Andreas Milanowski

Sinja und die Zaubergeige


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die anderen. Er hatte einen starken, muskulösen Körper. Aus seinem kantigen Gesicht leuchteten zwei stahlblaue Augen. Ferendiano war dagegen etwas blass. Ein nicht zu übersehender Bauchansatz sorgte dafür, dass sein Waldläuferdress über der Hüfte ein wenig spannte.

      „Unseren Sonnyboy Cichianon hattest du ja schon kennengelernt.

      Er ist der Schwarm aller Mädels in Fasolânda, nicht nur der Elfinnen und solltest du irgendwann mal auf die völlig abwegige Idee kommen, dich in ihn verlieben zu wollen, dann hast du ungefähr ein Viertel der Einwohnerschaft dieser Stadt als Konkurrenz.“

      Wieder lächelte Gamanziel Sinja verschmitzt von der Seite an.

      „So ein Mist!“, dachte die bei sich, „aber wer weiß, wenn er mich erstmal in meinen selbst designten Klamotten sieht….“

      Allerdings steckte sie momentan in diesem wenig kleidsamen ‚Robin Hood - Kostüm' und fühlte sich wie eine Vogelscheuche. Es war daher wohl angeraten, entweder andere Qualitäten in den Vordergrund zu stellen oder den süßen Elfen vorübergehend von der `Liste der wichtigsten Ereignisse´ zu streichen. Sinja entschied sich für Lösung zwei, beschloss aber, den jungen Mann trotzdem vorsichtshalber im Auge zu behalten. Man konnte ja nie wissen, wie sich diese ganze Geschichte noch entwickeln würde.

      Nachdem alle ausgiebig gegessen und getrunken hatten, schlug Ferendiano vor, noch ein wenig Musik zu machen. Sie nahmen einige Instrumente von ihren Haken an der Wand und begannen, ein zauberhaftes Lied zu spielen.

      Es begann langsam mit einigen Akkorden einer keltischen Harfe, die Gamanziel zupfte. Beim Klang der ersten Töne hatte Sinja das Gefühl, als bewegten sich die Wände und der Raum vergrößerte sich und wuchs. Cichianon hatte sich eine Flöte gegriffen und spielte eine fröhliche Melodie dazu.

      Als Ferendiano sich ein Tambourin schnappte, einen Rhythmus dazu schlug und mit Gamanziel und Doriando zusammen begann, dreistimmig zu singen, gab es auch für Sinja kein Halten mehr. Sie nahm sich die schönste Geige und einen Bogen von der Wand und stimmte in Cichianons Melodie ein. Es war ein Lied voller Lebensfreude.

      Das Stück erinnerte an ein altes irisches Volkslied, dass Sinja auf einer ihrer CDs mal gehört hatte. Doriando, der nur singen und kein Instrument spielen wollte, tanzte zu der Musik auf dem riesigen Tisch. Er forderte Sinja durch eine Handbewegung auf, es ihm gleich zu tun.

      Die ließ sich nicht lange bitten und kletterte auf den Tisch.

      Sie tanzten einen fröhlichen Tanz zu dem alten Elfenlied, das vom schönen, sonnigen Leben in den Wäldern und auf dem Land erzählte und davon, wie die Elfen lebten, liebten und sich des Lebens freuten. Auf ein Lied folgte das nächste und das übernächste und so spielten, sangen und tanzten sie, bis die zwei Sonnen auf die andere Seite der Welt hinübergegangen waren.

      „Leute, die Dunkelzeit hat begonnen. Wir sollten uns langsam mal um unsere Schwestern kümmern“, sagte Cichianon mit einem Mal.

      „Doriando, willst du mich begleiten?“

      „Na klar! Ich komme mit“, antwortete der Angesprochene.

      Beide packten mit wenigen Handgriffen einen kleinen Beutel mit dem Nötigsten, schnappten ihre Bögen und Pfeile und machten sich auf den Weg. Das Ganze passierte so schnell, dass Sinja keine Zeit hatte, darüber nachzudenken, was die beiden vorhatten.

      „Ferendiano bleibt bei euch. Falls ihr ungebetene Gäste bekommt, ist es besser, zu dritt zu sein und für das, was wir vorhaben, reichen zwei Leute vollkommen aus. Also bis bald. Wir treffen uns bei `Jambus´.“

      Schnell waren sie zur Tür hinaus. Sinja wusste nicht, wie ihr geschah.

      „Nun“, sagte dann auch Ferendiano, „die Party ist vorbei! Wir sollten uns jetzt auf unseren Marsch zur ‚Fermata‘ vorbereiten. Wir haben keine Lasttiere. Wir müssen also Rucksäcke packen und schleppen. Einen Angriff haben wir hier im Wald wohl nicht zu befürchten.

