Fabian Holting

Blutige Fäden


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verstaut. Portemonnaies wurden gezückt und Geldscheine entnommen. In Kürze sollten die nächsten Vorlesungen und Seminare beginnen.

      »Was hat Sascha eigentlich mit Thomas zu schaffen?«

      »Wieso, weil er ihm Geld schuldet, meinst du?«

      »Zum Beispiel.«

      »Thomas hat sich Sascha am Anfang angenommen, habe ich mal gehört. Das heißt, er hat ihn zu der einen oder anderen Party mitgenommen. Thomas Eltern sollen ziemlich reich sein und Sascha wird von seiner Mutter wohl recht kurz gehalten.«

      »Wer sagt so etwas?«

      »Thomas und auch Sascha selbst.«

      »Aber jetzt ist Thomas auf Sascha nicht mehr so gut zu sprechen und will sein Geld zurückhaben.«

      »Thomas spinnt. Das liegt an dem Zeug, das er ständig nimmt.«

      »Was für Zeug denn?«

      »Irgend so ein synthetischer Scheiß eben. Ich interessiere mich nicht für so einen Dreck. So, es wird Zeit für mich. Vielen Dank für den Kaffee.«

      »Nichts zu danken«, sagte ich und fragte sie: »Sehen wir uns mal wieder?«

      »Wenn du willst.«

      »Sehr gerne. Und welche Veranstaltung liegt jetzt bei dir an?«

      »Blüten- und Fruchtbiologie«, antwortete sie mit einem Augenzwinkern. Zum Abschied berührte sie meine Schulter. In dieses Fach hätte ich sie gerne allein eingeführt, dachte ich schamlos. Nachdenklich blieb ich noch eine Weile sitzen und trank von meinem Wasser. Meine kurze und schmutzige Affäre mit der Frau meines Chefs versetzte mir wieder einen Stich. Eigentlich sehnte ich mich nach einer Beziehung mit Aussicht auf Beständigkeit, ehrlicher Liebe und Zuneigung. Andererseits verspürte ich auch den Drang nach Abenteuern, aus denen keine Verpflichtungen erwuchsen und die so schnell, wie sie begannen, auch wieder endeten. Mit dieser inneren Zerrissenheit fühlte ich mich alles andere als gut. Melanie gefiel mir übrigens wirklich. Bei unserer ersten Begegnung war es nur ihr Sex-Appeal, der mir Eindruck gemacht hatte. Doch jetzt, wo ich mit ihr einen Kaffee getrunken hatte, fand ich sie, auch ohne die Vorstellung an ihren attraktiven Körper, sympathisch und anziehend. Vielleicht hatte mir ihre offene Art und die resolute Einstellung zum Drogenkonsum ihres Mitbewohners Thomas imponiert.

      Als ich den Motor anließ, wurde ich an den fast leeren Tank erinnert. Ich lenkte den Cinquecento zur nächsten Zapfsäule. Beim Tanken fiel mir mein Angebotsschreiben auf, das auf der Rückbank neben meinem Pullover lag. Am nächsten Briefkasten hielt ich erneut an und warf den Brief ein. Weil in Sichtweite ein Imbiss war, ließ ich mich dazu hinreißen, hineinzugehen und gegen meine Gewohnheiten eine Currywurst mit Pommes zu bestellen. Der Imbiss wirkte etwas schmierig, doch der Inhaber bediente mich nett und freundlich. Abgerundet wurde meine Mahlzeit durch ein Krisengespräch über den HSV und die guten alten Seeler-Zeiten. Ich fuhr noch einmal zum Wohnheim. Vielleicht hatte ich Glück und traf Thomas dort an. Frau Kessler hatte mir schließlich auch den Auftrag erteilt, Saschas Schulden bei ihm zu begleichen. Außerdem interessierte mich der Knabe, denn irgendetwas gefiel mir nicht an seinem Auftritt vom Vortag, auch wenn ich mittlerweile wusste, dass er Drogen nahm. Ich zweifelte zwar nach wie vor nicht daran, dass Sascha mit seiner Praktikumsbekanntschaft in die Sonne geflogen war, aber schaden konnte es nicht, auch noch einmal Thomas Meinung dazu einzuholen.

      In der Küche lernte ich einen weiteren Mitbewohner von Melanie, Thomas und Sascha kennen. Er hieß Jochen, studierte im zwölften Semester Philosophie und hatte die längsten Rastalocken, die ich je bei einem hellhäutigen Menschen gesehen hatte. Er war nett, doch mit Thomas konnte er nicht dienen, da er ihn seit gestern Abend nicht mehr gesehen hätte und er auf keinen Fall in seinem Zimmer sei. Ich unterhielt mich noch eine gute halbe Stunde mit Jochen über Epikur, der zu den wenigen Philosophen gehörte, die ich kannte und fuhr dann zurück in mein Büro.

