Jaschi

Kranke Krankenversicherung


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      So spekulierte ich auch: Hatte die Politik „Anweisungen“ gegeben, recht großzügig zu handeln, wenn die Krankenkassen die Beitragssätze zu niedrig ansetzten? Damit würden automatisch die Lohnnebenkosten für die Arbeitgeber erträglicher bleiben. Konnten die Aufsichtsbehörden nicht rechnen? Begnügten sie sich mit den zur Verfügung gestellten Angaben der Krankenkassen, ohne diese zu hinterfragen? Wie gesagt, ich spekuliere - ich behaupte nicht. Seltsam war es schon.

      Interessant in diesem Zusammenhang war die Mitteilung an die Versicherten über die Anhebung der Beitragssätze. Wie einfach wäre es doch lediglich zu schreiben, „Wir mussten leider den Beitragssatz auf XY Prozent anheben“. Das war vielfach nicht üblich. Stattdessen teilte man den Mitgliedern mit, dass § XX der Satzung geändert wurde, und dass die Änderung in den Geschäftsräumen der Krankenkasse einzusehen sei. Das ist rechtlich zwar nicht zu beanstanden, aber wer hatte schon eine Satzung der Krankenkasse zu Hause? Hatte doch Jemand die Satzung vorliegen, wusste er mit dieser Veröffentlichung immer noch nicht, wie hoch der neue Beitragssatz war.

      Diese Art der „Verdunkelung“ ist im Grunde genommen eine komplette Verarschung der Mitglieder. Warum konnte man nicht offen sein? Aber es passte mal wieder zu dem Motto, nur nicht sofort auffallen. Der Hintergedanke bei dieser Darstellung ist relativ einfach: Bis das Mitglied die höheren Krankenversicherungsbeiträge bemerkt, vergehen wieder einige Monate. Manch ein Mitglied hat es ohnehin gar nicht gemerkt.

      Krankenkassen, die für nur ein Bundesland geöffnet waren, unterstanden dem Landesversicherungsamt. Krankenkassen, die sich über mehrere Bundesländer erstreckten, wurden vom Bundesversicherungsamt beaufsichtigt. Ich hatte das Gefühl, dass eine gemeinsame Aufsicht dringend notwendig gewesen wäre, um zumindest hier gleiche Verhältnisse zu schaffen.

      Leider ging es vielen Krankenkassen finanziell immer schlechter. 1996 gab es in Deutschland noch über 1.000 Krankenkassen. Ende der 90er Jahre begann eine Welle von Fusionen der Krankenkassen. Man versuchte, durch Zusammenschlüsse die Risiken besser zu kalkulieren und zu tragen. Das funktionierte auch in vielen Fällen. Neue Krankenkassen-Gebilde mit zum Teil abenteuerlichen neuen Namen entstanden. Nach einigen Jahren konnte man sich nur noch schwach erinnern, welche früheren Krankenkassen sich hinter den Fantasienamen verbargen.

      Für die Versicherten wurde es nicht einfacher, sich eine Krankenkasse zu suchen, die den eigenen Bedürfnissen entsprach. Schließlich muss man sich für eine längere Zeit an die neue Krankenkasse binden. Kündigen kann man vorzeitig, wenn die Krankenkasse den Beitragssatz anhebt. Dies würde heute der Erhebung eines Zusatzbeitrages entsprechen.

      Die Fusionen bedeuteten für viele Versicherte auch den Wegfall der örtlichen Nähe ihrer Krankenkasse. Geschäftsstellen verschwanden für immer. Zunächst wurden in einigen Geschäftsstellen lediglich die Öffnungszeiten gekürzt. Drei Tage in der Woche für jeweils 4 Stunden geöffnet, hieß es nun. Nach relativ kurzer Zeit war ganz Schluss. Wie der Versicherte nun zu einem persönlichen Gespräch kommen sollte, wurde nicht zufriedenstellend beantwortet. Allgemeinfloskeln machten die Runde: Es gibt die Post, das Telefon und das Faxgerät. Außerdem sollte es sogar bereits Rentner geben, die eine E-Mail verfassen und senden konnten. Wozu also die Geschäftsstelle?

      Der persönliche Besuch war nicht mehr erwünscht. War er möglicherweise sogar lästig? Schließlich ist es einfacher, einen ablehnenden Bescheid per Post zuzustellen, als dem Versicherten in einem Gespräch klar zu machen, dass er leider nicht mit einem positiven Ergebnis nach Hause gehen kann. Die Formulare sind ohnehin in der EDV hinterlegt und müssen nur noch mit Tastendruck personalisiert werden, und ab geht die Post.

      Die Politik überlegte, wie man die ganzen Reformen und die Reformen der Reformen erneut reformieren könne.

