möchte in dieser Darlegung zeigen, dass man viele Aussagen der Advaita-Literatur nicht so machen muss, wie sie gemacht werden. Mir geht es darum, aus meiner Erfahrung heraus die Dinge, die im Advaita übereinstimmende oder von vielen vertretene Aussagen darstellen, auf ihre Tragfähigkeit zu überprüfen.
Trotz aller Kritik bin ich aber überzeugt, dass die Ideen des Advaita dem am nächsten kommen, was meine Erfahrungen sind.
Ich betrachte das, was ich sage, nicht als die Wahrheit. Es ist meine Wahrheit, ein kleiner bunter Stein in dem großen Mosaik des Lebens. Und jeder trägt mit seiner Wahrheit dazu bei, dass dieses Leben, diese vergängliche Wirklichkeit bunt wird. Deshalb gibt es nur Austausch. Es gibt kein Lehrer-Schüler-Verhältnis.
Ich möchte betonen, dass ich voll respektiere, wenn andere ihre Sicht darstellen, auch wenn sie ganz anders ist als die meine. Wenn ich das hier schreibe dann nur, um meine Sicht einzubringen. Das tut den anderen Sichtweisen in keiner Weise Abbruch, auch wenn durch meine Ausdrucksweise vielleicht manchmal ein anderer Eindruck erweckt wird. Jeder hat das Recht, die Dinge so darzustellen, wie er sie sieht – aber ich eben auch. Was ich aufzeige, ist meine Sicht der Dinge, aufgrund meines Lebens, meinen Erfahrungen und Erkenntnissen. Das heißt nicht, dass sie für jeden Geltung haben müssten, selbst wenn ich davon überzeugt wäre!
Eigentlich greife ich niemanden an, auch wenn es manchmal so ausschaut. Wenn ich sage, dass ich das für Unsinn halte, dann heißt es nur, dass ich es ganz anders sehe, dass ich dieses Denken nicht nachvollziehen kann. Es darf jeder so sagen, wie er es für richtig hält; ich möchte nur meins einbringen.
„Spiritualität ist eine Erfindung des Verstandes. … Denken (und ich möchte hinzufügen: Erkennen) kann das Leid nicht beenden“ sagt U. G. Krishnamurti (MM 50). Das muss sich jeder bei allem, was er liest, vor Augen halten.
Der Puls des Lebens schlägt nicht in Denksystemen, und die Probleme des Lebens, die durch das Ich entstehen, sind nicht von Denksystemen her zu lösen.
Wenn jetzt einer sagt: „Ja, was soll ich nun glauben? Der eine sagt so, der andere so“, dann möchte ich entgegnen: Dann sind Sie genau am richtigen Punkt: Es kann Ihnen nämlich niemand sagen, was für Sie gilt, das müssen Sie schon selbst herausfinden. Durch Studium von Schriften welcher Art auch immer, und wenn sie von noch so vielen Menschen für außerordentlich bedeutend gehalten werden, werden Sie nie zu dem finden, was Sie suchen. Denn es ist immer Ihr Ich, das sich durch sein Bemühen, die Wahrheit zu finden, auf diese Weise heraushält und alles tut, nur um nicht kapitulieren zu müssen. Und nur darum geht es, das ist das torlose Tor, durch das der Mensch hindurchgehen muss, sich im Ich aber weigert, hindurchzugehen, und es auch gar nicht kann.
Dass sich das Ich begeistern kann für große Ideen, ohne auch nur im Geringsten daran zu denken, diese für sich umzusetzen, zeigt eine kleine Geschichte:
Ein Akrobat fährt auf dem Hochseil eine Schubkarre über einen Abgrund. Begeistert klatschen die Zuschauer. Da fragt der Akrobat: „Trauen Sie es mir zu, das nochmals zu machen?“ Und ein tosendes „Ja“ schallt ihm entgegen. Da fragt er gezielt jemanden aus dem Publikum: „Und Sie, trauen Sie es mir zu?“ „Ja, natürlich“ ruft der Angesprochene. „Dann kommen Sie herauf und setzen sich in die Schubkarre!“ – Da taucht der Angesprochene ganz schnell in der Menge unter. So war es nicht gemeint.
Grundlegendes
Um den Unterschied zwischen dem, worum es mir geht, nämlich um die Transzendierung des Ichs, und dem, worum es vielen, die sich mit Advaita beschäftigen, geht, nämlich um Erleuchtung und Befreiung, aufzuzeigen, möchte ich ein Beispiel nennen, das U. G. Krishnamurti erzählt: Er berichtet von seinem Großvater, der den Yoga-Weg zielstrebig verfolgte und eifrig meditierte, also doch überzeugt war, so die Erleuchtung zu finden. Da stört ihn ein kleiner Junge in seiner Meditation und er schlägt ihn halbtot (7).
Nichts könnte deutlicher den Unterschied zwischen einem sog. Streben nach Erleuchtung und dem, worum es in Wirklichkeit geht, nämlich die Transzendierung des Ichs, die Auswirkung im konkreten Leben haben muss, aufzeigen.
