Andreas Loos Hermann

Das Seelenkarussell - Band 1 - Vera


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bereits zu Ende. Vera wusste plötzlich, dass es die Traummelodien von Cat Stevens waren. „So ein Mistkerl“, dachte sie, diese Melodien waren die selben, die er auch bei ihrem ersten Mal aufgelegt hatte.

      Michael lag der Länge nach diagonal über das Doppelbett hingestreckt und rief: „Angie, wo steckst du denn so lange, war ich so umwerfend, dass du dich erst restaurieren musst.“

      Da kam Angie auch schon zurück und entgegnete ein wenig vorwurfsvoll, aber mit zärtlichem Unterton in der Stimme: „Dass ihr Männer euch immer so viel auf euch einbilden müsst, ich mag dich auch ohne sportliche Höchstleistungen im Bett, mein Schatz.“ Bei diesen Worten ließ sie sich zu Michael aufs Bett fallen und begann, ihm zärtlich den Nacken zu kraulen. Angie hatte eine sehr gute Figur, war aber wesentlich kleiner und zierlicher als Vera, der das jetzt plötzlich auffiel, da sie keine zwei Meter entfernt bei der Terrassentür stand.

      „Lass das, du kitzelst“, rief Michael auf und drehte sich um. „Komm´ in meine Arme, mein Kleines.“ „Da war ich doch gerade“, schmollte Angie plötzlich und zog sich auf die Seite zurück. „Lass uns doch ein wenig plaudern, wir kennen uns doch kaum. Ich weiß noch so wenig von dir, erzähl´ doch ein bisschen was aus deinem Leben.“

      Michael wirkte mit einem Mal etwas verlegen und meinte, da gebe es nicht so tolle Dinge zu erzählen, sein Leben verlaufe eigentlich in sehr ruhigen Bahnen.

      „So sehen also deine gesetzten Bahnen aus“, rief Angie belustigt, „dass du fremde Frauen, die sich trauen zu dir in die Wohnung zu kommen, gleich in dein Schlafzimmer abschleppst.“

      Vera stand daneben und wunderte sich über sich selbst. Sie war ganz ruhig, nachdem sie die erste Überraschung überwunden hatte. Das Spannende an der ganzen Angelegenheit war, dass sie nicht nur hören konnte, was die beiden redeten, sondern sie wusste, was die beiden wirklich dachten. Sie konnte die Gedanken nicht wirklich hören, aber sie konnte fühlen, was sie dachten. Sie wusste, wenn einer log, und Michael log bei jedem zweiten Satz. An Angie lag ihm gar nichts, er hatte sie nur als raschen Aufriss ins Bett bekommen wollen und wollte sie eigentlich schon wieder loswerden, da er bereits an seine Freunde dachte, die in einer Bar auf ihn warteten und der Abend war schließlich noch lang. An Vera verschwendete er dabei keinen Gedanken. So etwas wie ein schlechtes Gewissen konnte er sich anscheinend gar nicht vorstellen. Da war Vera ja völlig an den Falschen geraten. Es war wohl doch nur die Suche nach einer Beziehung gewesen, die Vera in die Arme von Michael getrieben hatte.

      Angie wiederum hatte sich vor ein paar Tagen in Michael verknallt und sich daher überreden lassen, ihn heute in seiner Wohnung zu besuchen, da er ihr einige Werbeentwürfe zeigen wollte. Sie wollte eine wirkliche Beziehung mit ihm anfangen, die über den schnellen Quickie hinausging. Sie war auf der Suche nach ihrem Traumpartner und wusste noch nicht, dass sie ihn gerade wieder nicht gefunden hatte. Ihr war es das erste Mal passiert, dass sie so direkt im Bett gelandet war. Sie wollte jetzt mehr von Michael kennen lernen. Vera wusste, dass dies zwecklos war, da sie Michael besser kannte. Angie würde diese Erfahrung erst machen müssen, so wie sie, Vera, eben gerade ihre Erfahrung gemacht hatte.

      Veras Intellekt wollte beleidigt sein, dass Michael sie so schmählich betrogen hatte, aber es gelang ihr nicht. Ihre Gefühle waren ganz anders. Sie empfand nichts für Michael, nicht einmal Ärger. Statt dessen war sie erleichtert, dass es niemandem leid zu tun brauchte, dass aus der Beziehung zwischen ihr und Michael nichts geworden war. Gedanken an ihren Tod kamen ihr gar nicht in den Sinn. Sie fühlte sich wie in einem Film als Zuschauerin. Sie konnte nicht eingreifen und wollte es auch gar nicht. Was hier in diesem Schlafzimmer passierte, ging sie nichts mehr an. Sie war jetzt frei und überlegte, wohin sie jetzt gehen könnte.

      Kapitel 17

      Ihre Eltern fielen ihr ein, sie sollte auch in der Grinzinger Allee noch einmal vorbeischauen, bevor sie, ja was eigentlich …

      Die Worte ihrer Oma kamen ihr in den Sinn. Vera konnte sich keinen Reim darauf machen. Welchen Übergang hat sie gemeint und wieso war Oma plötzlich verschwunden. Sie waren doch beide tot. Gab es da noch etwas Anderes, das sie nicht kannte. Drohten ihr womöglich neue Gefahren oder war alles ganz anders. Heute morgen noch hatte sie an Georg gedacht und wie schön der heutige Abend mit Georg in einem feinen Brüsseler Lokal sein würde und wer weiß, was sie nachher gemacht hätten. Und nun stand sie in der Wohnung von Michael und sah ihn mit einem fremden Mädchen im Bett liegen und war tot.

