Hans Nordländer

Das Erbe der Ax´lán


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die Formori hatten die Eigenschaft, sich so unbemerkt in der elveranischen Welt zu bewegen. Und sie waren langsamer als die Geister. Außerdem besaßen beide Gattungen ein gewisses Eigenleben. Sie waren irdische Wesen und schwerer zu beeinflussen und zu lenken. Tum´rei dagegen, einmal in die irdische Welt gerufen, waren an die Befehle ihrer Herren gebunden und würden nach der Erledigung ihres Auftrages wieder in die jenseitige Welt zurückkehren. Sie waren schnell und genügsam.

      Die Roboter, von denen nicht mehr viele existierten, sollten erst ganz zum Schluss zum Einsatz kommen, wenn es galt, der Gruppe um Meneas die Fragmente zu entreißen.

      „Verflucht!“, rief Amonpa, aber da lag er schon in der Pfütze.

      Laut prustend warf er seinen Kopf aus dem Wasser und versuchte, Luft zu holen.

      Wenn der Anlass nicht so ernst gewesen wäre, hätte Tarkas laut aufgelacht, aber im letzten Augenblick hatte er noch die Schlinge aus dünnem Seil gesehen, die sich zischelnd um einen Fuß Amonpas zusammengezogen hatte. Er war in eine der Angkinel-Fallen getreten, von denen es eine ganze Menge in Kongsdal gab, gestrauchelt und haltlos in das Wasserloch gestürzt. Das alles wäre immer noch lustig gewesen, wenn die Schlingen nicht die unangenehme Eigenschaft besessen hätten, sich schmerzhaft um die Gliedmaßen ihrer Opfer zusammenzuziehen.

      Tarkas ergriff Amonpas Hand und zog ihn ins Trockene. Anschließend durchtrennte er den Strick der Falle mit seinem Kristallmesser. Es war schärfer als der beste Stahl, vertrug nur keine Schläge. Dann konnte es zerspringen.

      „Hast du Schmerzen?“, fragte er Amonpa.

      Der spuckte angewidert einige halbvermoderte Grashalme aus und wischte sich durch sein Gesicht.

      „Danke“, meinte er. „Nein, Schmerzen nicht, meine Stiefel haben mich geschützt. Aber der Druck war schon zu spüren. Wenn mir einer dieser verfluchten Fallensteller über den Weg läuft, dann breche ich ihm eigenhändig das Genick.“

      Tarkas schmunzelte. Aber er hoffte, dass sich in der nächsten Zeit kein Fallensteller sehen ließ, denn Amonpa übertrieb nicht in seinem Zorn.

      Mit einem festen Griff half er seinem Ordensbruder wieder auf die Beine. Amonpa lief einpaar Mal vorsichtig im Kreis und stellte fest, dass die Schlinge keine Wirkung hinterlassen hatte. Er klopfte sich den Dreck von der Kleidung, dann gingen sie weiter.

      Dieser kleine Unfall hatte sich kurz vor ihrem Ziel ereignet. Sie konnten den Tjodhain schon sehen, es waren nur noch wenige hundert Schritte. Sie waren schon vorher achtsam gewesen, aber jetzt suchten sie den Boden noch genauer nach Schlingen ab. Das war in dem hohen Gestrüpp nicht einfach. Andererseits konnten sie kaum so eng aufgestellt sein, dass man auf Schritt und Tritt Gefahr lief, von einer eingefangen zu werden. Und den Rand des Wäldchens erreichten sie auch tatsächlich ohne weiteren Zwischenfall.

      „Lass uns rasten, bevor wir hineingehen“, meinte Amonpa.

      „Das ist ein guter Vorschlag“, fand Tarkas.

      Es war später Nachmittag und sie hatten noch einige Stunden Zeit, bevor sie mit der Zeremonie beginnen konnten. Geisterbeschwörungen konnten nur in der Dunkelheit der Nacht stattfinden, weil dann die magischen Kräfte derjenigen, die diese Kunst anwendeten, besonders stark waren. Da störte es auch nicht, wenn die Monde am Himmel standen. Um Geister zu rufen, durften die Kräfte der Beschwörer nicht durch die des Lebens in der Umgebung geschwächt werden, und das war tagsüber der Fall, wenn Tiere in der Nähe und die Pflanzen aus ihrer nächtlichen Ruhe erwacht waren. Selbst das Tageslicht unterschied sich von dem der Nacht in seiner vitalen Ausstrahlung. Daher verließ das Leben die irdischen Körper auch häufiger in der Nacht, besonders in den frühen Morgenstunden, wenn die Mächte des Tages am schwächsten waren.

      Tarkas und Amonpa sprachen wenig. Beide bereiteten sich auf ihre Aufgabe vor. Tarkas versicherte, dass sein Unbehagen, das ihn nach wie vor erfüllte und sich spürbar verstärkte, ihn nicht beeinträchtigen würde. Davon war Amonpa überzeugt, denn wenn es erst einmal begonnen hatte, würde Tarkas von allen weltlichen Ablenkungen und Bedenken befreit sein.

