Siegfried Liebl

Er und die Anderen


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hatten. Sie hatten immer irgendwelche Gläser in der Hand, und so war es letztendlich egal, an welchem Tage man diese Blätter aufschlug.

       Als die drei ihre Instrumente aufgebaut hatten, waren sie heilfroh, dass der geringe Platz unter dem weißen Alu-Zelt ausgereicht hatte. In den Spielpausen wollte Wolle über seinen i-pod Berieselungsmusik einspielen.

       Und so wartete man die zu verbleibenden 20 Minuten ab, bis man endlich zu spielen beginnen sollte. Musiker vertreiben sich in solchen Situationen ihre Zeit mit Wortspielen, Witzen oder Zoten. Man muss dies verstehen, sind doch diese Menschen schöpferisch und innovativ veranlagt und deshalb ständig auf Standby programmiert. An diesem Tag erzählte Wolle die Geschichte des König Lud, der auf seiner Burg zu Kerzenschein und bei offenem Fenster regelmäßig masturbierte. Nachdem die Burg aber keinen Namen hatte, wurde sein Volk, das bei seines Herrschers nächtlichem Treiben ständig Zeuge war, zwecks Betitelung des aristokratischen Stammsitzes befragt. 95% kamen trotz schlechter Deutschkenntnisse zum selben Ergebnis…..

       Der Pianist kannte sich beim equalizing seiner Verstärkeranlage gut aus, und so kam es auch nicht zu unerwünschten Rückkopplungen und Pfeifattacken. Die Passanten im Innenhof nahmen die Musiker erst wahr, nachdem diese zu spielen begonnen hatten. Als Pianist kann man sich hinter eine Sonnenbrille flüchten oder man betrachtet das schwarz-weiße, antiaparte Gebiss seiner Tastatur. Man fällt nie mit der Tür ins Haus und startet etwa mit einem up-time Titel. Die Presse hatte sie in einer kleinen Notiz mit „fetzigem Jazz“ angekündigt. Wortschöpfer solcher Termini haben wahrscheinlich mit der Bildungsnähe eines Millionen-Publikums geflirtet. Wolle, der Schlagzeuger und Bandleader für eben diesen Tag hatte jenen Presseartikel ebenfalls mit missbilligendem Augenzwinkern quittiert. Andreas aber war glücklich, wieder einmal mit seinem geliebten Ensemble spielen zu können. Die drei waren eine verschworene Einheit, bei der jeder einzelne riecht, was der andere vorhat. Üben gilt in diesen Kreisen der Musik als verpönt; man hat ein Repertoire mit ausreichender stilistischer Vielfalt oder man dümpelt dahin, wie der Jazzpreisträger und sein bulgarischer Geiger.

       Allmählich hörte der Regen auf ,und die Sonne zeigte sich. Hatte der Wetterbericht nicht anderslautendes vorausgesagt? Sei`s drum! Den 3 Freunden war es nur recht, wie sich immer mehr Menschen Stühle schnappten, um diesem einzigartigen Konzert zu lauschen; ein Konzert, das zu drei Vierteln aus Instrumentalmusik bestand, Musik, bei der keiner die nötige Liebesinformation- oder was man zu tun und zu lassen hätte- mitlieferte. Man spielte 45 Minuten und hatte dann bis zum vollen Glockenschlag eine Trink- und Entspannungspause. Die Menge hatte zwar keinen Eintritt bezahlt, doch sie harrten auf den kommenden Set und hörten sich von Minute zu Minute besser in Swing und Adaption ein. Neben Standard-Titeln der Swing Ära kamen ganz neue und faszinierende Mixturen von Klassik und syncopated Music zu Gehör; und in den Gesichtern dieser Zufallsmenge von Menschen zeichnete sich neben Bewunderung ein Glücksgefühl der seltenen Art ab. Ein lächelndes Miteinander ergriff Besitz von allen, die an diesem Sonntagnachmittag den berühmten Innenhof der Stadt säumten. Als dann die große Kirchenglocke ans 6- Uhr- Gebet gemahnte, und die treuesten der treuen eine Zugabe dieser Band einforderten, improvisierte der Pianist zum Klang des tiefen g spontan den Choral „Wie schön leucht` uns der Morgenstern“ als jazzige, religiöse, klassisch zeitlose und dankbare Paraphrase. Ja, es war ein Konzert, welches sich zu spielen gelohnt hatte; und alle, die es erlebt hatten, waren dieser Meinung.

      1 Putzi (Bagatelle)

       Eigentlich wollte er nur spazieren gehen. In Sichtweite auf einem Feld wurde etwas aufgeblasen. Sein Sohn drängte ihn ungeduldig, sich dem Geschehen anzunähern. Ein Fernsehteam filmte eifrig mit. Man wollte den Beitrag zeitnah senden. So geschah es dann auch.