Mein Denken entspricht genau dem, was Paulus im Hohen Lied der Liebe im Neuen Testament zum Ausdruck bringt: „Und hätte ich alle Weisheit und alle Erkenntnisse usw., hätte aber die Liebe nicht, so nützte es mir nichts“ (aus dem Gedächtnis zitiert). Ja, die höchste Erleuchtung, die tiefsten Erfahrungen und spirituellsten Erlebnisse sind nichts wert, wenn sie nicht bewirken, dass der Mensch aus einem transzendierten Ich lebt, d. h. verwandelt ist. Befreiung ist bedeutungslos, wenn sie nicht den Menschen in seinem (Ich-)Sein von Grund auf erneuert.
Für die meisten Suchenden gilt – ohne damit ihre ernsthafte Suche in Frage stellen zu wollen –, was U. G. Krishnamurti zu einem Suchenden sagt: „Sie schützen verzweifelt diese Panzerung, diesen Schild aus Denken, und haben Angst, dass die Bewegung des Lebens Ihre Grenzen zerstören könnte“ (14). Er bezeichnet spirituelle Menschen als „die unehrlichsten Menschen“ (37), und zwar genau aus dem Grund, den er bei seinem Großvater erlebt hat: dass die ganze Suche der meisten Menschen nur dazu dient, ihr Ich aufrecht zu erhalten, es nicht aufgeben zu müssen – genau das, was das Ziel der Suche sein müsste.
Das Gros der Suchenden kann man mit den Worten U. G. Krishnamurtis kennzeichnen: „Um das, was Seligkeit genannt wird, erfahren zu können, glauben Sie, Ihre Gedanken kontrollieren zu müssen. Das ist unmöglich. Sie werden sich selbst verbrennen und sterben, wenn Sie sich darum bemühen“ (42). Deshalb bedeutet mir U. G. Krishnamurti so viel, weil er einer der ganz wenigen ist im Bereich derer, die Advaita vertreten, die radikal, unmissverständlich und kompromisslos darlegen, dass jede Suche, wenn sie ehrlich erfolgt, in den Tod führt. Dass es keine Möglichkeit gibt, durch ein Erkennen, wie auch immer es geartet sein mag, die Befreiung zu erlangen.
Advaita – eine Lehre?
Jede Lehre gibt vor, ein Wissen zu haben, das für andere Gültigkeit hat. Aber hinter jeder sog. Lehre steht die Erfahrung eines Einzelnen. Der Fehler liegt nun darin, zu meinen, dass diese Erfahrung für jeden anderen auch gilt. Jeder ist aber eine so einmalige Persönlichkeit, dass keiner von einem anderen wissen kann, wie dessen Weg ist. Die Lehre gilt nur dann für einen anderen, wenn sich der darin wiederfindet. Wer sich nicht darin wiederfindet, für den gilt sie nicht oder noch nicht.
Viele fassen Advaita als Lehre auf; aber eine Lehre ist immer ein Konzept. Nun gibt es aber kein Konzept, das zur Befreiung führen würde. Der Weg zur Befreiung ist absolut individuell, d. h. es gibt keine zwei gleichen Weisen, und Befreiung wird nicht dadurch erreicht, dass man einer Lehre anhängt. Jeder kann nur seinen Weg gehen, der seinem Wesen gemäß ist, deshalb gibt es keine Lehre, kein Konzept, wie Befreiung erreicht werden könnte, weil eine Lehre immer auf mehrere das gleiche Konzept anwendet.
Im Grunde maßen sich alle Lehren an zu wissen, wie der Weg für andere aussieht. Das gilt für jede Religion, für jede Psychologie oder Psychotherapie, aber auch für Zen und Advaita. Sehr richtig bemerkt Nisargadatta: „Jemand, der von sich behauptet zu wissen, was gut für andere ist, ist gefährlich“ (II/95). Die Überzeugung, die richtige Lehre zu haben, hat in der Weltgeschichte und insbesondere in den Religionen schon so vielen Millionen Menschen das Leben gekostet.
Jeder muss immer seinen eigenen Weg gehen, und keinem bleibt das Gehen seines Weges erspart; daran führt kein Weg vorbei. Das Anhängen an eine Lehre geschieht in der Hoffnung, sich das Gehen des eigenen Weges ersparen zu können!
Viele wären froh, wenn ihnen jemand sagen würde, was sie tun sollten; und jedes sich einer Lehre angehörig oder verpflichtet fühlen geschieht immer in der Hoffnung, einen sicheren Weg gefunden zu haben, der einen zur Befreiung führt. Und das gibt es eben nicht. Das ist der Wunsch eines suchenden Ichs, dass es jemanden geben könnte, der ihm sagen würde, was es tun muss, um die Befreiung zu erlangen. Es gibt aber niemanden, der dir sagen kann, was du tun musst, denn vom