Martin Cordemann

Tod du Fröhliche


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Der Betreffende musste also in der Lage gewesen sein, aus dem Stand über diese Hecke zu springen. Nur ein enger Fußweg trennte sie von der nächsten, nach kurzem Suchen fand ich fand ich auch in der anderen Hecke abgebrochene Zweige. Dort musste er auf seinem Rückweg gelandet sein. Der Weg war gepflastert, es gab keine Fußabdrücke.

      Wo sollte man hinlaufen, wenn man ein anderthalbjähriges Kind auf dem Arm hatte, das einem nicht gehörte? Ich ging den Weg weiter und stieß dort auf ein kleines Bächlein, dessen Ränder schlammig waren. Keine frischen Fußspuren. Hier war er also nicht hingelaufen und hier war er auch nicht hergekommen. Wie ich musste er also von der Straße gekommen sein. Dorthin ging ich zurück.

      Man konnte dort sicher einen Wagen parken, zwischen den Hecken herlaufen, einen Jungen kidnappen und wieder verschwinden, mit etwas Glück sogar, ohne dabei gesehen zu werden. Man musste aber auch wissen, dass da ein Junge war, den man mitnehmen konnte, denn wenn er nicht im Garten herumgeflogen war, konnte man ihn wohl kaum gesehen haben. Es sei denn natürlich, man strich auf der Suche nach einem Opfer durch die Vorgärten, wobei man sich aber wieder der Gefahr aussetzte, sich verdächtig zu machen. So gesehen, rein rational, sachlich... passte nichts zusammen! Der Babysitter kam nicht, aber die Eltern ließen ihr Kind unbeaufsichtigt im Garten. Warum? Wollten sie, dass ihr Kind entführt wurde? Ich sprach mit Horstmann darüber.

      „Sie sollten Geschichten schreiben, Harry.“

      „Das tue ich!“

      „Oh. Aber sehen wir den Tatsachen ins Auge: In ein paar Tagen wird die Leiche des Kindes gefunden und dann geht der Fall an die Mordkommission. Ich begrüße Ihren Einsatz, aber... ich fürchte, es gibt nicht mehr, was Sie tun können!“

      „Wo würden Sie nach einem Kind suchen, das von so einem Menschen entführt worden ist?“

      „Bei ihm zu Hause!“

      „Ja, denke ich auch. Aber... ich meine, würden wir ein entführtes Kind mit nach Hause nehmen? Ich meine, man kann es ja wohl schlecht mit in eine Wohnung im Hochhaus nehmen, oder? Oder ins Hotel?“

      „Solche Leute leben immer abgelegen.“

      „Nnnnnein“, musste ich ihm widersprechen. „Die Nachbarn sagen doch immer, dass er ein ganz normaler Mann war, unauffällig, dem man nie so etwas zugetraut hätte...“

      „Also wollen Sie jetzt alle normalen unauffälligen Männer verdächtigen?“

      „Hmmm!“ Die Angelegenheit begann, mir über den Kopf zu wachsen und drohte mich von dieser strategisch günstigen Position zu erschlagen. Horstmann konnte auch nicht mehr machen als ich. Er kannte sich in diesem Job aus. Es war verdammt deprimierend! Aussichtslos!

      „Guten Tag!“ Ich sah auf. In der Tür meines da-braucht-man-schon-eine-Menge-Humor-um-das-als-Büro-zu-bezeichnen stand ein Paar. Mir schwante etwas.

      „Treten Sie bitte ein.“ Ich nahm meine Brille ab und rieb sie an meinem Hemd. „Setzen Sie sich doch. Was kann ich für Sie tun?“

      „Es geht um...“ Bingo! Man hatte ihr Kind entführt. Und wie sich herausstellte, wohnten sie ganz in der Nähe der Ueters. Ich füllte das Protokoll aus, versicherte sie meiner tiefsten Bemühungen und stürmte in das bescheidene Büro meines Chefs: „Was halten Sie davon?“

      Horstmann wurde nachdenklich. „In der gleichen Gegend... Wiederholungstäter?!“

      „Hm, eigentlich schon. Aber...“

      „Aber was, Harry? Woran denken Sie?“

      „Ich meine, wir haben, Gott sei Dank, noch keine Leiche des ersten Kindes gefunden. Also entweder hat er sie gut versteckt, oder... was macht er mit den Kindern? Und: Warum in der gleichen Gegend? Warum Kinder von Eltern, die sich kennen? Da besteht doch die Gefahr, von irgendjemandem wieder erkannt zu werden!“

      „Das sind mehr Fragen, als ein Normalsterblicher wie ich beantworten kann! Vielleicht... ist diese Gegend sowas wie sein Revier oder so? Er kennt sich dort ganz gut aus und denkt, deswegen kann er nicht erwischt werden. Vielleicht deswegen der Zufall, dass die Eltern der Kinder sich kannten?“

