Julianne Becker

Licht am Ende vom Filz


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Schamanismus, der den Wirkungsauftrag an materielle Dinge band. Statt Puppe oder Flasche konnte das also auch eine Reliquie sein, oder?

      Ich trennte schon lange nicht mehr zwischen Praktiken, die den religiösen Stempel von „Prädikat Wertvoll“ erhalten hatten und solchen, die eher dunkler und böser Magie zugeschrieben wurden. Es gab da etwas darunter liegendes, das funktionierte, und es funktionierte in allen Systemen, und genau darauf war ich aus.

      Zurück zu den Duduu Schamanen. Sie brachten mit ihrem Nadelspicken auf dem Laptop dann ganze Pfade und Hierarchien durcheinander, und manches konnte dann einfach nicht mehr gefunden werden. So stellte ich mir das vor, und so kannte ich das von meinem Laptop. Die Menschen erschufen wahrscheinlich mehr oder weniger bewusst fortwährend solche Felder auf dem Erschaffens-Desktop, denn wenn ich das mit meinen Lichtfilzlingen konnte, dann konnte das jeder, denn ich war ja wie alle, davon ließ ich mich nicht abbringen. Selbst Jesus und Mohammed und Tante Ida waren so. Alle. Ich suchte nach Gemeinsamkeiten, nicht nach dem, was uns trennte. Und ich konnte mich auch schwach daran erinnern, dass Jesus über sich gesagt haben soll, „Das alles und noch viel mehr, das könnt ihr auch!“

      Leben mit Geistern

      Aber warum merkten wir das dann nicht, dass wir fortlaufend Geister erschufen und mit denen so herumspielten? Erst einmal, weil sie nur indirekt durch ihre Wirkung erfahren werden konnten. Sie gehörten nicht in diese Realität. Hellsichtige Menschen mussten sich diesen anderen Dimensionen erst geöffnet haben, entweder durch Übung oder als angeborenes Talent. Und je nachdem, wie ein Mensch sich die Welt gerade erklärte, während er hellsah, war es dann ein Dschinn, ein Rabe, ein Waldgeist, ein Felsenzwerg oder ein Verbündeter. Vielleicht ließen sich so auch Visionen und Erscheinungen ganz allgemein erklären. Und meine eigene Entwicklung legte mir auch die Vermutung nahe: Je höher die Schwingung, umso mehr Ebenen öffneten sich. Hellsicht und andere Talente stellten sich ein. Die Geister kamen einfach, man musste sie gerufen haben. Apropos: Was wusste eigentlich Goethe darüber? Dieser Zauberschelm, der den Zauberlehrling dichtete...

      Möglicherweise hatten auch nur unsre Seelen Zugriff zu diesem Schöpfungslaptop. Mit Ausrichtung auf Gott oder auf die eigene Seele wurde man nicht nur ein besserer Beobachter dieser Benutzeroberfläche, sondern auch ein viel kraftvollerer Schöpfer und Erzeuger von Wirkungsfeldern. Man wurde zu einem Geisterverstärker und Geistererschaffer, selbst wenn man es lange nicht merkte und sich nur wunderte, dass die eigenen Erfahrungen in allem, woran man glaubte, so großartig bestätigt wurden.

      Whow, das hatte doch was: Wenn ich an ein Wunder glaubte, erschuf ich mir eigentlich selbst den Geist dieses Wunders, und diesen Geist sah ich dann wiederum oder zumindest seine Wirkung, um mir zu bestätigen, dass es doch tatsächlich Wunder gab.

      Eine Freundin von mir berichtete eines Tages begeistert, sie habe so viele Berichte von Menschen gelesen, die ihren spirituellen Meister trafen und sich dann so wunderbar entwickelt hatten. Und da habe sie sich entschieden: Sie wolle nun auch ihren Meister treffen.

      „Stell dir vor, was kurz darauf passiert ist,“ sagte sie zu mir. „Meine Reikischule informierte mich, dass im kommenden Monat ein Meister aus Indien zu Gast sein wird. Das ist er! Jetzt kann es bei mir so richtig los gehen. Da kommt doch ausgerechnet jetzt ein Meister aus Indien in dieses letzte Nest der deutschen Provinz, nach Birnenbaumenbach. Unglaublich!“

      Sie wunderte sich, freute sich und fühlte sich in all ihren Erklärungen dazu bestätigt: Das war kein Zufall, dieser Meister kam für sie. Bestimmung, göttliche Führung, großes Glück! Für mich war daran vor allem interessant, wie viel Bedeutung sie diesem Meister gab, ohne ihn schon zu kennen. Ich spürte, sie vermutete ein schicksalhaftes Einwirken Gottes dahinter, so dass es in ihrem Leben wunderbar weiter ginge, und dem musste sie folgen. Wenn sich solche Wünsche erfüllten, musste sie auf einem guten Weg sein und dieser Meister war garantiert das Nonplusultra.

