predigte, schloss er den Hinweis auf die Entfaltung jener Geisteskraft ein, die alles heranbringt, dessen wir bedürfen. Er sagte: „Machet euch Säckel, die nicht veralten, einen Schatz, der nimmer abnimmt, im Himmel, da kein Dieb kommet und den keine Motten fressen — denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz.“ Das hieß, dem Sinne nach, etwa: „Trachtet zuerst danach, euren Geist, soweit ihr es vermögt, in Übereinstimmung und Verbindung mit Gott oder dem unendlichen Geist des Guten zu bringen. Und wenn ihr dies tut, wird euch euer Anteil — ein stetig wachsender Anteil — an der spirituellen Kraft werden, der euch alles zubringt, Häuser und Länder.
Und ich sehe keinen Grund, warum nicht Pferde und Wagen und Kleidung und alles, was dem Auge oder Ohr oder den übrigen Sinnen gefallen kann, mit eingeschlossen werden sollte. Glanz entwürdigt nicht — sonst wäre es schmerzlich, einen prachtvollen Sonnenuntergang zu schauen. Wer eins ist mit Gott oder mit der unendlichen, nie begreiflichen Kraft, die das Weltall regiert, der lebt im Strahle höchster spiritueller Kraft. Der kann kein Armer sein — so wenig Gott ein Armer ist. Und diese unendliche Kraft gibt jenen, die sie mit Eifer suchen, „gute Gaben“. „Gute Gaben“ also nicht: schimmeliges Brot, schäbige Kleider und feuchte, dunkle Wohnungen.
Alle Dinge und Ereignisse gehen aus der spirituellen Welt hervor und nicht aus der Welt, die wir sehen. Die Dinge der stofflichen Welt sind wie die Schatten der Wirklichkeit im Spirituellen und wie Schatten abhängig, untergeordnet. Wie die spirituelle Welt fortschreitet, empfangen wir Ansporn und Eingebung jedes Fortschrittes. Es ist die Geisteswelt, die alle stofflichen Dinge ins Leben wärmt und sie aufbaut — so wie der Sonnenball das Element zur Erde strömt, das Pflanze, Tier und Mensch ins Leben wärmt. Und wie das Sonnenelement durch Myriaden von Jahren feiner und feiner wurde und Pflanze, Tier und Mensch zu feineren Formen aufbaute, so wird auch das spirituelle Element oder die spirituelle Kraft, die stetig auf unseren Planeten einwirkt, immer feiner und mächtiger. Und mit ihr werden es unsere spirituellen Gaben.
Die Befehle Gottes
Das Leben ist eine endlose Wissenschaft und es gibt keine Höhe in ihm, auf der wir sagen können: wir sind vollendet. Was wir heute zu begreifen und zu verstehen vermeinen, wird morgen für unseren reiferen, helleren Geist — und wir werden immer heller und reifer! — eine -neue Bedeutung gewinnen und in der Zukunft eine neue und immer neuere Auslegung finden. Was uns heute schlecht tut, kann uns morgen gut tun; und umgekehrt. Das hängt davon ab, wie weit wir gelernt haben, ein Ding zu gebrauchen. In den Händen eines Knaben ist Schießpulver gefährlich. Es ist weniger gefährlich, wenn sich ein Mann seiner bedient, der weiß, wie man sprengt.
Ein Wort, mit dem wir heute einen ganz bestimmten Begriff verbinden, kann morgen einen völlig neuen Sinn bekommen. Ideen lassen sich nicht einfach durch den Klang gewisser Buchstaben und Silben ausdrücken. So wie unser Geistesblick schärfer und heller wird, gewinnt jedes Wort der Sprache für uns neue Bedeutung. Und diese Bedeutungen werden in keinem Wörterbuche zu finden sein. Denn es gibt eine Sprache der Ideen, die durch Worte niemals völlig offenbar wird und an die kein Wörterbuch heranreicht.
Wenn der Mensch bewusst als ein Teil des Unendlichen auf dieser Erde lebt, als der Teil des Unendlichen, der er ist, dann ist es für ihn unmöglich, sich dem Unendlichen im Bettlerton oder als unterwürfiger Bittsteller zu nähern. Als ein Teil des unendlichen Ganzen, des Kosmos, darf er sein Teil erbitten. Gewiss, er, der Teil, kann der Kraft, die anfang-und endlos und über allen menschlichen Begriff erhaben ist, nicht befehlen. Aber, um mehr und immer mehr vom „Gott in uns“ zu empfangen, um ein größerer und wachsender Teil des Allerhöchsten zu werden, um die wahre Erkenntnis aller Dinge um uns herum zu erlangen: dazu ist nötig, dass wir stetig verlangen, dass wir fordern.
Jeder Satz im „Vaterunser“ ist durch ein Verlangen, ein Fordern, eine gebieterische Bitte gekennzeichnet. „Dein Reich komme!“ „Gib uns unser täglich Brot!“ „Führe uns nicht in Versuchung!“ Alle diese Sätze haben befehlende Form. Es ist nicht der Ton unterwürfiger Bitte — sie stimmen eher mit der Festigkeit des christlichen Gebots überein: „Bittet, so wird euch gegeben; klopfet an, so wird euch aufgetan!“ Die Worte Christi: „Dein Wille geschehe wie im Himmel so auch auf Erden!“ erbitten es vom Unendlichen nicht als besondere Begünstigung, dass seine Absichten und Pläne verwirklicht werden mögen. Sie sind vielmehr ein ernstes Verlangen, ein Fordern aus einer Kraft und Weisheit, die Christus unendlich höher wusste als seine eigene Kraft und Weisheit.
