Andreas Loos Hermann

Das Seelenkarussell - Band 1 - Vera


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ihm auch nicht gelungen, Auschwitz und Hiroschima zu verhindern und das Schlimmste daran war, dass die Kirche nicht einmal überzeugend erklären konnte, warum Gott die Gräuel des Weltkrieges und den Tod Millionen Unschuldiger zugelassen hatte. So dachte Vera über diesen Gott und hatte ihn für sich schon längst ad acta gelegt.

      Ihr Religionslehrer war noch schlimmer als ihr Vater, denn der war um die sechzig und geistig irgendwo im Mittelalter stehen geblieben. Er donnerte von Himmel, Hölle und Fegefeuer. Er machte sich damit in der Klasse zwar nur lächerlich, doch seinen Ansichten tat dies keinen Abbruch. So war es kein Wunder, dass bis zur Matura zwei Drittel der Klasse, Vera eingeschlossen, vom Religionsunterricht abgemeldet waren, da die neuen Gesetze damals das Abmelden erstmals erlaubten, und das gab in dem Klostergymnasium einen ziemlichen Skandal. Vera hatte dann später erfahren, dass der Religionslehrer nach ihrer achten Klasse pensioniert worden war.

      Kapitel 4

      Vera lehnte sich an den Fensterrahmen des Hotelfensters und versuchte, ein Stück der Straße direkt vor dem Hotel zu sehen. Die Avenue war für Wiener Verhältnisse extrem sehr breit. Solch einen breiten zehnspurigen Boulevard hätte sie in Brüssel nicht erwartet, Brüssel war doch viel kleiner als Wien.

      Ihre Stimmung hatte sich nicht gebessert, sie wusste noch immer nicht, was sie am Abend tun sollte. Im Zimmer bleiben, oder versuchen, allein die Altstadt zu erkunden. Beides waren keine sehr verlockenden Gedanken. Im Zimmer eingeschlossen, das verabscheute sie, aber allein in der Nacht in einer Stadt, die sie so gar nicht kannte, das war ihr doch ein wenig unheimlich. Leicht konnte man da in ein Viertel gelangen, wo man als Frau besser abends nicht allein hinging.

      Morgen würde die Konferenz anfangen. Vera freute sich darauf. Da war sie dann wieder Frau Dr. Vera Zimmermann, Abteilungsleiterin der Rechtsabteilung und Managerin und voll in ihrem Element. Sie war schon sehr gespannt, wie die Konferenz ablaufen würde, denn es waren Juristen von vielen Konzernen und Firmen angemeldet, wie sie aus der Teilnehmerliste ersehen konnte. Morgen würde sie ihre Frau stellen, das wusste sie, das gab ihr den Halt, den sie brauchte. Aber heute war das anders. Ein Abend, mit dem sie nichts anfangen konnte. Ihre Gedanken schlichen wieder in ihre Vergangenheit zurück.

      Sie dachte zurück an Andi. An ihr gemeinsames erstes Mal. Diesen Abend würde sie ihr ganzes Leben nicht vergessen. Sie war für ein Wochenende in Waidhofen an der Thaya am Bauernhof von Andis Eltern eingeladen gewesen. Andi hatte die Idee gehabt, bereits einen Tag früher zu fahren. Die Eltern kämen erst freitagabends, sie fuhren bereits Donnerstagnachmittag. Da gäbe es noch Zeit für ein kleines gemeinsames Abendessen, wie Andi geheimnisvoll andeutete.

      Er hatte im Kofferraum seines uralten Renaults ein komplettes Dinner mitgeschmuggelt gehabt. Damit überraschte er Vera, indem er die Sachen auf dem großen alten Tisch in der Bauernstube aufbaute, den er vorher festlich gedeckt hatte. Nur Kerzenlicht erfüllte den Raum, was dem Ganzen ein herrliches Gefühl absoluter Zeitlosigkeit gab. Vera meinte, sie könnten jetzt genauso gut im neunzehnten Jahrhundert gemeinsam hier in dieser Bauernstube sitzen.

      Es gab köstliche Pastetchen und allerlei Delikatessen, aus der Dose zwar, aber wen störte das schon. Dazu gab es einen himmlischen sanften Rotwein, den Andi irgendwo im Weinviertel aufgestöbert hatte, wie er ihr versicherte. Sie saßen sich gegenüber und sahen sich an. Zärtlichkeiten waren wegen der Tischgröße nicht möglich, aber jedes Mal, wenn ihre Blicke sich trafen, erfüllte ein erotisches Knistern den Raum.

      Vera hatte sich extra einen neuen BH gekauft, für dieses Wochenende, mit Bügeln, wie sie sonst nie einen trug. Sie hatte so ein richtig verspieltes, langes Kleid an, wie es damals gerade modern war. Andi in Jeans und kariertem Flanellhemd sah so aus, wie sie sich einen Gutsbesitzer immer vorgestellt hatte. Sie überlegte, wie er wohl darunter aussehen würde. Die Kerzen waren schon fast ganz heruntergebrannt, die Schallplatte war gerade zu Ende, als er sie fragte, ob sie nicht sehen wolle, wo sie heute schlafen würden. Vera klopfte das Herz bis zum Hals. Andi strahlte sie an und nahm sie langsam in seine Arme. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und küsste ihn leidenschaftlich. Es tat so gut, jemanden gefunden zu haben, den man liebte und Vera wusste, dass sie bei Andi ganz sie selbst sein konnte und keine Angst haben musste, ihm das auch zu zeigen.