      Schließlich kam man auf die absurdeste Idee seit Gründung der gesetzlichen Krankenversicherung:

      Ab 2009 gibt es nur noch einen einheitlichen allgemeinen Beitragssatz in ganz Deutschland für alle Krankenkassen. Alle Beiträge fließen in den Gesundheitsfonds, aus dem dann die Krankenkassen per Zuweisung finanziert werden. Die Krankenkasse, die mit der Zuweisung nicht auskommt, muss einen sogenannten Zusatzbeitrag erheben. Das Ganze wäre nur sinnvoll gewesen, wenn ein Einheitsbeitragssatz auch für eine Einheitskrankenkasse gelten würde. Aber so drastisch wollte man nicht zu Werke gehen. Die Politik hatte offenbar gehofft, dass sich die Krankenkassen selbst freiwillig zu einer Einheit schließen würden. Das geschah allerdings nicht.

      Alle wurden damit besänftigt, dass es keinen Zusatzbeitrag geben würde, wenn die Krankenkassen vernünftig mit ihren Mitteln wirtschaften würden. Welch ein Hohn! Schließlich haben die Aufsichtsbehörden alle Krankenkassen regelmäßig „geprüft“. Dazu gehört ja wohl auch die Wirtschaftlichkeitsprüfung. Oder wusste man, dass es mit den Prüfungen vielleicht gar nicht so toll war?

      Jedenfalls erhalten die Krankenkassen nicht mehr den echten Beitrag ihrer Mitglieder, sondern eine morbiditätsorientierte Zuweisung. Das bedeutet, dass alle Beiträge in einen großen Topf wandern. Aus diesem Topf werden dann den Krankenkassen Zahlungen aufgrund der Morbidität ihrer Versicherten zuteil.

      Man hatte bereits vorher sehr aufwändig ermittelt, an welchen Krankheiten die Versicherten der einzelnen Krankenkassen litten. Die Summen dieser Krankheiten ergaben dann die Höhe der Zuweisungen. Auch hier hinkte das ganze System schon vor seiner Einführung. Aufgrund der Zahlen des vorletzten Jahres erhielten die Krankenkassen zunächst die Zuweisung in der Gegenwart.

      Nachträgliche Korrekturen sind grober Unfug. Für den Fall, dass es zu erheblichen Nachzahlungen an eine Krankenkasse kam, war das zwar schön für die Krankenkasse, konnte aber auch schon zu spät sein, wenn diese Krankenkasse zwischenzeitlich einen Zusatzbeitrag zur Finanzierung des Tagesgeschäfts erheben musste.

      Morbiditätsrisiken hatten sich zwischenzeitlich längst verändert. Versicherte waren entweder bereits verstorben, zu einer anderen Krankenkasse gewechselt oder neu hinzugekommen. Auch dieses System basierte nicht auf Daten aus der Gegenwart. Ich erinnere an den früheren Risikostrukturausgleich, der immer wieder nachgebessert wurde.

      Die Morbiditätsdaten wurden standardisiert, das heißt, für jede Krankheit errechnete man einen Mittelwert, mit dem die Krankenkassen die Behandlungskosten bestreiten sollten. So passierte es, dass die echten Ausgaben bei seltenen Krankheitsbildern teilweise um das Zwanzigfache höher lagen als der errechnete Mittelwert. Bei einem Mittelwert von hundert Euro ist das nicht problematisch. Ist der Mittelwert jedoch schon im Bereich von 50.000 Euro, so entsteht eine erhebliche Schieflage. Für kleinere Krankenkassen war dies kaum aufzufangen. Selbst mittelgroße Krankenkassen hatten Probleme mit dieser Regelung.

      Die Negativentwicklung war nicht aufzuhalten.

      Aber die Politik ist ihrem Grundsatz treu geblieben, die Versicherten immer mehr zur Kasse zu bitten. Schließlich wurden dem Mitglied allein vorab schon mal 0,9 v.H. des Beitragssatzes abgeknöpft. Der Rest wurde auf Mitglieder und Arbeitgeber je zur Hälfte aufgeteilt. Musste nun eine Krankenkasse einen Zusatzbeitrag erheben, war dieser wiederum allein vom Mitglied zu tragen.

      So wurde aus der ehemals solidarischen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung eine Finanzierung, die immer mehr zu Lasten der Mitglieder ging.

      In den letzten Jahren kamen weitere Finanzierungen der Krankenkassen nur über die Mitglieder hinzu. Diese versteckte man allerdings unter den Decknamen Eigenanteil, Zuzahlung oder Praxisgebühr.

      Um noch mehr Augenwischerei zu betreiben, wurde die „Belastungsgrenze“ eingeführt. Wenn die gesetzlichen Zuzahlungen und Eigenanteile im Kalenderjahr zwei Prozent der Einnahmen des Versicherten überschritten, wurden die übersteigenden Beträge auf Antrag erstattet. Chronisch Kranke wurden nur bis zu einem Prozent der Einnahmen zusätzlich belastet.

      Also haben wir folgende Situation. Der Versicherte zahlt automatisch 0,9 Prozent des Beitrages selbst. Zusätzlich entrichtet er noch bis zu zwei Prozent Eigenanteile. Wenn die Krankenkasse dann noch einen Zusatzbeitrag von einem Prozent erhebt, ist das Ergebnis fast vier Prozent Beitrag, der nicht solidarisch durch Versicherte einerseits und Arbeitgeber andererseits aufgebracht wird.

      Sie