Nina Schaffrin

Kreativer leben!


Скачать книгу

sich gut anfühlt, Antworten zu haben und anderen den Weg zeigen zu können. Da wird einem so warm innen drin und man denkt: Yes, ich bin wer, ich weiß wo es lang geht, sonst würden mir ja nicht so viele glauben, oder? Das ergibt dann eine Situation, die zum Lachen wäre, wäre sie nicht so traurig: Die Menschen glauben dem Redner, weil er so sicher spricht, und der Redner fühlt sich sicher, weil ihm so viele zuhören. Und eigentlich wollen alle nur die Bestätigung, dass sie in Ordnung sind und alles gut wird.

      Aber ich verrate dir ein Geheimnis, und du kannst mir gern widersprechen, wenn du gegenteilige Erfahrungen gemacht hast: Das funktioniert nicht. Du kannst dir tausendmal sagen lassen, wie du "garantiert" glücklich wirst, du kannst alle Anweisungen befolgen, alles kaufen, abnehmen, zunehmen, wegschneiden, hinzufügen, aufessen, auskotzen, nachbeten, durchlesen – aber du wirst nicht glücklicher sein. Und du kannst mir tausendmal sagen, wie klug ich bin, wie gut mein Buch geschrieben ist, wie sehr es dir geholfen hat, wie großartig ich bin – es wird mich nicht glücklicher machen. Es gibt vielleicht diesen kurzen Moment des Hochs, doch wenn der vorüber geht, bleibt nichts zurück. Diese Euphorie ist vergänglich wie das Glück, das mit einer Tafel Schokolade kommt. Weil Glück einfach nicht davon abhängt, was von außen reinkommt, nicht von Besitz oder Bestätigung. Es liegt alles nur an uns. Es liegt alles in uns. Wir sind nur so dumm, uns an äußere Dinge zu hängen und von ihnen zu erwarten, dass sie uns glücklich machen. Oder im Gegenteil, an ihnen angeblich unschlagbare Belege dafür abzulesen, warum wir es nicht verdienen glücklich zu sein und ganz allgemein unliebenswert sind. Oder dumm oder dick oder was immer du hast.

      Ich schweife ab. Was ich eigentlich sagen will: Ich will dir in diesem Buch nichts versprechen und ich will nicht, dass du mir irgendetwas ungesehen glaubst. Ich bin kein Lehrer. Ich erzähle dir nur von meinen Erfahrungen und Gedanken und du kannst damit machen was du möchtest. Hoffentlich etwas, was dir hilft, mehr Kreativität in dein Leben zu lassen, wenn es das ist, was du möchtest. Du kannst natürlich auch ein hübsches Feuerchen damit machen und Würstchen darüber grillen oder das Katzenklo damit auslegen. Du bist dein eigener Chef!

      Falls du noch weiterliest, erzähle ich dir noch ein bisschen was darüber, was in diesem Buch geschehen und nicht geschehen wird. Nicht geschehen werden Schritt-für-Schritt-Anleitungen für konkrete Texte, Zeichnungen oder sonstigen Kreativprojekte. Damit würde ich dir nur beibringen, etwas so zu schreiben, zeichnen oder gestalten wie ich es tue und ich sehe nicht

      ein, was dir das bringen soll. Außerdem gibt es dazu weiß Gott schon genug Bücher von Menschen, die das alles viel besser können als ich.

      Was geschehen wird, sind Empfehlungen zu Übungen meinerseits. Bitte versteh diese Übungen nicht als Kurs oder Lektionen oder Hausaufgaben, sondern als Anregungen. Wenn das für dich alles wie Bullshit klingt, steht es dir frei, die Übung abzuwandeln oder ganz sein zu lassen. Ich sage es immer wieder: Ich kenne nur mich, nicht dich, und kann dir deshalb nur erzählen, was für mich funktioniert. Vielleicht funktioniert es auch für dich, vielleicht nicht. Das weißt nur du. Ich male dir deshalb einen Fahrplan für die Reise zu einem Leben, das ich dir von ganzem Herzen wünsche. In dem Kunst etwas Spielerisches ist und jedes Ding zum Wunder wird. Ein Leben, in dem alles aufregend, alles verzaubert ist und alles verzaubert werden kann einfach dadurch, dass du es wahrnimmst. Ein Leben, in dem du deine Gedanken, deine Gefühle, deine Träume in Worte und Farben und Bilder und Werke verwandelst. Jeden Tag, überall. Ohne dass du irgendein Studium dafür absolvieren oder ein Atelier besitzen oder in Paris leben und Hemingway heißen müsstest. Und ohne diese schreckliche kleine Stimme, die dir ständig sagt, du seist nicht gut genug, du machst dich lächerlich, alle lachen über dich, was bildest du dir ein? Die Stimme, die dich fragt, was du schon zu sagen hast, wenn du dir wieder eines von diesen schönen Notizbüchern mit dem Gummiband gekauft hast und mit klopfendem Herzen die erste Seite anstarrst. Die Stimme, die dich fragt, was das denn bitteschön darstellen soll, wenn du etwas zu zeichnen versuchst. Diese verdammte Stimme, die einfach nie Ruhe gibt.