Wenn eine Seele im Tiefsten erweckt ist und ausruft: „Was soll ich also tun, um das Heil zu erlangen?“ —: dann hat diese Frage die Fesseln der unterwürfigen Bitte schon hinter sich geworfen. Sie ist zum ernsten Verlangen geworden. Die Seele fordert. Und das ist der Geist, den die erhabenste Kraft von uns verlangt, ehe sie uns geben kann, was sie uns zu geben willens ist; und wovon sie weiß, dass wir es am nötigsten brauchen. Wenn du jemandem etwas wahrhaft Gutes zu erweisen gesonnen bist, willst du, dass er den Wert dessen, was du ihm zubestimmst, geziemend schätze und das Gute, das ihm aus der Gabe fließen soll, recht empfinde. An ihm ist es also, nach solcher Gunst ernsthaft und würdig zu verlangen. Es muss ihm aus edlem Wollen etwas daran liegen, sie zu erlangen.
So fordert der Unendliche von uns das ernsthafte Verlangen nach dem Guten, das er uns erweisen will. Und es ist nicht Mangel an Ehrfurcht, wenn wir, jeder, sagen: „Ich bin ein Teil des Alls und gehöre zum All und Weltseele ist auch in mir. Ich verlange deshalb aus dem unerschöpflichen All alle Kraft und Weisheit, die ich in dieser Stunde aufnehmen und nutzen kann. Ich verlange nach noch höheren und gottähnlicheren Eigenschaften, denn im Maße, wie Gott den Teil von sich, der ich bin, besser und glücklicher macht, kann ich, dieser begrenzte, aber stetig wachsende Teil, seine Herrlichkeit offenbaren. Ich muss auswirken und offenbaren, was immer ich vom Unendlichen bin!“
Im Worte „muss“ liegt keine unterwürfige Bitte.
Als Christus damals in Worten eine Geisteskraft verlebendigte, die das „Wunder“ vollbrachte, tat er es gleichsam im Geiste des Befehls. „Jüngling, ich sage dir, stehe auf!“ sagte er zu dem Toten von Nain. Und bei Matthäus heißt es: „Und er stand auf und bedrohte den Wind und das Meer: da ward es ganz stille.“ Zeitalter vor Christi schon vermochte das gebieterische Fordern Einzelner Ereignisse zu schaffen, die den Gesetzen der Natur scheinbar widersprachen. So gebot Moses den Wassern des Roten Meeres, sich zu teilen und die Kinder Israels trockenen Fußes hindurchzulassen. Er schlug auf den Felsen und gebot dem Wasser, herauszufließen. Josua befahl der Sonne: „Sonne, steh still über Gibeon!“ Lies die Geschichte all dieser Taten, und du wirst finden, dass sie aus dem gebieterischen oder inbrünstig fordernden Geist des Menschen heraus ursächlich bewirkt wurden. Ich sage: „durch den Geist“ — denn das „Wunder“ vollbringt nicht der Mensch und nicht sein Geist: es ist der Geist und die Kraft des Allerhöchsten, die durch den Menschen wirken wie der Dampf auf die Maschine. Nicht die Lokomotive, das wissen wir, schleppt den Zug, sondern die Kraft des Dampfes.
Wir stehen in einer einigermaßen ähnlichen Beziehung zum Weltgeiste. Wenn wir Kraft von ihm verlangen, wird sie uns zuströmen und Werke durch uns tun. Ein Gedanke hat genau so viel Wirkungskraft, als Verlangen in ihn gelegt wurde. Die Kraft des Allerhöchsten ist es, die sich der Kraft unseres Verlangens bedient — nicht wir. Und je mehr Wahrheit in einem Gedanken lebendig ist, desto mehr „Gott“ ist in ihm. Und je mehr Verlangen in ihm lebendig ist, desto mehr vollbringt er in seiner Auswirkung durch den Menschen. Die Eingebung, die große Dinge findet oder schafft, das, was wir Genie nennen, strömt aus der Kraft des Verlangens. Es ist ein gebieterischer Geist, eine gebieterische Kraft, ein Befehl gleichsam, der dann an den Menschen ergeht und ihm unentrinnbar auferlegt zu schreiben, zu erfinden oder etwas zu vollbringen, was nie zuvor vollbracht wurde.
Solche Gedanken oder Kräfte wirkten auf Shakespeare und zwangen ihn, zu schreiben, Ideen in sinnfälliger Form auszusprechen. Er war nicht der Schöpfer dieser Ideen, noch wusste er zu sagen, wer ihr Schöpfer sei. Sie kamen fertig zu ihm, kamen mit gebieterischem Pochen an seine Tür, begehrten Einlass und wollten in Worten ausgesprochen sein. Und Shakespeare würde sich elend gefühlt haben, hätte er sich versagen müssen, sie niederzuschreiben. Shakespeares Werke kamen aus der gleichen Kraft, die alle Wunder vollbrachte, die alten wie die neuen; es war die Kraft einer Idee, die auf den Menschen einwirkte und von ihm in irgendeiner sinnfälligen Form ausgesprochen