      Gut, er hatte schon eine merkbar hohe Schwingung, das konnte ich neidlos feststellen, als ich mal mitkam. Er behauptete, er hab bereits eine Erleuchtung zweiten Grades verwirklicht, aber mich beeindruckte er nur sehr kurz. Vielleicht hatte ich selbst auf der nach oben offenen Richterskala der Erleuchtung schon den Grad von 3,14 verwirklicht und wusste es nur nicht, weil mir die Messlatte dazu fehlte? Mich befremdeten auch die Rituale mit Verbeugen und Hof halten um ihn herum. Kurzum, mein Meister wurde er nicht.

      Aber die Begeisterung, wenn sich göttlich geführte Zufälle einstellten, so wie hier bei meiner Freundin und ihrer Idee, sie brauche nun endlich einen eigenen Meister, kannte ich nur zu gut auch von mir selbst. Jahrelang hatte ich mich so in wirklich jedes Abenteuer gestürzt. Aber was wäre, wenn alles ganz banal nur deshalb passierte, weil da ein paar Leute in der Umgebung Birnenbaumenbachs gleichzeitig intensiv von einem Meister geträumt hatten? Sie erzeugten dieses Feld, ihre Felder verbanden sich untereinander, schwollen an und wurden mächtiger und trafen im Ebay der schöpferischen Möglichkeiten auf das Feld eines anderen Menschen, der sich gerade als Meister definiert hatte und Schüler suchte. Das Geschäft kam dann schnell zustande. Beste Passung.

      Aber gleichzeitig erschrak ich bei diesem Gedanken: Dann ereigneten sich alle Anekdoten mit den Lichtfilzlingen vielleicht auch genau deshalb, weil ich daran glaubte, als die große Puppenheilerin so ganz tief in mir drin. Denn ich wollte doch so gerne, dass meine Puppen eine Wirkung haben würden. Sie sollten nicht nur nett und langweilig herumsitzen und verstauben. Sie sollte eine größere Bedeutung haben. Gerade hatte ich schon gedacht, dass alle Geschichten rund um die Lichtfilzlinge endlich der Beweis dafür seien, dass meine Puppen göttlich oder zumindest etwas ganz Besonderes waren. Pustekuchen, zumindest wenn es nach meiner neuen, computertechnischen Adaption von St. Germains Realitätskonzept ging. Und schade, das war's dann wieder mal mit der göttlich geführten Zauberfilzerin.

      St. Germain sagte dann übrigens auch noch etwas zu meinem Naturfilzcamp neben der Hütte, ganz am Anfang der Geschichte:

      „Du hast damit gespielt, mit diesem Geist des Ortes, so halb im Spaß, und daraus ist dieses Gesicht entstanden, die Maske, die du an einen Baum gehängt hast. Aber es war keine Sklaverei, du hattest dir nur unbewusst die Unterstützung geholt vom Geist dieses Wiesentals. Und du hast dich auch sehr oft mit ihm verbunden, dadurch entstand das Gefühl, dass Gott dich liebt und du eins bist mit der ganzen Schöpfung. Nun, dieses Wiesental war genau der Teil der Schöpfung, in dem du dich gerade bewegt hast. Und die innige Vereinigung mit diesem sehr umfassenden Geist rief in dir glückliche Stimmungen hervor. In der Verbindung konntest du dich in der Hütte und in all diesen Umständen sicher fühlen. Und so machen das alle Menschen, die noch eine Beziehung zur Natur haben."

      Das überzeugte mich. Ich dachte nach. Bis gerade eben hatte ich mich selbst außerhalb solcher Geister oder Wirkungsfelder vorgestellt, weil ich immer alles, was nicht „ich“ war, als außerhalb von mir dachte. Aber so konnte das ja überhaupt nicht funktionieren: Ich musste doch im Feld der Erde, des Sonnensystems, jedes Ortes, ja selbst im Feld meiner Klamotten herumlaufen. Ich selbst lebte in den Geistern. Dann gab es aber auch das Feld meines Berufes, meiner Herkunft, meiner Familie. Und alle waren verschachtelt.

      Der Lichtfilzballon

      Als nächstes musste ich mir dann auch selbstkritisch einräumen, dass vielleicht längst nicht so viel rund um meine Lieblinge passiert wäre ohne all das Tam-Tam, das wir alle gemeinsam um sie veranstaltet hatten. Zwar war es mir bereits gelungen, eine starke materielle Repräsentation eines Geistes in einer Tierfigur zu erschaffen und das konnten meine Fans natürlich spüren, aber erst die weitere Aufmerksamkeit von mir, Regina und all den vielen anderen verstärkte diesen Geist in seiner Wirkung.

      Hinzu kam, dass jeder einzelne von uns bereits in einer sehr hohen Eigenschwingung lebte. Vielleicht könnte man sogar die menschliche Schwingungshöhe direkt proportional in Beziehung setzen zu seiner schöpferischen Potenz und Kraft, sich mittels Gedanken und Gefühlen auf dem Schöpfungsdesktop durchzusetzen. Das würde erklären, warum ich mit der Zeit beobachten konnte, dass die paranormalen Anekdoten vor allem mit den Leuten erfahren wurden, die ihrem Lichtfilzling eine besondere Bedeutung und eine entsprechend große Zuwendung gaben und die gleichzeitig durch viele Einweihungen selbst schon