Timo Körner

Rückstoß


Скачать книгу

nur von wenigen Fenstern aus einsehbar. Da es bereits am Dämmern war, war die Wahrscheinlichkeit, an dieser Stelle gesehen zu werden, sehr gering. Zudem kleidete ich mich komplett in schwarz. Ich zog mir sogar noch die Kapuze meiner schwarzen Jacke über den Kopf, sodass man mich wirklich nur schwer erspähen konnte.

      Hier wartete ich auf Häuptling mit einem Baseballschläger, den ich vor Jahren mal auf einem Sperrmüllhaufen gefunden hatte. Ich versteckte mich hinter der Rückwand des Verschlages mit den Müllcontainern. Hier konnte er mich erst entdecken, wenn er schon an mir vorbei war.

      Als er zwanzig Minuten, nachdem ich ihn an dieser Stelle erwartete, noch nicht vorbeikam, begann ich zu zweifeln ob er noch kommen würde. Ich blickte zum wiederholten Male auf meine Uhr, um nach der Zeit zu sehen, wobei ich seine Schritte nicht bemerkte und der Häuptling plötzlich neben mir stand und mich anblickte.

      Ich glaube ich sah ihn mit einem genauso erschrockenen und debilen Gesichtsausdruck an, wie er mich. Zum Glück hatte ich den Baseballschlager in der richtigen Hand und auch in direkt anwendbarer Position.

      Ich zog voll durch.

      Ein lauter dumpfer Schlag hallte die Garagenwand entlang. Häuptling stolperte nicht einmal, sondern knickte direkt in sich ein. Ich machte mir etwas Sorgen, dass er den Schlag vielleicht nicht überlebt haben könnte, aber ich musste sichergehen, dass er sofort handlungsunfähig ist, weil er mich sonst hätte überwältigen können. Er war ja eine Ecke kräftiger und größer als ich.

      Ich fühlte seinen Puls an der Halsschlagader.

      Er lebte noch.

      Während ich sein Portemonnaie einsteckte und nach seinem Autoschlüssel suchte, bemerkte ich ein Gefühl, als würde mich jemand beobachten.

      Ich drehte mich um und dann sah ich ihn. An einem Fenster im Erdgeschoss sah mich jemand an. Ich konnte durch dämmriges Licht in seinem Zimmer schemenhaft erkennen, wer es war. Es war der Junge, dessen kleiner Hund so übel vom Häuptling getreten wurde. Er sah weder erschrocken aus, noch machte es den Eindruck, als würde er nicht mögen, was er gerade sah. Offensichtlich hatte er den Häuptling, den Peiniger seines kleinen Hundes erkannt. Er setzte sich auf die Fensterbank, als wolle er mein Handeln weiter beobachten, wie er einen Vogel beim Nisten beobachten würde.

      Ich musste mich beeilen, damit mich nicht noch mehr Leute entdeckten. Als ich endlich den Autoschlüssel in seiner Hosentasche zu greifen bekam, steckte ich diesen ein und versuchte, mir den bewusstlosen Häuptling über die Schultern zu werfen. Dieser schlappe Körper war zu schwer, als das ich ihn über die Schulter werfen konnte. Ich musste ihn hinter mir her schleifen.

      Mittlerweile war es fast dunkel und ich konnte, abgesehen von dem kleinen Jungen, unbemerkt zu Häuptlings Mercedes gelangen. Noch nicht ganz am Wagen angekommen, drückte ich den Extraknopf auf der Fernbedienung des Wagens, der für die Öffnung des Kofferraums zuständig war. Die Kofferraumhaube öffnete sich komplett automatisch. Ich hievte Häuptling hinein, knallte die Haube herunter, sah mich um, ob mich auch niemand beobachtete und sprang auf der Fahrerseite in den Wagen.

      Da ich etwa zehn bis fünfzehn Zentimeter kleiner war, als der Häuptling, musste ich mir den Sitz etwas zurechtstellen, um vernünftig an die Pedale des Wagens zu gelangen. Ich startete den Motor, wendete das Fahrzeug und verließ den Wendeplatz in Richtung der nächsten Hauptstraße um den Luftschutzbunker im nächsten Stadtviertel anzusteuern.

      Auch wenn ich gerade sehr aufgeregt war, bemühte ich mich, die Verkehrsregeln zu beachten, nicht zuletzt, um nicht unnötig aufzufallen.

      Ich hielt also an der Ausfahrt zur Hauptstraße und wie es der Zufall so will, fuhr ein Streifenwagen der Polizei auf der Hauptstraße direkt an mir vorbei. Da kein anderes Auto auf der Hauptstraße fuhr, musste ich mich, um unauffällig zu bleiben, hinter dem Streifenwagen einordnen und ihm folgen. Ich versuchte nicht ständig darüber nachzudenken, dass ich in dem Wagen eines Drogendealers saß, den ich selbigem gestohlen hatte und der Drogendealer selbst gerade bewusstlos im Kofferraum lag. Die Situation trieb mir etwas Schweiß auf die Stirn, wobei mir auffiel, dass ich noch immer die Kapuze aufhatte. Ich setzte sie wieder ab.

