Fe Mars

Dunkle Seele Liebe


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bist einfach hypersensibel, Schatz! Da ist gar nichts! Was glaubst du denn? Dass es spukt? Und dann hatte meine Mutter gelacht. Ich hatte ihre Stimme noch genau im Ohr und auch, wie künstlich ihr Lachen geklungen hatte. Ich war mir sicher, dass sie log. Vielleicht belog sie sich aber auch selbst.

      Lia begann mit dem Kochlöffel den Takt zu einem Lied an den Topfrand zu klopfen und ein wenig schräg zu singen.

      „Sag mal, wem gehört der Hund im Garten?“

      „Rizzi? Der gehört Justin. Unterste Wohnung zusammen mit Valentina. Fotografen alle beide, er ist ihr Assistent. Netter Junge, etwas ernst. Er müsste ungefähr in deinem Alter sein. So!“ Sie legte den Löffel beiseite. „Bedien dich ruhig, wenn du Hunger hast! Mach dir einfach ein paar Nudeln dazu. Und komm doch später wieder nach unten. Vielleicht ist Flavia da. So lernst du rasch die ganze Belegschaft kennen!“

      Ich verbrachte den Nachmittag in meinem Zimmer und studierte die paar Skripten, die ich schon bekommen hatte. Nur nicht wieder hinausgehen und diese Blicke spüren. Und dieses Beobachtetwerden. Missmutig blätterte ich durch meine Unterlagen.

      Es war schwül in der Wohnung. Ich schleppte mich unter die Dusche. Das Wasser wechselte ständig zwischen heiß und kalt, aber danach war ich ein wenig munterer.

      Einer hat mich angestarrt. Na und? Vielleicht hat er mich ja mit jemandem verwechselt. Und dann? Habe ich mich verfolgt gefühlt. Wirklich gesehen, dass jemand hinter mir herkommt …? Nein, hab ich nicht. Also.

      Ich straffte die Schultern, als könnte der reine Wille zum Glück es herbeizwingen. Ich lass sie mir nicht kaputtmachen, dachte ich, meine neue Freiheit, meine Unabhängigkeit! Mit feuchten Zehen schlüpfte ich in meine Flip-Flops und lief hinunter ins Atelier.

      Ich atmete durch, als ich zwischen Lia und Ubaldo saß, wieder auf der Treppe, die anscheinend mein üblicher Platz wurde. Die beiden arbeiteten still. Zum ersten Mal an dem Tag fühlte ich mich sicher. Ich vertiefte mich in mein Italienischlehrbuch.

      Die Dämmerung begann sich bereits über den Raum zu legen und aus den Ecken zu kriechen, als draußen der vertraute Pfiff ertönte. Dann flog die Tür auf und Rizzi stürmte herein, doch diesmal kam er nicht allein.

      „Ah, Justin!“ Lia winkte. „Schön, dass du kommst. Dann kannst du gleich Selina kennenlernen.“

      Justin folgte seinem Hund deutlich langsamer. Die dunklen Haare hingen ihm wirr und nachlässig in sein düsteres Gesicht. Sein Blick aus seltsam hellen Augen traf mich direkt, dann zuckte er zur Seite. Ich spürte ihn nachglühen wie einen Schmerz.

      Und das war er. Der Moment, der mein Leben in ein Vorher und ein Nachher teilte. Und nichts dazwischen.

      „Selina?“ Ich hörte die Stimme meiner Tante wie durch Watte.

      Justin, dachte ich. Justin. Ihm gehört der Hund.

      Der Puls klopfte wie ein kleines gefangenes Tier in meinem Hals. Mit einem Mal hatte ich das Gefühl, mich in Zeitlupe zu bewegen. Ich legte mein Buch auf die Treppe, stand auf, ließ den Halt des Geländers los und schaffte es ohne zu stolpern durch den Raum.

      „Freut mich“, murmelte ich, streckte Justin die Hand hin und spürte kurz den Druck seiner kühlen Finger. Sein Blick traf mich erneut, flüchtig diesmal. Er antwortete so leise, dass ich ihn kaum verstand. Es klang wie: „Ja. Okay.“ Dann hatte er auch schon Rizzi, der sich wedelnd und hechelnd an mein Bein drückte, am Halsband gepackt. Die Tür fiel zu und sie waren fort.

      Ich stolperte zurück zur Treppe, kauerte mich auf die Stufe. Zum Glück achtete niemand auf mich. Der Schatten am Tor, das war er gewesen. Justin. Wie ein Flashback ergriffen mich der Schreck und die Unsicherheit des letzten Abends.

      Justin. Seine Augen schimmerten wie Kiesel, die unter Wasser lagen. Oder unter Eis. So kalt hatten sie mich angeblickt. Als wäre ich das Letzte auf der Welt, was er sehen wollte. Und ich? Alle Alarmglocken in meinem Kopf waren zugleich losgegangen, als dieser Blick mich getroffen hatte: Renn! Lauf weg! Egal wohin, nur fort!

