war bitterkalt und sie wunderte sich nicht zum ersten Mal, wieso er es so lange bei diesem Wetter draußen aushielt. Gut, dass Pfiffi sein Mäntelchen anhatte. Sie nahm es von seinem Rücken, wobei sie ihm unvorsichtig den Bauch eindrückte. Das Tier sprang hoch und jaulte. Es fühlte sich ziemlich warm an. Hatte der Hund vielleicht Fieber? Besorgt betastete sie seine Nase. Dem armen Kerl schien es nicht besonders gut zu gehen. Er legte sich ins Körbchen und schaute hilfesuchend sein Frauchen an.
„Was mach ich nur mit dir“, sagte Ilse und war ganz deprimiert. „Ist was mit dem Hund?“, fragte sie ihren Mann. „Was soll denn mit ihm sein?“, antwortete er seiner Frau, die sich mit der Hand zittrig über ihr rotes Haar fuhr. Sie schüttelte den Kopf und blieb vor dem armen Tier stehen. „Irgendetwas stimmt mit dem Kleinen nicht!“ Pfiffi benahm sich ziemlich auffällig. Er öffnete ab und an die Schnauze, als wenn er um Luft ringen müsste. Speichel lief aus seinem armen Mäulchen. Dann mit einem Würgelaut und einem Ruck spie er etwas auf den Teppich.
„Erdnüsse“, stellte Ilse erstaunt fest. Diese Dickmacher kämen ihr niemals ins Haus hatte sie zu Adam gesagt. „Auch dann nicht, wenn Pfiffi dahinterher ist!“
Im Gegensatz zu ihr schwärmte Freundin Annegret nahezu für diese Dinger und hatte reichlich Vorräte angelegt.
Bei Ilse schrillten die Alarmglocken. Deshalb blieben also Hund und Herrchen so unverschämt lange aus! Ihr fehlte nur noch, dass Adam ihr unterzujubeln versuchte, er hätte Annegret wegen Pfiffis Gusto auf Erdnüsse besucht. Ilse schnappte sich ihren Adam, stellte ihn kurz zur Rede. Wider erwarten leugnete er nicht. „Verdammtes Vieh“, dachte er nur und begann wütend seinen Koffer zu packen. „Deinen Verräter kannst du behalten“, schrie er und schlug die Haustür kräftig hinter sich zu.
Familientradition
In freudiger Erwartung und mit zittrigen Fingern öffnete Angelika den schwarz umrandeten Briefumschlag.
Wer von ihrer weitverzweigten rheinischen Verwandtschaft mochte das Zeitliche diesmal gesegnet haben, fragte sie sich in der Vorfreude auf eine zünftige Beerdigung.
Bei ihrer Familie war es üblich, den Verstorbenen und nur den Verstorbenen traditionell die Ehren zu erweisen, die man ihnen zu ihren Lebzeiten verwehrt hatte. Sie mussten sie sich gewissermaßen erst durch ihr Ableben verdienen.
Taufen und Hochzeiten, Geburts- und Namenstage spielten so gut wie keine Rolle in dieser etwas merkwürdigen Familie. Man sah und hörte nichts voneinander bis, nun ja, bis auf die nicht zu umgehenden Beerdigungen.
„Tante Hanna hatte es also erwischt“, stellte Angelika entzückt fest und schob die Benachrichtigung in den Umschlag zurück.
Draußen war es bitterkalt. Angelika frohlockte. Sie würde endlich mit ihrem auf Raten gekauften Ozelotmantel protzen können und freute sich schon im Vorhinein auf die Reaktion ihrer nicht weniger protzwilligen Verwandtschaft. Vorab war aber noch allerhand zu erledigen. Sie rief umgehend den Autoverleih an.
„Ja, unser Rolls steht Ihnen am 4. Januar zur Verfügung. 10.00 Uhr, o. k. selbst verständlich wie immer mit Chauffeur, gnädige Frau, “ wurde ihr bestätigt. Das war erledigt. Angelika warf einen Blick in den Mahagoni-Spiegel in ihrer Diele.
Nein, so würde sie auf gar keinen Fall an dem freudigen Ereignis teilnehmen. Sie brauchte eine neue Frisur, die sie jugendlicher erscheinen ließ. Die letzte Beerdigung, die sie genossen hatte, war vor ca. 5 Jahren gewesen. Falls der Zahn der Zeit auch womöglich an ihr genagt haben sollte, wollte sie das nicht auch noch durch diese unvorteilhafte Frisur unterstreichen.
„Vielleicht lasse ich mir die Haare kürzen“, überlegte sie und machte gleich einen Termin bei Mister Fred aus. „Nein, ich möchte ihn, wie immer, persönlich sprechen“, erklärte sie ungehalten der Angestellten.
„Wir schieben sie dazwischen, meine Liebe, wenn es pressiert! Sicher steht wieder einmal eine Beerdigung an, habe ich recht?“ Mister Fred fuhr sich mit seinem Holzkamm durch sein schütteres Haar und blinzelte seiner Salonleiterin zu.