      Mein Puls entspannte sich umgehend, als der Streifenwagen links blinkte und dann die Hauptstraße verließ, um in eine Nebenstraße einzubiegen.

      Ich beeilte mich, um endlich beim Bunker anzukommen, bevor Häuptling wieder zu sich kam.

      Beim Bunker angekommen, stellte ich den Wagen seitlich des Bunkers in der Nähe eines großen Baumes ab. Dieser spendete genug Schatten und Tarnung, sodass ich Häuptling unbemerkt in den Bunker schleifen konnte. Der war ganz schön schwer, stellte ich mit jedem Meter fest.

      Nachdem ich Häuptling mit starkem Klebeband auf dem Tapeziertisch fixiert hatte, verschloss ich die Bunkertür von innen. Ich wollte ja nicht überrascht werden.

      Es dauerte fast zwei Stunden, bis Häuptling zu sich kam.

      In diesen zwei Stunden hatte ich eine Menge Zeit zum Nachdenken. Eigentlich dachte ich aber gar nicht sehr viel nach. Mir viel lediglich auf, dass ich dafür, was ich bis zu diesem Zeitpunkt an diesem Abend anstellte, verhältnismäßig wenig nervös war. Mein Vorgehen hatte sogar etwas leicht Routiniertes. Ich nahm mir Häuptlings Haustürschlüssel, seine goldene Halskette mit dem Dollarzeichen und sein Portemonnaie vor und wunderte mich, dass jemand tatsächlich mit fast fünftausend Euro in der Geldbörse herumlief.

      Nun ja, jetzt war ich derjenige, der mit fast fünftausend Euro in der Tasche herumlief.

      Als Häuptling zu sich kam, wanderte sein Blick aufgeregt umher. Er versuchte sich zu orientieren. Da er aber auf dem Rücken liegend mit Klebeband an den Tisch gebunden war, konnte er nur den Kopf bewegen. So hektisch, wie er seinen Kopf umher schleuderte, sah es so witzig aus, dass mir für einen kurzen Augenblick ein Grinsen über die Lippen wanderte.

      Als er mich an seinem Kopfende erblickte, riss er seine Augen weit auf und versuchte offensichtlich, mich anzubrüllen. Das gelang ihm jedoch nicht, weil ich ihm auch den Mund mit dem Panzertape zugeklebt hatte.

      Ich vernahm, dass er mich wüst beschimpfte, durch das Klebeband auf seinem Mund, brachte er allerdings nur Grunzlaute heraus.

      Als ich ihm das Panzertape von seinem Mund mit einem gehörigen Ruck abriss, beschimpfte er mich aufs Übelste. Er fragte mich, ob ich wüsste, wer er sei und wen er alles kannte. Ich blieb ruhig, weil es mich nicht im Geringsten berührte, was er so von sich gab. Ich war am Zug und das ließ ich ihn deutlich spüren. Er beschrieb mir, was mit mir passieren würde, wenn ich ihn aus seiner Lage befreien würde, was mir logischerweise klarmachte, dass ich ihn natürlich nicht aus selbiger befreien würde.

      All seine Beschimpfungen und Drohungen sagten mir, dass er genau dort sein sollte, wo er sich gerade befand.

      „Ich habe gesehen, wie du mit Lebewesen deiner selbst und mit anderen Lebewesen umgehst. Dazu kann ich dir nur eins sagen: Die Moral von der Geschicht, bist du schlecht, so töte ich Dich.“, sprach ich mit ruhiger Stimme zu ihm.

      „Fakt ist, dass dich hier niemand schreien hört und Fakt ist, dass du in wenigen Minuten vor deinen Schöpfer treten wirst. Also mach deinen Frieden mit deinem Leben und mit deinem Gott.“

      Er verlor die Worte des Wütens und die Mine in seinem Gesicht. Plötzlich las ich Angst aus seinen Augen. Jetzt war sein Verstand genau da, wo ich ihn haben wollte. Er hatte erkannt, dass er in einer Endstation angelangt war, aus der er sich mit eigener Kontrolle nicht mehr herausbekam.

      Ich zeigte ihm ein Teppich-Messer, welches ich schon seit meinem letzten Umzug in meinem Werkzeugkoffer hatte.

      Hach, war es herrlich, wie er plötzlich anfing, zu wimmern. Er versuchte mir mit stockender Stimme zu vermitteln, dass er niemandem von diesem Vorfall erzählen würde, wenn ich ihn freilassen würde und dass seine Drohungen nur von seiner Verzweiflung herrührten.

      Ich begann mich zu langweilen.

      „Bist du fertig? Hast du deinen Frieden gemacht?“, fragte ich ihn.

      Seine Mine wandelte sich in noch größere Verzweiflung und er begann zu schluchzen und noch mehr zu wimmern.

      „Digger,