Smila Spielmann

Und wirklich versteht man sich nur wenn man nichts sagt


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1967

      „Johanna, geh lauf schnell zu den Birnkers und frag ob wir nicht ihre Schiebtruhe ausborgen können.“ Mein Vater hat seine Mütze vom Kopf genommen und streicht sich mit dem Handrücken die Haare aus dem Gesicht.

      Ich lasse den Rechen fallen. Zu den Birkners ist es weit, eine Stunde wenn ich mich beeile, aber ich gehe lieber spazieren, als dass ich auf den Feldern helfe. Es ist kurz nach Mittag. Ich nehme den Weg durch den Wald anstatt den über die Felder. Zurück muss ich ohnehin über die Felder gehen, denke ich. Wenn ich denn die Schiebtruhe bekomme. Bei den Birkners kann man da nie so sicher sein. Ihr Hof liegt abgeschieden und als vor zwei Jahren ein Feuer in ihrer Scheune ausbrach, hat ihnen keiner rechtzeitig helfen können. Zwei Mädchen sind gestorben. Nur ein Bub ist ihnen geblieben. Der Hans. Er ist in meiner Schule, doch ich kenne ihn kaum. Er redet nicht viel. Ich glaub, er ist lieber allein. Ich beneide ihn nicht. Seine Eltern waren schon alt, als sie ihn bekommen haben. Hans Mutter schaut aus wie meine Oma. Mit faltiger Haut und fleckigen Händen.

      Ich pflücke Walderdbeeren auf dem Weg. Sie sind so klein, dass man mehrere in den Mund stopfen muss, um überhaupt irgendwas zu schmecken.

      Die Birkners arbeiten gerade vor dem Haus, als ich ankomme. Hans Vater schaut mürrisch als ich ihn nach der Schiebtruhe frage, doch dann nickt er. Während er sie holen geht, stehe ich da und weiß nicht recht, was ich machen soll. Der Hof ist ziemlich heruntergekommen. Die Hühner laufen frei und überall liegt ihr Kot. Ich bilde mir ein, verbranntes Holz zu riechen und mein Blick fällt auf die Überreste der Scheune. Niemand hat sich die Mühe gemacht, sie wieder aufzubauen.

      „Du warst heute nicht in der Schule.“

      Ich blicke erstaunt auf. Hans steht vor mir und schaut auf mich hinunter. Er ist bestimmt einen ganzen Kopf größer als ich.

      Das ihm das überhaupt aufgefallen ist? Ich dachte immer, er bemerkt mich gar nicht und die Anderen auch nicht. Nur seine Bücher. Die anderen Buben haben sich am Anfang darüber lustig gemacht, dass er gerne liest. Doch dann hat er sie verprügelt und außerdem spielt er gut Fußball – das hat dann genügt um sich ihren Respekt zu sichern.

      „Wir haben gerade so viel Arbeit auf den Feldern“, meine ich achselzuckend.

      Hans schiebt seine Hände in die Hosensäcke. Die Geste hat etwas abwehrendes. „Willst du nicht in die Schule gehen?“

      Ich schaue ihn an als hätte er den Verstand verloren. Natürlich gehe ich lieber in die Schule, als auf den Feldern zu schuften, aber ich habe keine andere Wahl.

      Hans nickt langsam und ich bin froh, dass ich ihm das nicht auch noch erklären muss.

      Hans Vater kommt zurück und schiebt eine rostige Schiebtruhe vor sich her. „Bring sie halt zurück, wenn ihr sie nicht mehr braucht.“

      Ich nicke und fasse nach den Griffen. Sie ist schwerer als sie aussieht und kippt mir fast um. Ich unterdrücke ein Fluchen. Das wird ein langer Heimweg werden.

      „Hans, begleite die Johanna. Das Ding ist zu schwer für das Mädel.“

      „Es geht schon“, werfe ich ein doch weder der alte noch der junge Birkner scheinen mich zu hören.

      „Ich dachte, du willst dass ich…“ Der Hans kommt nicht dazu den Satz zu vollenden. Sein Vater holt aus und haut ihm eine runter. „Wie oft hab ich dir schon gesagt, du sollst mir das Denken überlassen?“

      Ich zucke zusammen. Hans Wangen verfärben sich langsam, doch er weint nicht, bleibt ganz ruhig stehen. Nur in seinen Augen glänzt eine Wut, wie ich sie noch nie gesehen hab.

      „Wie du willst“, meint er dann und es klingt als würde er jedes Wort zerbeißen. Er reißt mir die Griffe aus der Hand und macht sich auf den Weg ohne sich noch einmal umzudrehen. Ich nicke seinem Vater zu, dann laufe ich ihm hinterher.