      Sie, die an ein Leben nach dem Tode nie geglaubt hatte und auch keine Sekunde in ihrem Leben mit Gedanken an die Zeit nach dem Tode verschwendet hatte, stand nun genauso am Fenster, wie sie vor drei Tagen am Fenster ihres Hotelzimmers in Brüssel gestanden hatte und dachte nach. Irgendwie war es die gleiche Situation und das kam ihr seltsam vor. Am Leben nach dem Tod konnte sie nun nicht mehr zweifeln, da sie mitten drin steckte. Wieso war da so wenig Unterschied zu vorher, als sie noch lebte. Aber eigentlich lebte sie ja jetzt auch, denn sie konnte sich fühlen, sie konnte denken und sie konnte sich bewegen. Sie nahm sogar mehr wahr, als sie wahrnehmen konnte, als sie noch lebte. Ihr kam der Begriff Tod irgendwie unsinnig vor, da sie ja jetzt auch lebte, obwohl sie für die Menschen tot war.

      Das war es, der Tod galt für die Menschen, die noch lebten. Für die, die tot waren, war der Tod ganz etwas Anderes. Das war für Vera eine überraschende Erkenntnis über die sie noch weiter nachdenken wollte.

      Sie hatte die beiden im Bett einfach ausgeblendet und es war so, wie wenn die beiden gar nicht da wären. Vera wollte ein wenig für sich allein sein. Gedanken aus ihrer Kindheit kamen in ihr auf. Bilder aus ihrem Leben liefen vor ihr ab. Auf einmal hatte sie das Gefühl, das war gar nicht ihr Leben. Das Leben, das sie da im Rückblick sah, war nicht ihr wirkliches Leben oder wenn doch, dann nur ein kleiner Teil davon, denn da müsste doch viel mehr gewesen sein. Das Leben in der besseren Wiener Gesellschaft und die vielen Partys waren doch nicht alles gewesen, was sie je erlebt hatte. Da war noch etwas Anderes gewesen. Vera versuchte sich zu erinnern, es gelang ihr aber sehr schlecht. Erinnerungsfetzen von irgendetwas stiegen in ihr auf, verblassten aber sofort wieder. Waren das ihre Träume gewesen oder waren diese Träume gar keine Träume. Sie spürte, wie sie verwirrt wurde, je mehr sie versuchte, sich darauf zu konzentrieren. Da war etwas und sie wusste nicht, was es war. Oder war da gar nichts und sie bildete sich das alles nur ein.

      Ein Spaziergang wäre jetzt genau das Richtige, kam ihr plötzlich in den Sinn. Warum sollte sie als Tote nicht auch spazieren gehen können. Es war zwar nicht unbedingt logisch, da sie ja mit der Kraft ihrer Gedanken überall sofort sein konnte, aber jetzt wollte sie durch die Wiener Innenstadt gehen.

      Kapitel 18

      So stand sie auch schon am Hohen Markt am Gehsteig. Zwei Gassen weiter war die Wohnung von Michael gewesen. Die Ankeruhr, eine der nicht so bekannten Sehenswürdigkeiten von Wien, zeigte bereits einundzwanzig Uhr fünfunddreißig an. Es war für Vera interessant zu sehen, dass bereits einige Stunden seit ihrem Tod vergangen waren, da sie ja um neunzehn Uhr dreißig gestorben war, es ihr aber nicht so vorkam. Es war eher so, als ob die Zeit für sie überhaupt keine Rolle mehr spielte. Eine weitere interessante Beobachtung, dachte Vera.

      Sie ging durch die nächtlichen Gassen über den Fleischmarkt Richtung Schwedenplatz. Da es Dienstag war, begegnete sie kaum Leuten auf der Gasse. Am Wochenende war hier im so genannten Bermudadreieck, einem Viertel mit vielen Bars und Lokalen, wesentlich mehr los.

      Sie kümmerte sich nicht um die Passanten, denn was solle ihr schon passieren. Früher hatte sie sich unbehaglich gefühlt, wenn sie des Nachts allein in einer dunklen Gasse unterwegs gewesen war. Jetzt drohte ihr keine Gefahr von irgendwelchen Stänkerern, Handtaschenräubern oder sonstigen Unholden, vor denen die braven Mädchen immer gewarnt werden. Wer sollte ihr denn jetzt noch etwas tun können. Der Gedanke belustigte sie direkt ein wenig. Einem Vergewaltiger könnte sie jetzt die lange Nase drehen. Schade, dass der es dann nicht sehen könnte.

      In diesem Moment wurde sie von hinten gepackt und jemand zerrte an ihrer Hand, so dass sie kräftig zurückgerissen wurde. Mit ihrer Selbstsicherheit war es vorbei. Vera stolperte und stürzte zu Boden. Der Jemand hatte losgelassen und war selbst erschrocken einen Schritt