Julianne Becker

Licht am Ende vom Filz


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gemacht hatte, begleitet von einem zweiten Mann, der etwa in meinem Alter sein konnte und sich später als Tom vorstellte. Letzterer saß an einem Zupfinstrument und stimmte den kleinen Kreis Besucher musikalisch ein, während noch ein paar Nachzügler eintrudelten.

      Dieser Musiker faszinierte mich auf Anhieb. Er wirkte irgendwie viel plastischer und wesentlich lebendiger als alle Anwesenden, so als sei er der einzige bunte Schauspieler in einem Schwarzweißfilm. Es ließ sich nur schwer beschreiben. Alle drei hatten sowieso eine Ausstrahlung, dass ich dachte: Die sind bestimmt bereits aufgestiegen! Die ersten, die mir sozusagen life begegnen – whow!

      Auch die beiden anderen strahlten viel heller und freudvoller als wir Besucher, sie hatten so viel Liebe und Kraft um sich herum, besonders in den Augen, und auch dafür fehlten mir die Worte, ich besaß keinen Wortschatz dafür. Die Beschreibung "wuchtig" fiel mir ein, womit der kleine Indigo-Sohn meiner Freundin Sonja die besondere Kraft und Wirkung einer meiner ersten Lichtfilzlinge beschrieben hatte. Das schien hier wirklich angebracht. Aber ich war dann außerdem vor allem von Tom ganz hin und weg, auf eine Art, die ich noch nicht kannte, und ich kannte schon einiges. Er haute mich buchstäblich um, unablässig kreisten meine Gedanken um ihn. Ich hatte Mühe, dem Vortrag zu folgen. Dass Dieter neben mir saß, gab mir Halt, und seine geflüsterten Bemerkungen und bedeutsamen Blicke holten meine Aufmerksamkeit dann auch immer wieder zu den Erklärungen und in den Raum zurück.

      In dem Vortrag ging es um die Planeten, die ja bekanntlich im Horoskop eine entscheidende Rolle spielen. Es wurde uns berichtet, dass sie ein klassisches Fünfeck oder Pentagramm bildeten, und das dann auch noch ausgerechnet an drei hintereinander liegenden Vollmonden mit insgesamt acht Wochen dazwischen, also zweimal im Oktober und einmal im November. Diese Konstellation war so selten und einzigartig, dass sie sich in einer ausgedehnten Computersimulation der Tageshoroskope weder in den 4000 zurückliegenden Jahren noch in den 2000 Jahren unserer Zukunft wieder ergeben hatte. Sie war also äußerst selten. Vielleicht sogar noch wesentlich seltener, denn diese Leute hatten ja nur aufgehört zu suchen.

      Einer der Vollmonde war gerade schon gewesen, das Datum der beiden anderen schrieben wir Anwesenden uns auf. Die drei sprachen nun abwechselnd über die Bedeutung dieser Zeitqualität der dreimal entstehenden Pentagramme und waren überzeugt davon, dass damit die Ankunft der Göttin angekündigt würde. Die Geburt der Göttin stände bevor, behaupteten sie, oder noch besser: Die Rückkehr der Göttin.

      Nicht ganz ein Jahr zuvor war ein Davidstern gesichtet worden, eine Konstellation mit sechs Zacken, und den interpreterten sie als die Empfängnis der Göttin, und auch darüber sprachen sie viel. Für das Ereignis mit dem Davidstern im Jahr zuvor hatten sie den Namen "Harmonische Konkordanz" gewählt, weil damit ein zeitlicher Bogen gespannt oder noch besser beendet wurde, der 1987 mit der Harmonischen Konvergenz begann. Von der wusste ich nicht viel, außer dass da gleichzeitig ganz viele Menschen weltweit aufwachten und sich für Spiritualität zu interessieren begannen.

      Ich hatte keine Ahnung von Horoskopen, aber ich selbst hatte auch meine spirituelle Reise in gleichen Jahr angetreten und auf meinem Weg dann noch viele andere getroffen, bei denen es auch "zufällig" genau dann los ging. Etwas auffällig war das schon, da musste was dran sein. Vorher waren sie politisch oder ökologisch oder in anderen Gruppen tätig, aber plötzlich begannen sie alle scharenweise ihre spirituelle Suche. Eine richtige Welle wurde da losgetreten, aber natürlich sind die Menschen vereinzelt auch schon vorher und auch danach aufgewacht.

      Irgendwie stimmte das mit der Empfängnis der Göttin als Zeitqualität, auch in mir fühlte ich, dass es um die Geburt der Göttin ging, was für mich erst einmal ganz handfest bedeutete, dass ich endlich meine feminine Seite ganz annehmen können wollte, so ohne wenn und aber. Und das fiel mir bisher sehr schwer. Es ging um mein feminines Selbstbewusstsein und um meine psychische Unversehrheit, sozusagen um spirituelle Emanzipation und das Ende jeglicher Unterdrückung,– oder wie man es in der spirituellen Szene damals nannte: Um die Geburt der Göttin in mir.

