Maryam Munk

Traumscheinbar


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      Maryam Munk

      Traumscheinbar

      Drei phantastische Geschichten

      Dieses ebook wurde erstellt bei

      

      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Das Waldkind

       Das Katzenmädchen

       Pueblo

       Impressum neobooks

      Das Waldkind

      Meine Geburt fand im Grünen statt, dort, wo Hügel ein Tal umgaben. Über die Hügel, bis in das Tal hinein, erstreckte sich Wald. Meine Eltern hatten sich in dieser Landschaft befunden, als der Zeitpunkt meiner Geburt nahte.

      Die Dunkelheit hellte plötzlich auf, und die nasse Enge um mich wich einer trockenen Weite. Mutter schrie, als ich aus ihr glitt. Sie schrie derart, dass sie sich die Spitze ihrer Zunge abbiss. Vater schwitzte, während er als Geburtshelfer fungierte. Eigentlich war da nicht viel zu helfen, denn ich sorgte alleine dafür, dass ich zur Welt kam.

      Mutter blutete nun oben und unten. Vater rannte los, um Hilfe zu holen. Ich lag neben meiner Mutter und starrte in das mit Spinnweben behangene Scheunendach empor. Die Nabelschnur verband mich noch immer mit der Nachgeburt, doch ich atmete schon. Das hatte ich mir selber beigebracht. Fliegen ließen sich auf mir und der Plazenta nieder.

      Ich weiß nicht, ob Mutter damals in der Scheune verblutete, oder ob Vater rechtzeitig mit Hilfe zurückkehrte. Ich weiß auch nicht, was aus Vater wurde. Ich kroch aus der Scheune, über die Felder, in den Wald. Ich entkroch meinen Eltern und der Zukunft, die sie vielleicht schon für mich geplant hatten. Der außergewöhnliche Umstand meiner Geburt ermöglichte es mir, dass ich mich früher als jeder andere Mensch dafür entscheiden durfte, welchen Lebensweg ich gehen, beziehungsweise kriechen wollte. Ich war eben ein früh entwickeltes Kind.

      Im Wald gefiel es mir. Ich schaute den Tieren ab, wie sich leben ließ. Um meinen Körper vor Insekten zu schützen, suhlte ich mich wie die Wildschweine im Schlamm. Nahm ich einen fremden Geruch oder ein unvertrautes Geräusch wahr, legte ich mich reglos ins Gebüsch, um wie das Rehkitz unauffällig zu sein. Trotz dieser Techniken hätte ich schon die ersten Tage im Wald nicht überlebt, wenn sich mir nicht eine Nahrungsquelle in Form zweier milchgefüllter Brüste angeboten hätte. Sie wurden mir von einer dicken Frau gereicht, die mich kurz vor dem Verhungern fand.

      Die dicke Frau und der dünne Mann lebten im Wald. Ich glaubte, die beiden wären Tiere, mich selbst hielt ich auch für ein Tier. Die beiden ernährten sich von dem, was ihre Hände von Bäumen und Sträuchern pflückten oder aus der Erde gruben. Sie sprachen nie ein Wort. Vermutlich waren beide stumm. Sie liefen nackt umher und grunzten und paarten sich ohne Scheu, wie es die Tiere taten. Es waren gute Leute, die glücklich in ihrer Einsamkeit lebten.

      Die dicke Frau hatte ein Kind geboren, das aber gestorben war. Deshalb war sie begeistert, als sie mich fand. Gierig saugte ich die Milch aus ihren Brüsten, wobei sie mir den Kopf hielt und der dünne Mann uns ehrfurchtsvoll betrachtete. So hatte ich zum zweiten Mal Eltern bekommen.

      Mich nährte die beste Milch. Es war die Milch der Wildheit. Sie hielt mich gesund und ließ mich kräftig werden. Ich lernte aufrecht zu laufen und zu grunzen, und wenn ich sah, wie sich meine Eltern paarten, tat ich es ihnen spielerisch nach, indem ich mich im Gras ebenso bewegte, wie Papi es auf Mami tat. Ich war ein gesundes, kräftiges und früh entwickeltes Kind.

      Eines Tages kehrten Mami und Papi nicht mehr heim. Sie waren ausgegangen, um Beeren zu sammeln. Ich saß im Eingang unserer kleinen Höhle und wartete den Regen ab. Meine Eltern kamen nicht. Auch am folgenden Tag kehrten sie nicht zurück. Tage und Nächte vergingen. Von meinen Eltern fehlte jede Spur. Von da an lebte ich alleine im Wald. Das war nicht so schön, aber mir blieb keine Wahl. Viele Jahre später, als ich erfuhr, was eine psychiatrische Klinik ist, kam mir ein Verdacht. Aber damals machte ich mir wenige Gedanken über das Verschwinden meiner Eltern. Wie ein Tier durchlebte ich eine dumpfe Zeit des Trauerns und lernte, alleine zurecht zu kommen.