      Sie waren eine steile Holzstiege hinaufgestiegen und standen nun in ihrem Zimmer. Ein uraltes breites Doppelbett stand darin. Nur das Nachtkästchenlicht gab einen leisen Schein, so dass die Ecken des Zimmers im Dunkeln blieben. Langsam knöpfte Andi ihr Kleid auf. Sie spürte seine starke Ausstrahlung, als er sein Hemd ausgezogen hatte. Sie nahm seine Hand und legte sie auf ihre Brust. Andi spürte ihre Erregung und begann sie langsam zu streicheln. Vera genoss mit jeder Faser ihres Körpers die Liebkosungen, die Andi langsam über ihren ganzen Körper verteilte. Es war die natürlichste Sache der Welt, als er ihr den BH aufhakte und sie ihm ihre wohlgeformte Brust entgegenstreckte. Es war eine himmlische Vertrautheit zwischen ihnen als sie sich gegenseitig ganz auszogen und unter die Bettdecke schlüpften, da es im Zimmer doch ein wenig kühl war. Bei ihrem ineinander Verschmelzen erfuhr Vera dann auf eine ganz neue Art und Weise, was echte Liebe für einen Orkan an Gefühlen auslösen kann. Im Höhepunkt wurde sie in die höchsten Himmel hinauf geschleudert und gemeinsam mit Andi erlebte sie eine orgiastische Achterbahnfahrt, wie sie es noch nie erlebt hatte.

      Danach musste sie erst wieder blinzeln und sich umsehen, um zu wissen, ob sie wirklich hier im Schlafzimmer im Waldviertel war, obwohl sie doch gerade im siebenten Himmel gewesen war oder noch immer meinte dort zu sein, da ja Andi neben ihr im Bett lag.

      Sie hatten sich noch soviel zu erzählen, die ganze Nacht lang, so dass sie nicht zum Schlafen kamen. Sie schmiedeten die unsinnigsten Zukunftspläne, alles war möglich und jedes Ziel war leicht erreichbar. Vera dachte damals, so sollte es immer sein. Nie könne sich an ihrer Liebe zu Andi etwas ändern. Irgendwann würden sie heiraten und eine Familie haben. Am liebsten wäre Vera damals ins Waldviertel gezogen, so gut gefiel ihr alles dort. Die Realität, die vor ihr lag, hatte sie damals einfach nicht zur Kenntnis nehmen wollen.

      Kapitel 5

      Weshalb aber war die Beziehung schließlich schiefgelaufen, wo sie doch so großartig begonnen hatte. Sie wusste es nur zu gut, die meiste Zeit verdrängte sie es aber. Aber hier in Brüssel, allein im Hotelzimmer, da kam alles wieder hoch. Das war auch kein Wunder, denn ihre Karriere hatte sehr viel mit dem Scheitern der Beziehung zu tun.

      In der ersten Zeit war alles Sonnenschein gewesen. Das waren einerseits die Augen der frisch Verliebten, die mit ihrer rosaroten Brille alles phantastisch finden. Da war aber auch noch ein Erkennen der Probleme anderer. Andi war jemand, der auch an andere Leute dachte. Sie hatte bis jetzt immer nur an sich selbst gedacht.

      Vera fand, dass Andi sehr religiös war, denn er war von der Liebe Gottes überzeugt, so ganz anders als ihre Eltern oder ihr Religionsprofessor. Damals war die Kirche gerade dabei, sich ein wenig der Welt zu öffnen und zu modernisieren. Das zweite Vatikanische Konzil war noch nicht so lange her.

      Andi sagte, er sei gar nicht so katholisch, aber die Kirche gäbe es schon seit Jahrtausenden, da müsse doch was dran sein, sonst wäre sie doch schon längst durch etwas Anderes ersetzt worden. In theologischen Diskussionen mit Andi zog Vera immer den Kürzeren, da es ihr schlicht an Wissen fehlte.

      Ihre Freundinnen hatten in dieser Zeit über Vera eine Menge zum Tratschen. Sie fanden es sehr merkwürdig, dass sie es nun vorzog, ganze Wochenenden im Waldviertel zu verbringen, statt mit ihnen die Szene in Wien unsicher zu machen. Sie ist schrecklich verliebt, und der Andi, der soll ja ganz toll sein, was man so hört.

      Als Vera dann aber noch anfing, spitze Bemerkungen über den Lebensstil ihrer Freundinnen, deren teure Kleidung und über ihre Oberflächlichkeiten zu machen, wurde die Distanz zwischen ihnen rasch größer. Diejenigen, die nur Glitter, Glamour und Jungs im Kopf hatten, wollten eben nicht mehr im Kopf haben. Das musste Vera nun mehr als deutlich sehen. Es tat ihr aber auch weh, ihre Clique zu verlieren, zu der sie so lange gehört hatte. Dazuzugehören war ihr immer noch wichtig. Sie wollte keine einsame Außenseiterin sein.

      Da war Andi ganz anders. Ihn störte es nicht, wenn sie weitab von jeder Gruppe einsam zweisam