      Auf die Göttin war ich das erste Mal in einem Urlaub auf Gozo gestoßen, einer Insel im Mittelmeer, und das lag ein Dutzend Jahre zurück. Dort in den Tempeln einer sehr alten Kultur fand man einige ausnahmslos dicke Frauendarstellungen als Relief oder Statuen, und sie symbolisierten wahrscheinlich alle die Göttin. Diese steinernen, dicken, weiblichen Körperformen berührten mich damals seltsam und faszinierten mich ungemein. Und sie konfrontierten mich auch mit meinem eigenen Dicksein auf eine neue Art und Weise, kein anderes Thema wirkte so in mir nach. In den Jahren danach beschäftigte ich mich noch häufig mit der Göttin und mit der Heilung des weiblichen Teils meiner Psyche.

      Ich sah im Übrigen trotz alledem noch lange keinen Zusammenhang zu der farbigen Puppe, die Lady Africa genannt werden wollte, und von der schon im ersten Buch viel die Rede war. Meine üppige und schöne Farbige war nämlich just so um den ersten Vollmond fertig geworden, von denen die drei in ihrem Vortrag sprachen. Und diese Puppe hattte derweil auch schon in einigen Meditationen in Berlin die Runde gemacht, zu denen Manuela sie gerade mitschleppte.

      Ich spürte deutlich und aus großer inneren Tiefe, dass mit der Konzentration auf eine männliche Version unserer göttlichen ersten Ursache namens "Gott" eine psychische Unterdrückung der Frauen und viel Leid einher gegangen waren. Wenn Gott alles war, was existierte, und davon war ich mittlerweile überzeugt, dann war er auch männlich und weiblich. Heilung, Ganzwerdung und Frieden für die Menschheit ohne die Rückkehr des weiblichen Aspekt Gottes und damit die Achtung der Frau, aber auch des weiblichen Anteils der Psyche der Männer und der Natur als Ganzes war meiner Meinung nach überhaupt nicht möglich. Und ich spürte förmlich, dass meine weibliche Seite in die Kraft und Ganzheit gehen wollte und war überzeugt, dass erst danach mein männlicher, rationaler Teil der Persönlichkeit, also mein Verstand, in Balance kommen könnte. Eine Freude erfüllte mich schon seit Wochen, die ich nun von außen bestätigt fand:

      Ja, die Göttin kam wieder!

      Bei der Harmonischen Konkordanz im Jahr zuvor kam es mir allerdings so vor, als ob das Massenbewusstsein aller Menschen mit dem Christusbewusstsein geflutet würde, so als würden nun ganz viele Menschen sozusagen mit dem heiligen Geist getränkt und öffneten sich religiösen Themen ihrer eigenen Religion, mit der Empfängnis der Göttin hatte ich es nicht gleichgesetzt. Für mich fühlte sich das damals so an, als sei ein Damm in der Kollektivpsyche gebrochen und Pfingsten nun für alle ganz leicht möglich, für alle, die sich dafür öffnen wollten. Und auch in mir hatte sich deutlich etwas verändert. Ich war vollkommen verwandelt und fühlte mich so sehr mit Christus verbunden wie noch nie zuvor.

      Der Mann am Bett

      Kehren wir zurück zu diesem Abendvortrag. Die Veranstaltung bot noch so einiges. Während das Paar mich trotz Interesse am Thema in seiner Präsentation nicht überzeugen konnte, erwies Tom sich als spannender Erzähler und belesener Forscher; seine Interpretationen klangen klug und vor allem originell, und das alleine machte ihn schon sehr interessant für mich. Am Ende kam in den drei Rednern dann auch noch das Amerikanische voll durch und sie meinten, die Anwesenden müssten sich nun alle noch gegenseitig zum Abschied umarmen. Mir kräuselten sich bei dem Gedanken etwas die Fußnägel, denn ich war eigentlich kein Freund mehr von solchen angeordneten Verbrüderungen und vor allem Aura-Vermischungen, aber diesmal freute ich mich heimlich darüber, denn so bot sich mir die einmalige Gelegenheit, herauszufinden, was ich eigentlich mit diesem Amerikaner namens Tom zu tun hatte. Denn obwohl er mich faszinierte, konnte ich nicht sagen, er wäre irgendwie besonders attraktiv gewesen, signifikant mehr als andere Männer und ich war auch deutlich nicht verliebt. Ich ratterte mein ganzes Repertoire an Erfahrungen und Konzepten herunter, fand aber nichts Vergleichbares. Was faszinierte mich nur so unglaublich an diesem Tom?

      Alles mutete mir sehr eigenartig an, teilweise befand ich mich wohl in einer Trance. Als ich dann Tom sozusagen als Test umarmte, war das auch nicht aufschlussreicher, oder zumindest nicht besonders prickelnd. Er gab mir in etwa das Gefühl, als würde ich meine eigene Großmutter umarmen: Immerhin, ungeheuer vertraut. Erst einmal war ich erleichtert, denn mit dem Verliebtsein hatte ich in meinem Leben schon so einige Scherereien erlebt und da es meist ohne Happy End verlief, vor allem sehr gelitten, so dass ich die Ruhe ohne Verliebtsein mittlerweile auch sehr genießen