      Es hatte sich nichts weiter ereignet. Keine Anrufe in Abwesenheit und auch keine neuen E-Mails. In der Hoffnung, dass noch etwas passierte, blieb ich bis siebzehn Uhr im Büro. Es geschah nichts. Die Stunde bis achtzehn Uhr nutzte ich, um ein Feierabendbier in einer schmucklosen Eckkneipe zu trinken. Ich hatte die Angewohnheit, immer mal wieder die unterschiedlichsten Kneipen auszuprobieren. Von der Schickimicki-Bar bis hin zur letzten Kaschemme war alles dabei. Mich interessierten die Leute, die dort verkehrten, die Gespräche, die sie führten und auch die Wirte, die sich das alles jeden Tag anhören mussten. Es hatte etwas Voyeuristisches an sich und ich war mir dessen bewusst. Auf diese Weise begegneten mir gescheiterte Existenzen ebenso, wie Lebenskünstler, erfolgreiche Geschäftsleute und ganz normale Menschen. Dieses Mal saßen zusammengerechnet hundert Jahre Knast am Tresen. Die reich tätowierten Männer schenkten mir keine Beachtung und diskutierten lallend über Gott und die Welt. Schuld waren immer die anderen, soviel konnte ich ihren Thesen entnehmen.

      Kurz vor meinem Telefontermin mit meiner Mandantin kehrte ich in meine Wohnung zurück. Pünktlich um achtzehn Uhr rief ich Frau Kessler an. Natürlich wusste sie, dass ich ihren Sohn noch nicht gefunden hatte.

      »Frau Kessler, ich habe heute erfahren, dass Sascha sein Praktikum bei einem Modedesign-Unternehmen gemacht hat. Es ist das Hamburger Unternehmen Maren Hagena. Haben Sie von diesem Unternehmen schon einmal gehört?« Es war still am anderen Ende der Leitung. Frau Kessler ließ sich Zeit mit der Antwort.

      »Ja, kenne ich. Das eine oder andere Stück aus der aktuellen Kollektion haben wir in unserer Boutique ebenfalls im Angebot«, sagte sie mit tonloser Stimme.

      In der Hoffnung, sie würde noch mehr zu diesem Modelabel erzählen, wartete ich noch einige Sekunden ab, bevor ich ihr weiter von meinen Ermittlungen berichtete. Doch es kam nichts mehr. »Ich habe auch mit Saschas Mitbewohnern und einigen Kommilitonen an der Uni gesprochen. Keiner weiß, wo er abgeblieben sein könnte. Diesen Thomas, dem er das Geld schuldet, habe ich noch nicht wieder sprechen können. Ich werde es morgen noch einmal versuchen. Frau Kessler, ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass Ihr Sohn nach seinem Praktikum eine kleine Auszeit genommen hat. Übrigens habe ich bei seinen Unterlagen keine Aufzeichnungen über seine Praktikumszeit gefunden. Wahrscheinlich hat er sie mitgenommen und schreibt jetzt unter Spaniens Sonne seinen Praktikumsbericht.« Ich holte kurz Luft, auch weil ich dachte, Frau Kessler würde eine Zwischenfrage stellen wollen. Doch es blieb ruhig in der Leitung. »Ach, da gibt es noch etwas. Eine Mitbewohnerin von Sascha hat mir erzählt, dass er von einer jungen Frau gesprochen hat, die er bei der Praktikumsstelle kennengelernt hat. Sie wären wohl so gut wie miteinander zusammen, hat er ihr erzählt. Wussten Sie davon?«

      »Nein.«

      »Hat denn die Polizei schon etwas von sich hören lassen?«

      »Ja«, antwortete Frau Kessler. Es klang enttäuscht. »Sie haben mir mitgeteilt, dass sie bei den Krankenhäusern nachgefragt hätten, dort aber niemand mit seinem Namen eingeliefert worden sei. Mehr könnten sie derzeit nicht tun, da Sascha volljährig sei und es keine Anhaltspunkte für ein Verbrechen gebe. Mein Sohn sei erwachsen und hätte damit das Recht, auch einmal zu verreisen, ohne seiner Mutter oder Freunden davon zu erzählen. Wenn ich in drei Wochen immer noch nichts von ihm gehört hätte, könne ich mich ja noch einmal melden.«

      Ich wusste, dass die Polizei nicht mehr unternehmen würde.

      »Frau Kessler, ich werde in Erfahrung bringen, ob Ihr Sohn mit dem Flugzeug verreist ist. Auch ich habe hier meine Mittel und Wege«, fügte ich geheimnisvoll hinzu und dachte dabei an einen meiner Exkollegen, der Verbindungen zur Polizei hatte.

      »Wollten Sie das nicht längst gemacht haben?« Sie hatte recht. Ich hatte ihr bereits gestern, also am Dienstag gesagt, dass ich mich danach erkundigen werde. Doch mit dem ehemaligen Kollegen traf ich mich jeden zweiten Mittwoch in einer schummrigen Kneipe zum Bier und so wollte ich es erst an diesem Abend in die Wege leiten.

      »Ein wenig Vorbereitungszeit benötige ich schon«, log ich. »Außerdem werde ich morgen bei seiner Praktikumstelle nachfragen. Vielleicht hat er dort jemandem von seinen Reiseplänen erzählt.«

      Frau Kessler schien mit meinen Fortschritten nicht recht zufrieden zu sein. »Hätten Sie das nicht heute schon in Erfahrung bringen können?«, fragte sie mich mit vorwurfsvoller