      Sie hatten sich entschlossen, vier Tum´rei herbeizurufen. Zwei sollten eine menschenähnliche Gestalt erhalten und die beiden anderen die von Pferden. Ihre Kleidung und die beiden Schwerter hatten die Priester in ihrem Gepäck, neben den Dingen, die sie für die Geisterbeschwörung benötigten. Wie lange alles dauern würde, konnte man niemals vorhersagen. Das hing davon ab, von wie weit her die Tum´rei kommen mussten, denn sie trieben sich nicht ständig in der Nähe des Tjodhaines herum. Deshalb wollten sie so bald wie möglich beginnen und das war genau eine Stunde nach dem Untergang von Nephys.

      Nachdem sie ihre Ausrüstung überprüft hatten, streckten sie ihre Beine aus und legten sich mit verschränkten Armen unter ihren Köpfen ins Gras. Die Zeremonie würde sie viel Kraft kosten, da war es notwendig, dass sie einigermaßen ausgeruht ans Werk gingen.

      „Es ist so weit“, sagte Tarkas und rüttelte Amonpa an der Schulter.

      „Hm? Ach so, ja. Ich muss eingenickt sein.“

      Ein wenig verschlafen blickte er sich um. Der Regen hatte schon am Nachmittag aufgehört und jetzt entdeckte er sogar Wolkenlücken am Himmel. Dann bestand eine berechtigte Hoffnung darauf, dass die Nacht trocken bleiben würde. Das war nicht unbedingt erforderlich, machte ihnen ihr Vorhaben aber angenehmer.

      Doch zuvor mussten sie sich noch versichern, dass sie wirklich allein waren. Die letzten Sonnenstrahlen am Horizont verblassten und die Dämmerung setzte langsam ein.

      „Wir treffen uns auf der anderen Seite wieder“, sagte Amonpa und versteckte seine Tasche mit einem Teil seiner Ausrüstung unter einem dichten Strauch. Tarkas tat das gleiche. Dann begannen sie ihre Umrundung des Tjodhaines.

      Kaum waren die beiden in entgegengesetzter Richtung auseinandergegangen, sprang das Eichhorn auf das Versteck zu und schnüffelte an den Taschen. Es berührte nichts, aber starrte kurz wie abwesend in den Wald. Dann blickte es sich um und verschwand zwischen den Bäumen des Tjodhaines.

      Der Tjodhain war nicht sehr groß und in einer halben Stunde zu umrunden. Noch war es hell genug, um feststellen zu können, ob sich jemand in der Nähe aufhielt. Und mit seinem Hinweis »auf der anderen Seite« hatte Amonpa nichts anderes als die andere Seite des Wäldchens gemeint.

      Beide hofften, nicht noch einmal Opfer einer Fangschlinge zu werden. Und sie hatten Glück. Unversehrt erreichten sie ihren Treffpunkt hinter dem Wäldchen und gingen wieder zurück. Sie hatten keine Hinweise auf andere Menschen in der Nähe entdeckt.

      Es gab nur einen schmalen Pfad in den Hain hinein, und der lag auf der Seite, wo sie geruht hatten.

      Gewöhnliche Menschen haben kein oder nur ein unterentwickeltes Gespür für die Anwesenheit körperloser Wesen. Aber die beiden Priester waren nicht nur übersinnlich begabt, sondern auch in diesen Dingen geschult und achteten auf die kleinsten Veränderungen in der spirituellen Ausstrahlung eines Ortes, besonders, wenn dort eine Geisterbeschwörung stattfinden sollte. Und jetzt spürten sie deutlich die Anwesenheit von Geistern.

      Schon auf ihrer Wanderung, wie auch an vielen anderen Orten vorher, war ihnen zuweilen der eine oder andere Geist aufgefallen, aber da ihnen keiner gefolgt war und sie von ihnen nicht beachtet wurden, hatten auch sie keine Notwendigkeit gesehen, sich um diese Geister zu kümmern.

      Die beiden Priester konnten im Tjodhain keine Gegenwart von Tum´rei feststellen. Das wunderte sie nicht. Tum´rei gehörten nicht zu den häufigsten Geistwesen und eines ihrer besonderen Merkmale war ihre Rastlosigkeit. Sie hielten sich nur selten längere Zeit in einer bestimmten Umgebung auf.

      „Was siehst du?“, fragte Amonpa, als sie am Rand der kleinen Lichtung standen.

      Wer hätte nicht milde gelächelt bei dieser Frage? Aber Tarkas wusste es besser.

      „Zwei Menschenseelen, dort drüben und ein - hm, das ist schlecht. Ein Bolgnoir, ein schwarzer Dämon. Geradewegs über der Feuerstelle. Er beobachtet uns.“

      Amonpa nickte.

      „Ja, ich sehe sie auch. Der Bolg erschwert unser Vorhaben, macht