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      Mieza war total stoned und versuchte Weißbrot zu toasten. Er hatte schon mindestens acht Packungen aus der Kühltruhe geholt. Aber sie wurden immer zu schwarz und er ließ sie wie Diskusse durch die Gegend segeln.

      Manche fraßen Zeug (Pizzen) direkt aus der Gefriertruhe. Irgendwer streute überall Niespulver hin. Dauernd reiherten welche auf die Teppiche.

      Gegen Morgen wurde es ruhiger. Es kursierte das Gerücht, dass es auf einer anderen Party in der Nähe noch was zu saufen gab. Woher wollten die das denn wissen? Trotzdem düsten immer mehr da hin.

      Ich half etwas aufräumen. Dabei fand ich unter einem Schrank eine Weinflasche, die jemand gebunkert und im Suff vergessen hatte. Die leerte ich mit Elke und Tobias.

      Als ich loszuckte, war es längst hell.

      Kurz bevor ich aus dem Haus ging, wusch ich meine Haare. Sie waren nun so lang, dass sie das Waschbecken ausfüllten. Ich griff meine Schulsachen, die ich in einer schäbigen Plastiktüte hatte, und zog meinen neuen Hirtenmantel über.

      Zwei Nachmittage hatte ich in der ganzen Stadt einen braunen Hirtenmantel gesucht, aber in ganz Hannover hatte es keinen gegeben. Dieser hier war leider weiß und ging vorne nicht richtig zu. Wenn es windig war, musste ich die Arme verschränken, damit es nicht reinzog. Was soll‘s – immerhin ein echter Hirtenmantel.

      Ich legte die nassen Haare über das weiße Schaffell und machte mich auf den Weg zur Schule. Es war noch ganz dunkel und die Fußwege waren überzogen mit einer frischen Schicht Puderschnee. An der Bude am Stephansplatz kaufte ich eine Flasche ungarischen Rotwein: ‚Rosenthaler Edelkadaker‘. Nur eins achtzig und dafür echt lecker. Es standen schon zwei Kerle da und kippten Flachmänner.

      Ich schlitterte über die nächste Kreuzung, drückte den Korken in die Flasche und nahm einen kräftigen Schluck. Der schwere, süße Wein wärmte sofort. Jedenfalls bildete ich mir das ein. Die Scheinwerfer, der auf dem Eis kriechenden Autos, wanderten an den Wänden der Mietshäuser entlang. Auspuffgase dick und weiß.

      Ich bog um die nächste Ecke und klingelte bei Paffy, den ich in letzter Zeit morgens abholte.

      Weil er wieder mal nicht gleich runterkam, musste ich hoch. Fluchend stellte ich die Flasche in eine Manteltasche und hielt einen Daumen drauf, so dass sie nicht plörrte.

      „Paffy ist noch nicht fertig“, sagte Paffys Mutter. Ihre Krampfader-Beine waren unschön, ihre Filzlatschen alt und ihr türkisblauer Stepp-Bademantel uralt. Sie führte mich ins Wohnzimmer. Die Eltern von Paffy hatten einen Wellensittichtick. Rölfchen und Berta flogen aufgeregt durch den Raum und krakeelten vor sich hin.

      „Gestern hat unser Rölfchen ganze Geschichten erzählt“, berichtete die Mutter. Unterdessen presste Rölfchen sein Hinterteil zusammen und kackte vom Kronleuchter runter knapp neben eine Schale mit Orangenmarmelade.

      „Ich seh‘ mal, wie weit Paffy ist“, sagte ich und stiefelte in sein Zimmer. Über seinem Bett hing auf einem Strick aufgefädelt seine Mercedessternsammlung und ein Poster von ‚Jethro Tull‘ aus einer ‚Bravo‘. Er bürstete ausgelassen seine langen Locken.

      „Wird Zeit“, sagte ich ungeduldig.

      Endlich zischten wir los. Natürlich waren wir nun spät dran und es wurde schwierig, den ganzen Wein auf dem Schulweg zu vernichten. Musste man aber, da ich ja den Korken in die Flasche gedrückt hatte. Außerdem war es schwer mit der Flasche auf dem Fußweg entlang zu balancieren, weil es unter der Schneedecke wirklich tückische Eisstellen gab. Ich reichte sie Paffy, damit er mir half.

      „Ne, danke“, sagte er aber, „bin gestern abgestürzt.“ So musste ich auch noch alles alleine trinken!

      Weil grad‘ eine Straßenbahn anzuckelte, fuhren wir eine Station, natürlich schwarz. Das brachte zeitlich zwar nicht viel, aber immerhin.