      Ach, Sinja“, setzte er nach kurzem Luftholen hinzu, „Allegro ist übrigens mit Cichianon und Doriando unterwegs. Er nützt ihnen in der Ebene mehr als uns im Wald.“

      Das war exakt die Nachricht, die Sinja überhaupt nicht hören wollte.

      Ihre Laune war nach dem abrupten Ende der Feier sowieso schon im Keller und jetzt auch noch das.

      "Ja, okay, aber ihr hättet wenigstens vorher Bescheid sagen können", maulte sie, "dann hätte ich noch Gelegnheit gehabt, mich zu verabschieden."

      "Sei nicht traurig, Sinja", sagte Ferendiano, "ihr werdet euch bei `Jambus´ wiedersehen.

      14 Ein Brief von `Seriosa´ - Vorsicht, Falle!

      Emelda und Amandra buddelten, was ihre Hände hergaben. Sie hatten einen Platz ausgesucht, der ein wenig abseits ihrer Behausung lag. Falls sie im Kampf getötet und die Moroks ihren Unterstand erobern und durchwühlen würden, sollte der Kristall auf jeden Fall sicher sein und dem Feind nicht sofort in die Hände fallen.

      Der Kristall war ja nicht nur ein magisches Instrument, das Energie und Heilung spendete, sondern er war auch ein sehr wichtiges Symbol des Königinnentums von Fasolânda. Viele Kämpfer hatten ihre Kraft zum Kampf daraus gezogen, die Königin und den Kristall zu beschützen. Wenn dieser jetzt verloren ginge, wäre das eine ganz entscheidende Schwächung des Königreiches gewesen. Die beiden Elfen waren daher entschlossen, den Stein bis zum letzten Atemzug zu verteidigen.

      Als nächstes begannen sie, mit den mitgebrachten Messern Pfähle anzuspitzen und diese vor ihrem Unterstand mit der Spitze nach vorne schräg in den Boden zu rammen. Dies sollte die Gifhars stoppen und so den Moroks den Angriff erschweren. Mittlerweile waren die Reiter auf ihren Tieren schon gut zu erkennen.

      „Wir müssen versuchen, sie so lange zu beschäftigen, bis die Sonnen untergehen. Wenn die Dunkelzeit kommt und sie haben uns noch nicht erwischt, dann haben wir eine Chance“, sagte Emelda.

      Amandra stimmte kopfnickend zu. Die Staubwolke am Horizont wurde größer.

      „Woher kam eigentlich der `Glissando´?“, wollte Amandra wissen.

      „Das weiß ich auch nicht. Vielleicht ist es der, den Gamanziel bei unserer Abreise abgeschickt hatte.“

      „Dann müsste er eine Nachricht von Königin Myriana oder wenigstens von `Seriosa´ tragen.“

      „Na, dann lass uns mal nachsehen. Komm her Piepmätzchen. Lass dir dein Geheimnis entlocken. Putt, putt, putt……“, scherzte Emelda.

      „Du bist albern, Emelda. Du musst ihm ein Körnchen anbieten.

      Die Vögel wollen ja schließlich auch von etwas leben, hihi.“

      „Na gut“, sagte Emelda, „hier hast du ein Körnchen und jetzt lass uns mal sehen, was unsere liebe Königin uns geschrieben hat.“

      Sie nahm dem Vogel, der ihr in die hohle, ausgestreckte Hand gesprungen war, die kleine Papierrolle ab, die um sein rechtes Bein gewickelt war.

      Die Schriftrolle, oder besser, das Röllchen war zwar mit der Krone der Königin versehen, was bedeutete, dass es aus dem königlichen Palast kam, aber es war ohne das königliche Siegel, also nicht von Königin Myriana selbst gezeichnet, sondern lediglich von `Seriosa´, was am großen `S´ unter dem Schreiben zu erkennen war. Dem Siegel fehlte links unten eine kleine Ecke. Emelda sah die, in schönster Elfenschrift verfasste Botschaft und konnte nicht glauben, was sie las:

      Meine heldenhaften Elfinnen,

      Zu meinem großen Bedauern muss ich euch leider die Mitteilung machen, dass Sinja Wagemut von einem dunklen Reiter gefangen genommen und verschleppt wurde.

      Eure Freundin Gamanziel ist im Kampf getötet worden.

      Der `unerhörte Herrscher´ verlangt für Sinjas Auslösung die Übergabe des magischen Kristalls, den ihr bitte an die Moroks aushändigt,