      Ich verspreche dir nicht, dass diese kritische, quälende, blockierende innere Stimme verschwunden sein wird, wenn du dieses Buch durchgelesen hast. Auch ich lebe mit so einer Stimme und ich bin nicht sicher, ob sie jemals zum Schweigen gebracht werden kann. Aber ich habe es geschafft, diesen inneren Kritiker zu meinem Freund zu machen und damit meine Kreativität zu befreien. Ich hoffe, dass du von mir lernen und dich von deinen Blockaden befreien kannst.

      Bevor wir endlich loslegen, möchte ich noch über eine Sache mit dir sprechen, die ich für unglaublich wichtig für gelebte Kreativität halte: und zwar die Angst.

      Angst ist etwas, was uns durch das ganze Leben begleitet und mehr oder weniger sinnvolle Tipps für ein möglichst erfolgreiches Überleben gibt. Sinnvoll ist Angst, wenn sie uns vor Feuer, Braunbären und großen Kerlen mit Gewehren warnt (und großen Frauen mit Gewehren natürlich ebenso). Nicht sinnvoll ist Angst, wenn sie uns davon abhalten will, unser kreatives Potenzial zu entfalten und ein bunteres Leben zu führen. Und trotzdem tut sie genau das, ständig, bei beinahe allen erwachsenen Menschen unserer Kultur. Sie nimmt die Gestalt des inneren Kritikers an und nörgelt an unseren Zeichnungen herum und bringt uns dafür, uns für etwas zu schämen, was aus unserem tiefsten Herzen kommt. „Soll das ein Gedicht sein oder was? Komm, schick ihr doch lieber so ein Küsschengesicht mit dem Handy, du machst dich ja lächerlich.“

      Der innere Kritiker klingt immer wie bekannte Menschen, wie unsere Mutter, unser Kunstlehrer aus der fünften Klasse, unsere beste Freundin oder wie die Oma, der wir mit Sieben eine selbstgebastelte Geburtstagskarte geschenkt haben. Dahinter aber steht immer die Angst und das merkt jeder von uns, der einmal versucht hat, über den Widerstand des inneren Kritikers hinweg kreativ zu sein. Wo im Körper fühlst du die Angst? Ich fühle sie immer im Bauch. Ein Gefühl, als würde sich dort alles zusammenziehen und mich am Atmen hindern. Manche fühlen sie in den Schultern und ducken sich klein zusammen. Manche in den Kiefern, sie knirschen mit den Zähnen und können kaum noch sprechen. Die Angst ist der Meinung, dass es ein Risiko bedeutet, wenn wir uns entfalten. Wer weiß schon, was da aus dir rauskommen könnte? Vielleicht etwas ganz Scheußliches und dann kommt jemand und schlägt dich tot, oder schlimmer noch, lacht dich aus. Die Angst hält es für sicherer, klein und unauffällig und wie alle anderen zu bleiben. Das funktioniert ja schließlich für die anderen auch ganz gut.

      Ich vereinfache natürlich. Angst ist eine ganz komplexe Geschichte, die auch noch die Eigenschaft hat, Logik einfach aufzufressen. Denn sonst würde es ja reichen, wenn wir der Angst einfach sagen würden: „Du bist im Irrtum, geh nach Hause. Das Leben ist viel schöner und lohnenswerter mit Kreativität, also halt in Zukunft die Klappe.“

      Wie du sicher selbst weißt, funktioniert das nicht. Und trotzdem ist das die Strategie unzähliger Bücher, Kurse und Workshops des gesamten kreativen Spektrums. Hab keine Angst, sagen sie alle, fang einfach an zu malen, schreiben, gestalten, was auch immer. Du musst keine Angst haben! Ah, denke ich dann immer, danke für die Info. Bin ich noch nicht von selbst drauf gekommen, vielen Dank.

      Nun habe ich wenig Ahnung von Psychologie oder sonst irgendetwas. Ich weiß nur über mich selbst Bescheid, und wenn ich etwas an mir besonders gut kenne, dann ist das meine Angst, das kann ich dir sagen. Ich bin mit mehr Ängsten aufgewachsen, als man irgendwem wünschen möchte. Der Angst, dass Menschen mich grundlos angreifen könnten. Der Angst,

      alles falsch zu machen, weil ich einfach nie verstehe, was von mir erwartet wird. Der Angst, dass alle meine Freunde mich heimlich hassen. Der Angst, dass ich in Wahrheit absolut abstoßend und unliebenswert sei und es nur eine Frage der Zeit sein könne, bis das jemand merkt und sich alle von mir abwenden. Der Angst, nicht geliebt zu werden. Angst vor Verantwortung. Angst vor Erfolg, verrückterweise.

      Angst ist immer ein großer, schier undurchdringlicher und bleischwerer Klumpen in unserem Herzen. Sie hat immer eine Geschichte und sie liebt es, auf Stichwort die Bühne zu stürmen und die ganze Show an sich zu reißen. Ich vermute, bei jedem von uns sind es etwas unterschiedliche Stichworte, aber bei beinahe jedem funktioniert "Kreativität", "Zeichnen", "Schreiben", "Malen". Und niemals genügt "Hab keine Angst" um sie zurückzutreiben.

      Angst kann nicht bestochen werden. Angst kann nicht wegargumentiert werden. Angst kann nicht verboten werden. Wenn ich etwas weiß, dann das.

      Und