      Irgendwann fingen sie mich ein. Sie kamen nachts. Es waren viele Männer. Sie trugen Stöcke mit sich und Netze. Sie überraschten mich im Schlaf. Zwar gelang es mir, aus der Höhle zu flüchten, aber draußen fingen sie mich mit den Netzen ein. Ich grunzte und schlug um mich, doch die Männer überwältigten mich. Sie wickelten mich in eine Decke und schnürten ein Seil darum. Dann zwangen sie mich in eines jener Dinger, die ich später als Autos begriff.

      Wir fuhren durch eine mir unbekannte Welt voller Lichter, die nicht die Sterne waren. Ich fühlte mich scheußlich. Ich saß hinten in dem rollenden Ding, zwischen Männern, die ganz anders rochen, als meine wilden Eltern gerochen hatten. Sie und der Mann vorne in dem Ding, mussten über mich wohl ähnlich empfunden haben, denn sie sprachen wenig, benutzten statt dessen die Münder zum Atmen. Dann schlief ich ein.

      Als ich erwachte, war es heller Tag. Ich wurde aus dem Ding gezerrt und in eine große und seltsam aussehende Höhle gebracht. Ein Haus, wie ich später erfuhr. Darin wohnten ein Mann und eine Frau. So bekam ich zum dritten Mal Eltern.

      Die beiden hatten schon zwei Kinder, ein Mädchen und einen Jungen. Das Mädchen und ich mochten uns sofort. Wir waren auch im gleichen Alter. Der Junge war ein oder zwei Jahre älter. Wir mochten uns von Anfang an nicht leiden. Er empfand mich als Eindringling in die Familie und hasste mich, und es behagte ihm nicht, dass unsere Schwester mich lieber mochte als ihn.

      Ich musste ihn oft verprügeln, denn er beleidigte und beschimpfte mich bei jeder Gelegenheit. Zuerst war mir das unverständlich, doch als ich die Sprache der Menschen gelernt hatte, begriff ich und verhaute ihn. Unsere Eltern schimpften deshalb mit mir. Das machte mich wütend. Ich äußerte meinen Unmut über die ungerechte Behandlung, indem ich gellend schrie, oder ich schiess auf den Teppich. Das half. Mit der Zeit hörten die Eltern auf, mit mir zu schimpfen. Auch mein Bruder wagte nicht mehr, mich zu provozieren.

      Meine Schwester und ich teilten ein Zimmer miteinander. Unser Bruder hatte sein eigenes Zimmer. So blieb er nicht nur tagsüber, sondern auch in den Nächten von unserer Gemeinschaft ausgeschlossen. Das steigerte seinen Hass auf mich.

      In meinem und meiner Schwester Zimmer standen zwei Betten. Am liebsten schliefen wir jedoch in einem. Ich mochte es, ihren Körper zu spüren, und sie liebte meinen Geruch. Auch später stellte ich immer wieder fest, dass mein Geruch angenehm auf Frauen wirkte. Mutter war allerdings eine Ausnahme. Sie, Vater und mein Bruder waren der Meinung, ich würde stinken. Vermutlich hatte sich der Wald in meine Haut gefressen. Daran konnten auch die vielen Bäder nichts ändern, in denen ich so lange geschrubbt wurde, bis meine Haut glühte. Die Wildheit blieb an mir haften, und meine Schwester durfte sich weiter an meinem Geruch erfreuen.

      In Erinnerung an die Zeit, die ich im Wald gelebt hatte, saß ich oft im Garten, grunzte vor mich hin oder wälzte mich im Gras. Dabei schaute meine Schwester zu. Unseren Eltern gefiel das nicht. Nach vielen vergeblichen Versuchen, mir diese Eigenheit abzugewöhnen, resignierten sie und ließen mich gewähren. Allerdings bestanden sie darauf, dass ich, wenn ich meine Tollheiten trieb, wie sie es nannten, die Kleidung anbehielt. Aber so machte das die Vergangenheit beschwörende Ritual keine Freude, und ich ließ es dann doch bleiben.

      Ersatzweise fanden meine Schwester und ich ein Spiel, woran wir beide Vergnügen hatten. Wir zogen uns aus und untersuchten unsere Körper. Wir betasteten und beschnüffelten die Fläche unserer Haut. Daran hatte meine Schwester besonderen Spaß, denn sie liebte ja meinen Geruch. Auch von diesem Spiel blieb unser Bruder ausgeschlossen. Der rachsüchtige