       Sie war Ende 30 und stand an der Reling eines Heißluftballons, der hoch über einem Walde schwebte, und sprach mit gefalteten Händen ein herzer-weichendes Gebet für ihn, der kürzlich an Diabetes verstorben war, und dessen Asche nun in einer Holz-Urne mit unterseitigem Klappverschluss außerhalb des Korbes befestigt war: „ Mein kleiner Liebling, Du warst mein Lebensinhalt und Du hast mir immer alles verziehen; ich danke Dir dafür!“ Neben ihr stand auch noch die 10jährige Tochter und schaute hilflos aufs Weidengeflecht. Der Ballonführer hatte die Luftbestattunszeremonie kurz zuvor mit den Worten „wir sind heute zusammengekommen, um von Putzi Abschied zu nehmen“ begonnen.

       Was für eine clevere Marketing-Idee, dachte er: Ballonbestattung für Hunde. Abrieseln der Asche über unbewohntem Gebiet (so will es der Gesetzgeber!). Er hatte sich schon manchmal gefragt, warum so viele Menschen beim Husten bellen. Ihm wurde schlagartig klar, dass manche Zeitgenossen ihr defektes Seelenimplantat standhaft vor ihren Mitmenschen verschweigen.

       Die Ballonfahrt, speziell zu Pietätszwecken, kostet schlappe 1250€. Dieses Land lechzt nach Elend, Krieg und Hungersnot, wo es dann volksliedhaft heißt: „ Die Kinder schrei`n nach Kaviar, sie wissen`s noch wie`s früher war“; dann darf man auch ungeniert sagen: „Wir sind auf den Hund gekommen“! Er erinnerte sich daran, dass in diesem Land der Tierschutz mehr Mitglieder als der Kinderschutz hat.

       P.S. Wem diese Geschichte zu kurz erscheint, dem sei gesagt: Der Hund war klein und hatte ein kurzes Leben.

      3. Chor, leider(Sonatine)

       Dienstag-, Mittwoch- und Donnerstagabende waren außerhalb der Schulferien für den Chorgesang verplant. Er sang nicht in einem oder mehreren Chören; nein, er leitete sie. Das Vereinswesen nach deutscher Art, das bis in seine Tage Gauchorleiter zu Führern ernennt, prägt nach-haltig die Sängerschaft der einzelnen Bundesländer. „ Frisia non cantat“ hat schon Tacitus in seiner „Germania“ bemerkt. Es gibt in der Tat ein sängerisches Qualitätsgefälle, das sich reziprok von Nord nach Süd hinzieht. Die Anzahl der Vereine steigt, je mehr man sich den Alpen nähert. Eine Daumenregel sagt auch, dass ein Chor nur so gut singt wie sein Leiter, pardon, Leiterin. Es gibt immer mehr Frauen, die dem Führerprinzip in Haus und Beruf folgen.

       Bei ihm hingegen war es reiner Zufall, dass er ein Angebot diesbezüglicher Art bekam. Er hatte als Pianist den Gesangverein seiner Wohnstadt beim Konzert begleiten dürfen. Mittelmäßig, hemdsärmelig und laut kamen ihm die Menschen mit ihren aufgerissenen Kehlen vor. Er saß in Sichtweite zum Dirigenten schräg und nah am Publikum, das an langen Biertischen lärmend vor sich hin tafelte. Die Sänger und Sängerinnen auf der halbhohen Bühne störte dies nicht, denn sie waren auf die rudernden Gesten des Leiters programmiert, der mit seinem Schlagmuster, das zu groß war und sempre forte suggerierte, fast alle Blicke im Saale auf sich zog. War es Leidenschaft oder die bloße Abwehr gegen die Wand des permanenten Grummelns der anwesenden Zuschauer? Deutliche Liedschlüsse veranlassten schließlich zu Beifall, und ein verirrtes Bravo durfte nicht fehlen, schon aus Tradition nicht. Die Gage war ordentlich, und er vergaß diesen Abend in stickiger Luft bei zu geringer Raumhöhe schnell.

       Eines Tages sagte sich der gesamte Vorstand der Singgemeinschaft bei ihm an, und die Herren klagten über den erwähnten Chorleiter. Schlechte Menschenführung, Probenausfälle, finanzielle Ungereimtheiten usw. sähen sie als ausreichenden Anlass, den Herrn seiner Funktion zu entheben. Der Pianist wollte seinerseits nicht den Königsmörder spielen. Man versprech ihm aber reichlich Entgelt für fürderhin zu leistende Dienste. Da er bald ein neues Auto kaufen wollte, machte ihm das Angebot mit Sondervergütungen bei Ständchen, Beerdigungen und Konzerten gierige Gedanken und er war sich damals nicht im klaren, auf was er sich da einlassen würde. Er sagte zu und startete nach den großen Schulferien mit dem Probenmarathon Kinderchor, junger Chor, gemischter Chor( In Stunden: 18 bis 19 Uhr, 19 bis 20 Uhr und schließlich 20 bis 22 Uhr)-jeden Donnerstag. Das größte Problem bereitete ihm die kritische und abwarten-de Haltung der eingefleischten Fans seines Vorgängers, allesamt aus der Gruppe „Junger Chor“. Junge Menschen sind im allgemeinen treu und wechseln ungern die Pferde. Er hatte aber gerade einige Songs zu „Hair“ arrangiert, die er gekonnt und mit pädagogischem Geschick einstudierte. Er war gewohnt, mit jungen Menschen umzugehen. Sein Charme und sein pianistisches Können überzeugten schließlich.

       Die Alten hingen sowieso an seinen Lippen.