Monika Starzengruber

"Erdenstaub und Sternenglitzer"


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      „Um Genaueres herauszufinden, liebe Elfen, müsst ihr ihm nahe sein. Wie die Spinne, die Assel und die Wespe und alle anderen Tiere, die sich in den Steinbau hineingewagt haben.“

      "Wir sollen in den Steinbau?!", riefen die Elfen entrüstet.

      Kora Deva nickte. Obwohl sie wusste, dass Elfen ihre Lebensenergie aus den Blumen, Gräsern, Bäumen – kurz – aus der lebenden Natur tankten und ohne ihre Berührungen nicht allzu lange überleben würden. „Ansonsten wird es eine Vermutung bleiben müssen, was den Menschen derart verändert hat“, sagte sie.

      Nun denn. Da der Wissensdurst Bild 125776 - Dieses Bild ist aus diesem Werk.der Elfen größer war als die Angst jegliche Lebensenergie zu verlieren, wagten sie sich an das gefährliche Experiment. Sich dem Menschen zu nähern würde für sie nicht so schwierig werden wie für die Spinne, die Assel und die Wespe, da sie für die Menschen unsichtbar waren.

      Vor dem Steinbau angekommen sahen sie sich nach dem Zweibeiner um. Sie konnten ihn nirgendwo entdecken. Lilu vermutete ihn innerhalb des Steinbaus. Sie sah in die Runde des in der Luft hängenden Elfenschwarmes und fragte: „Wer wagt sich zuerst hinein?“

      Worauf sich Luna, die Kleinste und Wissbegierigste dazu bereit erklärte. Sogleich verschwand sie fliegend in einem der Löcher des Steinbaus und für die Anderen hieß es warten. Sich in Geduld zu üben kostete den Elfenkindern Kraft und so flogen sie zur seitlich wachsenden Buchsbaumhecke, um sich darunter nieder zu lassen. Sie vertrieben sich die Zeit, indem sie Mutmaßungen anstellten, mit welchen Erklärungen die kleine Luna hoffentlich bald anfliegen würde. Viel Logik setzten sie ein und noch mehr Varianten kamen hervor, doch was sie dann nach einer gewissen Elfenzeit von Luna wirklich zu hören bekamen, machte sie nicht schlauer. Im Gegenteil, das Rätsel weitete sich aus.

      "Der Zweibeiner befindet sich im Steinbau", berichtete sie, "und hält unaufhörlich ein Ding vor seine Nase. Wasser fließt aus seinen Augen und er ruft immerzu: warum, warum.“

      Lilu zog die Stirn kraus. „Ein Ding sagst du?“

      "Was für ein Ding?", sprudelten die anderen hervor.

      Luna überlegte. „Ich hab so etwas noch nie gesehen. Ein dünnes Ding halt.“

      Daraufhin beschloss Lilu selbst in den Steinbau zu fliegen. Vielleicht würde sie, als Älteste, dieses Ding ja erkennen können und sie wussten dann mehr. Gedacht, getan. Wie Luna vor Elfenzeiten, machte sie sich auf den Flug. Im Raum war es duster. Die hellen Strahlen der Sonne drangen nur spärlich durch die durchsichtigen Löcher des Steinbaus. Lilus Augen mussten sich erst an die Düsterheit gewöhnen. Bald gewannen die schemenhaften Umrisse im Bau an Schärfe. Als sie schließlich entdeckte, dass der Zweibeiner sich genau vor ihr befand, wäre sie fast schon gegen ihn geflogen. Eine rasantes Flugkurvenmanöver konnte es gerade noch verhindern. Ja, es stimmte. Der Zweibeiner hielt ein Ding vor sich, sah es unentwegt an und klagte: „Warum nur.“

      Neugierig flog Lilu näher und wagte einen Blick auf das Ding. Als sie nur ein Menschengesicht sah, war ihre Enttäuschung groß, weil sie viel Interessanteres erwartet hatte. Ihrer Enttäuschung noch nicht ganz Herr geworden, legte der Zweibeiner plötzlich das Ding beiseite, kramte an sich herum, fand etwas, hielt es an seine Nase und fabrizierte damit ein furchtbar lautes Geräusch, mit anschließender Säuberungsprozedur. Dann griff er nach dem vorhin beiseite gelegten Ding und betrachtete es abermals. Erneut begann Wasser aus seinen Augen zu fließen. Mit zittriger Stimme schluchzte er: „Warum musste mein Kind sterben.“

      Kaum ausgesprochen erhob er sich, schnappte sich das Holz auf dem er gesessen hatte und schleuderte es mit aller Kraft gegen die Steinbauwand. Lilu erschrak und konnte dem Wurfgeschoss in letzter Sekunde ausweichen. Doch nach dieser ersten Schrecksekunde folgte sogleich die Zweite, denn der Zweibeiner schrie: "Ich will meinen Sohn wieder haben!"

