Kammer fast fertig: ein seltsam verdrehtes und in sich selbst zurückgefaltetes Gebilde aus schimmerndem Metall mit hunderten aufgesetzten Magneten, die verhindern sollen, dass die in der Vakuumkammer erzeugte Materie mit irgendetwas in Berührung kommt. Wie die Magnetkammer da so im großen Laborraum hing, sah sie aus wie ein Kunstwerk aus einer anderen Welt. Fast überirdisch schön, aber auch erschreckend fremdartig, so, als dürfe es diese Form eigentlich gar nicht geben.

      Ich