Angelika fieberte dem 4. Januar entgegen. Sie hatte eine schlechte Nacht verbracht und wirkte trotz ihrer jugendlichen Frisur, ein klein wenig älter, als sie in Wirklichkeit war.
Punkt 10.00 Uhr klingelte der Chauffeur. Er ging ihr voran, riss seine Mütze vom Kopf, hielt ihr die Tür auf und ab ging`s zum Nordfriedhof.
Tante Hanna, bis vor ihrem plötzlichen Tod vor genau vier Tagen noch als das Biest dieser beschränkten Familie verschrien, war offensichtlich zum Engel mutiert.
Was hatte sie nicht alles in ihrem langen, viel zu langen Leben, wie Angelika empfand, an Gutem getan. Das behauptete jedenfalls der Geistliche, der die Tante zu verwechseln schien.
Das Blabla des Pfarrers interessierte sie wenig. Vielmehr richtete sie über die Köpfe ihrer Verwandten hinweg ihre Blicke auf den Sarg. „Eichenholz mit tausend Verzierungen, nicht gerade billig, viel zu schade für das alte Fossil!“ stellte sie nüchtern fest.
Wie dem auch sei. Alle Familienmitglieder, das entsprach auch der Familientradition, pflegten ebenso wie sie, gut und gerne und vor allem ausgiebig auf den Putz zu hauen. In der dritten Reihe erspähte Angelika eine ihrer weißhaarigen Cousinen.
„Donnerwetter, Chinchilla“, stellte sie halb ärgerlich, halb bewundernd fest. Neben dem Chinchilla saß eine Grauhaarige, die einen dunklen Nerzmantel trug. Wenn sie sich nicht irrte, steckte Cousine Luise in dem Edelpelz. Angelika ließ ihre Blicke schweifen. Vier Reihen waren mit Verwandten der Verstorbenen, die notwendigerweise auch die ihren waren, besetzt. Sie selbst saß in der letzten, konnte alles bestens übersehen. Zu ihrer Freude stellte sie fest, dass fast alle ihre popligen weiblichen Angehörigen mittlerweile grau- oder weißköpfig geworden waren. Die Herren dafür kahl.
„So wollen wir also die liebe Verstorbene auf ihrem letzten Weg begleiten“, sagte der Pfarrer. Die altersschwache Orgel quietschte noch einmal kurz auf und dann folgte das Übliche.
Danach erst wurde es für Annegret interessant. Endlich hatte man Gelegenheit sich gegenseitig und ausgiebig zu „bekneistern“, was Annegret besonders genoss. Sehen und gesehen werden, die Beerdigung musste sich ja lohnen.
Nicht zum ersten Mal kam es ihr so vor, als befände sie sich auf einer Modenschau. Allerdings waren diese Mannequins uralt und erfreulich gebrechlich, was auf weitere Festivitäten in absehbarer Zeit hoffen ließ. Einige benutzten zu Annegrets Freude, schon Stöcke. Welche mit protzigen Silberknäufen natürlich.
Annegret spürte förmlich die neidischen Blicke in ihrem Rücken. Sie hatte mit ihrem „Ozzi“, jedenfalls den Vogel abgeschossen, da gab es keinen Zweifel. Befriedigt durchschritt sie das Tor, drehte sich noch einmal um, um sich zu vergewissern, dass die Blicke aller ihr folgten. Mit Genugtuung stellte sie fest, wie sich die Mundwinkel vornehmlich die der weiblichen Trauergäste noch ein Quäntchen tiefer nach unten bogen. „Na, bravo!“
Auf dem Parkplatz standen lauter Luxuskarossen. Bevor Annegret ihren gemieteten Rolls heranwinkte, grüßte sie der Chauffeur ihrer Schwester Charlotte. Annegret hob ihre Augenbrauen, um einen arroganten Gesichtsausdruck zu vermitteln.
„Was der Kerl sich nur einbildet!“ Irgendwo hatte sie diesen Menschen aber schon mal gesehen. „Ja natürlich“, es fiel ihr wieder ein. Bei Onkel Eugens Beerdigung hatte sie zuletzt diesen Chauffeur, damals fuhr er einen ähnlichen Jaguar, bei der Autovermietung für gehobene Ansprüche angefordert.
Also war Charlotte dort auch Kundin. „Na, warte“, sagte sie. Mit leisem Summen setzte sich der Wagen in Bewegung. Sie winkte dem Mann in dem Jaguar wie einem guten Bekannten zu. Ihre Schwester tat, als sei sie Luft für sie und schaute demonstrativ in eine andere Richtung.
Frag nicht, wohin ich gehe, frag nicht wohin!
„Was, habt ihr schon wieder eine Lesung in der Altentagesstätte? So verrückt möchte ich auch mal sein!“
Emilie