      „Und dann... naja, er verwendet auch nicht das gleiche Schema!“

      „Ja, gut, Harry, aber wie oft finden Sie schon spielende Kinder in Gärten?“

      „Mag sein, aber... dieses Kind war auch viel älter! Und ist da nicht ein ungeheures Risiko, ein Kind auf dem Schulweg mitzunehmen?“

      „Worauf wollen Sie hinaus? Dass der Entführer das Kind kannte und umgekehrt?“

      Ich hob die Schultern. „Möglich!“

      „Harry, sogar Sie könnten ein Schulkind mitnehmen, wenn Sie es geschickt anstellen. Und Sie können das sogar, ohne dass Sie jemand dabei bemerkt und auf Sie aufmerksam wird. Wir sind keinen Schritt weiter! Lassen Sie die Suchmeldung rausgehen! Ich hab das Gefühl, das wird ein trauriger Monat!“

      Er sollte Recht behalten. Schon am nächsten Tag erschien eine Frau in diesem-nicht-einmal-büroähnlichen-Büro. Sie vermisste ihre Tochter, acht Jahre alt, die nicht vom Spielen nach Hause gekommen war. Sie wohnte in der Nähe der Ueters, kannte sie sogar. Das dritte Kind. Langsam mussten wir etwas unternehmen!

      Welchen Zusammenhang gab es zwischen den Kindern? Außer dem, dass sie in derselben Gegend wohnten? Oder... war das der Zusammenhang? Aber man entführte nicht einfach ein paar Kinder, nur weil die Eltern einander kennen! Gut, manche taten sowas vielleicht, aber es blieb die Frage: Warum? Oder entführte der große Unbekannte sie nur, weil er sich an ihnen vergehen wollte? An Jungen und Mädchen? Zwischen anderthalb und acht Jahren? Wir hatten noch keine Leiche gefunden. Keines der entführten Kinder war wieder aufgetaucht. Ich kam mir fast vor wie zu Zeiten Herodes, aber die Wahrscheinlichkeit, dass jemand die Kinder für den Heiland hielt... war wohl doch selbst in unserer sektenüberfluteten Zeit ein wenig an den Haaren herbeigezogen. Dennoch, es gab viele Verrückte!

      Es wurden Zivilfahnder eingeteilt, die sich Tag und Nacht in der betreffenden Gegend aufhielten. Ich sah mich dort um, befragte Leute, aber es kam nichts dabei heraus. Niemand hatte jemanden gesehen, der sich verdächtig benommen hatte, außer mir, aber als ich mich dann auswies klärte sich das Bild. Ganze drei Mal wurde ich verhaftet! Aber außer mir und den Zivilfahndern gab es keine Fremde.

      Ein großes V für: Vielleicht war der Täter nicht aus dieser Gegend? Vielleicht aber doch! Sackgasse! Ich kam nicht weiter! Und: Trotz der Zivilfahnder verschwand ein weiteres Kind! Ein fünfjähriger Junge! Ein Fallbeil schwebte über mir. Und ich fand einfach keine Spur! Jedes Verbrechen, jede Entführung war anders! Es gab keine Zusammenhänge in der Ausführung, vielleicht... waren sie alle unabhängig voneinander begangen worden? Aber vielleicht spielte Gott auch im Radio Mundharmonika!

      Wenn zwei ähnliche Vorfälle auftreten, kann das Zufall sein; wenn es drei sind, ist es möglicherweise schlechtes Timing; bei vieren kann es blankes pures Pech sein; aber wenn es fünf sind, dann hat es System! So merkwürdige Zufälle gab es normalerweise nicht! Wie... wie lange würde das so weitergehen?

      Es ging nicht weiter! Am nächsten Tag erschien niemand, der sein Kind als vermisst melden wollte. Ein paar gestohlene Fahrräder, aber in einem anderen Teil der Stadt. Wirklich ohne Zusammenhang! Dennoch, die vermissten Kinder waren noch nicht wieder aufgetaucht. Nervös rauschte Horstmann in unser möglicherweise-ein-Bausatz-für-eine-Legebatterie-aber-mit-Sicherheit-kein-Büro, ging auf und ab, soweit der Platz dafür reichte und rieb sich unentschlossen das Kinn. Dann blieb er stehen, sah mich und Weiß an und sagte: „Der Polizeipräsident sitzt mir im Nacken!“ Dann setzte er seinen Weg fort.

      Weiß löste heute keine Kreuzworträtsel. Dazu war die Lage zu ernst. Er hatte angefangen zu stricken. „Ich will ja weißgottnichts vom Zaun brechen, aber wir brauchen Resultate“, erklärte Horstmann bei einem neuerlichen Stopp. „Der Alte sitzt uns ganz schön im Nacken.“ Auf und ab. Auf und ab. Auf und. „Rhode, Sie sind doch immer so scharf drauf gewesen, Extratouren zu reiten und den Fall zu lösen. Rhodedendron, häh? Also gut, ich gebe Ihnen die Möglichkeit!