      Lilu fühlte sich unbehaglich in seiner Nähe und machte, dass sie fort kam. Hurtig flog sie durch das noch offene Loch des Steinbaus - auf ihre Elfengeschwister unter dem Buchsbaum zu, die sie schon ungeduldig erwarteten. Nach ihrem ausführlichen Bericht hoffte Lilu, dass irgendeine Elfe einen Zusammenhang erkennen würde zwischen dem Erlebten und der positiven Veränderung des Zweibeiners, sämtliche Tiere am Leben zu lassen, die sich in den Steinbau verirrt hatten. Viele Erklärungen folgten, doch keine stimmte sie zufrieden. Keine ließ sich wirklich mit dem veränderten Wesen des Zweibeiners vereinen. Nochmals in den Steinbau zu fliegen war Lilu zu riskant, nun wo der Zweibeiner so außer sich war und Dinge herumschleuderte. Sie einigten sich, abermals Kora Deva aufzusuchen.

      Die befand sich noch auf dem Dach des Wissens, inmitten der bunt blühenden Wiese, um ausreichend Energie mit dem daraus entstehende Wissen zu tanken.

      "Das Ding, meine lieben Elfen, das das zweibeinige Geschöpf vor sich hielt, nennen die Menschen Foto. Ein Foto stellt ein Bild der Erinnerung dar."

      "Liebste Fee", sagte Lilu ungeduldig, "kannst du daraus erkennen warum dieser Mensch nun keinem Tier mehr das Leben nimmt?"

      Die Fee lächelte und nickte. „Meine Vermutung hat sich damit als richtig erwiesen.“

      Die Augen der Elfenkinder wurden groß vor Staunen. „Jaaa?“, erklang es im Chor, vergessend dass es nur Lilu gestattet war, sich der Fee gegenüber stimmlich auszudrücken.

      „Die Menschen sind sonderbare Geschöpfe“, sprach die Fee weiter, „sie schätzen den Wert eines Lebens erst, wenn ihnen ein Leben genommen wird. In diesem Fall durch einen Sohn, der diese Welt verlassen musste.“

      "Und du meinst, weil des Zweibeiners Sohn sterben musste, dürfen nun alle Tiere in seiner Nähe weiter leben?"

      "Seht, meine Elfen, für viele Menschen ist das Sterben eine sehr schmerzvolle Erfahrung. Umso mehr, wenn sie es nicht selbst sind, die dieser Welt Lebewohl sagen sondern wie hier, ein Sohn. In den meisten Menschen, die hier auf der Erde zurückbleiben vollzieht sich dabei eine Wandlung der Wahrnehmung. In ihrem Schmerz gefangen werden sie empfindsamer, toleranter, milder, geduldiger und hilfsbereiter gegenüber allen Lebewesen in ihrer Umgebung."

      Die Elfen waren fassungslos. „Und um das zu erfahren muss ein Mensch erst Schmerz empfinden?“

      Jede kleinste Elfe wusste schließlich wie wertvoll jedes Leben war, selbst das der winzigsten Mücke. Dementsprechend schätzten sie jedes Lebewesen.Bild 125017 - Dieses Bild ist aus diesem Werk. Nie käme eine Elfe auf die Idee auch nur einem Grashalm das Leben zu nehmen. Wo doch alles im Gleichklang lebte, alles Leben seinen Sinn ergab und jede gewaltvolle Veränderung diesen Gleichklang empfindlich störte. Milde, Empfindsamkeit, Toleranz und Hilfsbereitschaft war jeder Elfe von Geburt an eigen.

      "Das ist auch bei den Menschen so", erklärte die Fee weiter. "Doch im Laufe seines Lebens verliert er diese Werte, weil er damit beschäftigt ist Dinge anzustreben, die diesen Werten nicht nützlich sind."

      "Dann muss man das den Menschen sagen, sie auf den richtigen Weg führen", rief Lilu aufgeregt. Denn viel mehr Tiere könnten dann ihr Leben behalten.

      "Es ist nicht unsere Aufgabe das zu tun, meine Lieben, zumal der Mensch unsereins nicht hören und sehen kann. Es ist des Menschen Aufgabe selbst, das herauszufinden."

      "Und wie lange wird es noch dauern, bis jeder Mensch das herausgefunden hat?"

      Darauf wusste die Fee auch keine Antwort. Aber wahrscheinlich noch lange Elfenzeiten.

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