      Und dann?

      Der Gesang einer Sirene hatte sich eine schmale Spur durch meine Gedanken gebahnt, süß, klebrig und unwiderstehlich. Ich hatte plötzlich ein Flattern in mir gespürt, wollte reflexhaft nur dem betörenden Ruf folgen. Und der Ruf kam von Justin.

      Ich schlang Schutz suchend die Arme um mich, versuchte mich zu konzentrieren. Was lief hier ab? Ich verstand es nicht. Wurde ich jetzt verrückt, psychotisch? War ich getrieben von Wahnvorstellungen? War es vielleicht nie etwas Anderes gewesen?

      *

      Er: Er hätte nicht hingehen sollen. Verdammt! Und da war noch etwas. Er konnte es spüren. Irgendetwas war da draußen. Es beunruhigte ihn. Genau wie ihre Anwesenheit im Haus. Fast verrückt machte es ihn. Beides. Ein Glück, dass er morgen weg war. Hoffentlich lang genug. Obwohl er … lieber bleiben würde. Eigentlich. Er verstand es nicht! Nicht im Geringsten.

      3

      ‚Restauro G. Montaloro’ stand in goldenen Buchstaben auf der staubigen Auslagenscheibe. G für Giuseppe. Der Restaurierungsbetrieb würde meine Praktikumsstelle sein. Ich stieß die Tür auf und ein Glockenspiel bimmelte scheppernd. Der Laden war düster und vollgestellt mit alten Möbeln, Stühle hingen an Haken von der Decke, in einer Ecke lehnten ein paar alte Spiegel, daneben das Gerippe eines Schranks. Es roch nach Holz und Leim. Irgendwo im Hintergrund wurde gehämmert.

      „Hallo?“ Meine Stimme verhallte, ohne dass etwas geschah. Ich bückte mich zu einer bemalten Truhe hinunter und stieß beim Aufrichten gegen eine Stuhlpyramide. Sie schwankte, geriet aber zum Glück nicht aus der Balance.

      „Na, na!“ Der Mann, der aus dem Hinterraum der Werkstatt auftauchte, wirkte genau so verstaubt wie alles hier. Er wischte sich die Hände an einem Stofffetzen ab. „Maria-Selina, nicht wahr?“

      „Nur Selina, Signor Montaloro.“ Mit einem Mal überkam mich Scheu. „Ich bin zu spät. Entschuldigung. Ich hab es nicht gleich gefunden.“

      „Ah.“ Er zuckte die Achseln. „Ich weiß doch noch nicht einmal, wie spät es ist. Du kommst, wenn du kommst, und du gehst, wenn die Arbeit fertig ist, anders geht das nicht. Die Möbel sind schließlich keine … keine, was weiß ich!“ Sein Händedruck war kräftig. „Und spar dir den Signor. Sag Pino zu mir wie alle.“

      Er winkte mich in den Hinterraum, reichte mir einen langen Schurz, wie er selbst einen trug und erklärte mir brummelnd, was zu tun war. Mit Hingabe begann ich zu schaben und alten Lack aus den Rillen eines Schranks zu kratzen. Wir arbeiteten still, auf einem staubigen Regal dudelte leise ein Radio. Pinos ganze Energie zum Reden schien mit unserer Begrüßung aufgebraucht, aber das passte mir gut. Ich arbeitete auch gerne still und konzentriert und hing dabei meinen eigenen Gedanken nach. Seit gestern kreisten sie um Justin. Unaufhörlich. Doch ich war noch keinen Schritt weitergekommen.

      Valentina fotografiert bei der Modewoche in Mailand, hatte Lia mir am Abend erklärt. Sie fahren morgen in aller Frühe.

      Ich hätte fast aufgestöhnt vor Erleichterung: Justin würde fort sein. Ich wusste weder, warum ich so froh darüber war, noch, warum ich eigentlich solche Angst vor ihm hatte. Denn die hatte ich – seit dem seltsamen Erlebnis im Garten.

      Alles nur Einbildung, hatte ich mir die halbe Nacht vorgesagt, aber das konnte nichts ändern an dem beklemmenden Gefühl der Furcht.

      Und noch ein anderer Verdacht war mir gekommen: In der Bar mit Celia, der Mann, der mich angestarrt hatte … wenn das nun auch … Justin gewesen wäre? Aber warum? Nein, das war alles Unsinn. Was mich allerdings am meisten verwirrte, war etwas ganz anderes: Ich vermisste ihn. Der Erleichterung, ihn los zu sein, war sofort ein flaues Gefühl des Verlustes gefolgt, und das kam mir fast noch absurder vor als die Angst.

      Bis zum späten Nachmittag waren die meisten der Schrankrillen sauber, meine Hände dafür reinstes Sandpapier. Ich bearbeitete sie am Waschbecken im Hinterraum mit Schmierseife und Fettcreme. Meine Großmutter fiel