      Er sagt kein Wort und fährt so schnell, dass ich mich beeilen muss um ihm hinterher zu kommen. Mein Gott, wie peinlich muss ihm das sein. Mein Vater haut mich auch manchmal, wenn er findet, dass ich es verdient habe; aber nur wenn keiner zuschaut. Solche Dinge gehen nur die Familie etwas an, findet er.

      „Das ist gemein von Hans Vater“, denke ich und ich verstehe warum er jetzt so schnell fährt, doch nach ein paar Minuten bin ich außer Atem. In meinem Kopf wird alles ganz leicht und meine Füße stolpern weiter ohne dass ihnen mein Hirn sagt, wozu. Ich glaube, ich habe Durst.

      Und dann, plötzlich, kommt mir der Boden entgegen. Mir wird schwarz vor Augen, eine Sekunde nur. Ich knalle unsanft auf meinen Hintern. Ich sitze da und frage mich, was passiert ist. Mein Hinterteil schmerzt. Es ist viel zu heiß.

      „Alles in Ordnung?“ Hans Stimme klingt besorgt.

      Ich schaue nicht auf.

      Mit einem Seufzer lässt er sich neben mir zu Boden fallen. „Wir gehen langsamer weiter, ich verspreche es.“

      Ich versuche ein Grinsen zu unterdrücken. „Gut wäre es, wenn ich mich in die Schiebtruhe setzen würde und du würdest mich schieben.“

      Zu meinem Erstaunen bringen ihn meine Worte tatsächlich zum Lachen. Ich glaube, ich habe ihn noch nie Lachen gehört.

      Plötzlich springt er auf. „Ich weiß etwas“, meint er und streckt mir die Hand hin. Ich bin zu neugierig um sie nicht zu nehmen. Wir lassen die Schiebtruhe einfach stehen. Hans führt mich an den Rand des Feldes, wo ein paar Bäume stehen und ein kleiner Bach fließt. Er zieht die Schuhe und die Strümpfe aus. Ich mache es ihm nach.

      Das Wasser ist kalt zwischen meinen Zehen. Es reicht mir gerade einmal bis an die Waden. Mein Hintern schmerzt fast nicht mehr. Der Hans hat sich auf einen Ast gesetzt, der übers Wasser ragt und beobachtet mich. Ich halte mein Kleid mit beiden Händen in die Höhe, damit es nicht nass wird. Es ist weiß mit gelben Blumen. Vor mir hat es meiner Schwester gehört. Ich frage mich warum er mich so ansieht.

      „Mein Vater ist nicht immer so“, meint er und sieht mich nun nicht mehr an. Er wirft einen Stein ins Wasser. „Ich glaube du verunsicherst ihn.“

      Ich verstehe nicht.

      „Die Grete hatte braunes Haar. Sie hatte es immer zu einem Zopf gebunden. Ganz ordentlich. Nicht so wie du. Du trägst deines immer offen.“

      Grete Birkner. Hans Schwester.

      „Sie war so alt wie du, als sie gestorben ist.“

      Ich weiß nicht, was ich sagen soll.

      „Hast du schon einmal eine Tote gesehen?“

      Erwartet er eine Antwort? Ich glaube nicht. „Vor einem Jahr ist meine Großmutter gestorben. Ich habe in ihrem Bett geschlafen. Sie war sehr krank. In ihrem Bauch waren Geschwüre und er war ganz dick und aufgequollen. Ich musste bei ihr bleiben um auf sie aufzupassen. Falls sie irgendetwas braucht. Eines Morgens ist sie nicht mehr aufgewacht und als ich ihre Wange berührt habe, war sie ganz kalt. Ich habe neben einer Toten geschlafen.“ Ich rede normalerweise nicht darüber.

      Der Hans schaut mich lange an, dann nickt er. „Der Tot ist wie ein langer Schlaf, denke ich.“

      Ich weiß nicht, ob er das ernst meint, weiß nur was der Pfarrer in der Kirche sagt und dass meine Großmutter bei Gott ist. Es kommt mir dumm vor, das zu sagen.

      „Der Tot ist auf dem Land viel schlimmer als in der Stadt“, meint er dann. „Alle wissen was passiert ist und doch redet keiner darüber.“

      „Möchtest du denn darüber reden?“

      Hans zuckt mit den Achseln. „Wir sollten sehen, dass wir weiter kommen.“

      Den restlichen Weg gehen wir langsamer, doch wir reden nicht mehr.

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