      Wir hetzten weiter. Kurz vor der Schule stürzte ich den restlichen Wein runter und stellte die leere Flasche auf die Mauer der Mädchenschule, die gleich neben unserer war.

      Drinnen war prima geheizt und weil es sich so komisch anfühlte, fasste ich mir an den Kopf. Meine Haare waren zu Strähnen zusammengefroren. Schock! Wenn ich dagegen kam, brachen sie ab.

      Tobias hatte mir einen Brief geschrieben. Also rief ich ihn an und wir verabredeten uns.

      Die Wohnung war viel größer, als ich sie von der Party in Erinnerung hatte. Es roch gemütlich. Wir gingen in Tobias‘ Zimmer. Er hatte dicke Wollsocken an und ich musste meine Latschen auch ausziehen.

      Wie bei mir, war die Gestaltung des Zimmers eins der wichtigsten Dinge. Unter dem Fenster einige Matratzen, ein Bett, ein dicker Teppichboden. Die eine Wand war eine einzige Wandcollage, die vom Boden bis zur Decke reichte. Tausende witziger, pornographischer, schriller, wüster Bilder, zusammengeklebt zu einem Gesamtding. Viele Bilder waren aus ‚Playboy‘ oder ‚Mad‘. Aber dazwischen klebten auch private Fotos, Figuren und Plakate. Echt stark.

      Das Loch im Teppich, das Silvester durch die schröggelnde Lederjacke entstanden war, war mit einem Bücherregal verdeckt.

      Tobias holte aus der Küche Mandarinentee und entfachte Räucherstäbchen. Wir besichtigten die Kakteen auf seinem Fensterbrett. ‚Livin Blues‘ spielte einen herzzerreißenden Blues.

      „Den hier habe ich in einem Blumenladen am Steintor geklaut“, erläuterte er, „den kleinen Racker mit den langen Stacheln auch. Dieser Racker hier drüben kommt aus einem Blumenladen um die Ecke. Diese roten hier, habe ich im Berggarten abgemacht.“

      Wir setzten uns im Schneidersitz gegenüber und probierten den Tee.

      „Dufte“, sagte ich.

      „Ja, knorke“, sagte Tobias.

      Inmitten der Wandcollage hing ein Zettel auf dem stand: „Vertrag: Bei ihrer Vorhaut schwören Yogi und Tobias nie im Leben Zigaretten, Zigarren oder Pfeife zu rauchen.“ Drunter waren die Unterschriften.

      „Ich hatte mal mit Lene die Abmachung getroffen, dass wir eine Woche keinen Alkohol trinken“, sagte Tobias, „aber sie hat sich nicht dran gehalten. Deshalb mache ich nur noch schriftliche Verträge.“

      „Wie lief das überhaupt mit Lene und dir?“ fragte ich neugierig.

      „Ich habe viele ganz super Erinnerungen an sie“, sagte er zögerlich.

      „Wie lange wart ihr zusammen?“

      „Ungefähr ein halbes Jahr und ihr?“

      „Auch ziemlich genau ein halbes Jahr“, sagte ich.

      „In meinem psychologischen Ratgeber steht, dass Teenagerbeziehungen im Schnitt immer ein halbes Jahr halten. Scheint zu stimmen“, sagte er nachdenklich.

      „Wie habt ihr euch eigentlich kennengelernt?“ fragte ich weiter, schließlich hatte ich überhaupt nicht mitgekriegt, wie er mir Lene ausgespannt hatte.

      „Ich hatte Elke vor dem Haus der Jugend getroffen. Da hab‘ ich sie gefragt, wo Lene ist.

      ‚Zu Hause‘, hatte sie geantwortet. Da dachte ich, ‚die Arme, muss an einem Samstag allein zu Hause sein, das ist doch nicht richtig.‘ Also bin ich hingedüst und habe sie abgeholt. Wir sind dann zum Maschsee und haben auf Bänken rumgesessen und den Enten zugesehen. Richtig dufte.

      Dann waren wir auch schon zusammen. Wir haben uns nachmittags in der Stadt getroffen und Gurken und Melone gegessen. Sehr dufte.

      Ich habe zwei Ringe aus Draht gebastelt und als wir an einem Juweliergeschäft vorbeikamen, bin ich schnell reingesprungen. Ich habe den Verkäufer nach der Uhrzeit gefragt. Höhö. Dabei kramte ich dann die Drahtringe vor, ging wieder raus und steckte sie uns an. Hat sich super gut angefühlt.

      Knorke war auch, als wir mal auf einer Lichtung im Wald auf einer Decke saßen. Wir kabbelten so rum und irgendwann waren wir völlig nackt. Ich hatte hunderte Mückenstiche gekriegt.