Wolfgang Seibert

Die Earanna Chroniken


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der langen Straße in den Stromaufweg einbiegen, als Meister Jungar, seines Zeichens Wirt des Gasthauses `Zum alten Steg´, sie erblickte und eilig auf sie zu rannte.

      „Oh, ein wenig Glück in meinem Unglück! Der junge Herr Ardun und die gute Schwester Narael! Sie müssen mit ihm sprechen, Herr und ein wenig von dem Licht der Weisheit in sein unaufgeräumtes Oberstübchen lassen! Er bringt mich noch zur Verzweiflung, mein kleiner Bruder - und ich hab doch der Mutter auf dem Sterbebett versprochen auf ihn aufzupassen!“

      „Natürlich werde ich mit Jengar sprechen, Meister Jungar!“ beruhigte Ardun den vor Aufregung Schnaufenden. „Wo treibt er sich denn diesmal wieder herum? Ich habe ihn schon tagelang nicht mehr gesehen!“

      „Wo er hin ist, der verflixte Lümmel? Den Fluss hinunter und in den großen Wald hinein!“, schimpfte Jungar gleich los.

      „Narretei ist das, wenn ihr mich fragt! Aber so war er damals schon, bevor er noch bei den guten Schwestern das Lesen lernte! Sarils Geschichte, die spukt ihm im Kopf herum, kann ich euch sagen. Saril hinterher, das will er. Obwohl - Saril selbst ist ja auch nur davongelaufen, weil er Abenteuer erleben und Schätze finden wollte!“

      „Ach, Meister Jungar!“ lachte Ardun, „Den Fluss hinunter, das ist bestimmt wahr, aber sicher ist er wieder nur bis Durn gekommen. Seine abenteuerlichen Reisen den Fluss hinunter enden doch immer im `besoffenen Ork´!“

      „Eine ellenlange Kerze aus feinstem Bienenwachs werde ich im Tempel anzünden, wenn es auch diesmal so ist! Ich mache mir wirklich Sorgen, junger Herr – auch meine gute Lena hat ein ungutes Gefühl!“

      „Seid unbesorgt, Meister Jungar!“ Unterbrach Ardun den Redeschwall des Wirtes. „Ich werde Jengar für euch finden, mein Wort darauf! Ihr aber solltet jetzt lieber nach Hause gehen, bevor eure Frau auch euch für verschollen hält!“

      „Ach junger Herr, das wird meine Frau beruhigen, wenn ich ihr sage, ihr werdet mit Jengar sprechen! Vielen Dank und Galen soll euch sicher leiten!“ sprach er und verbeugte sich rückwärts gehend. Dann drehte er sich abrupt um und eilte davon.

      Während Ardun dem Schenkenwirt noch hinterher sah, trat plötzlich Narael vor ihn hin und sah ihn streng an: „Was hast du vor, junger Herr?“

      Ardun kratzte sich verlegen am Kopf: „Na ja, da die Fähre nach Durn sowieso bald ablegt, werde ich mitfahren und den Burschen nach Hause holen, oder?“

      „Also ich denke, du wirst besser denken, wenn du ausgeschlafen bist!“

      „Was denn, Sonnenbeschienen und sanft gewiegt vom großen, gemütlichen Darrel werde ich schlafen wie ein Säugling! Und morgen bei Sonnenaufgang reite ich zusammen mit Jengar den Leinpfad flussauf und wenn ich ihn dafür quer aufs Pferd binden muss!“

      Narael schüttelte missbilligend den Kopf: „Zum Einen siehst du verboten aus und zum Andern wird der Aufruhr bestimmt nicht weniger, wenn du jetzt einfach so verschwindest!“

      „Zum Waschen und Umkleiden bleibt noch Zeit genug, wenn ich nicht allzu sehr herum trödle und ich bezweifle, dass vor morgen Abend irgendetwas passieren wird.“ Argumentierte Ardun. „Vermutlich wird meine Abwesenheit nicht einmal bemerkt!“

      Statt einer Antwort starrte Narael ihn mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an. Er begann sich gerade zu fragen ob sie ihn ansah oder durch ihn hindurch, als sie, sehr zu seiner Überraschung, plötzlich sagte: „Nun gut - beeilen wir uns besser!“

      „Was denn, du lässt mich gehen?“

      „Nein, ich werde dich begleiten!“

      „Und gib dir keine Mühe!“ fügte sie hinzu, als sein völlig entgeistertes Gesicht schlagartig wieder ernst wurde und er zu einer Antwort ansetzen wollte.

      „Der Fluss wird uns beide tragen.“

      „Und da sagst du, ich scheuche sie auf! Was meinst du was heute Abend los sein wird, wenn du beim Essen fehlst? Da werden Roben flattern bis es klingt als wäre die Katze im Taubenschlag!“

      „Ja - schade nur dass wir nicht dabei sein können!“ meinte sie mit einem spitzbübischen Lächeln. „Eine wahrlich nette Abwechslung in unserem langweiligen Leben! Nun komm, wir müssen uns sputen, sonst verpassen wir noch die Fähre!“ damit nahm sie ihn bei der Hand und zog ihn lachend mit sich fort.

       *

      Mittlerweile waren sie auf dem Weg, ein gutes Stück den Darrel hinunter, der nach Westen und Südwesten fließt, bis er auf den mächtigen Darrhin trifft, auf seinem Weg zum Meer. Ardun schlief tatsächlich nach einiger Zeit ein und als die Fähre aus Delas von den Leinpferden vorbei gezogen wurde, weckten ihn selbst die fröhlichen Zurufe, welche zwischen den beiden Fähren hin und her gingen, nicht auf.

      Was Narael Gelegenheit gab, über die neue Wendung der Geschehnisse nachzudenken. Sie war von ihrem Entschluss Ardun zu begleiten, ebenso überrascht worden wie er. Schon einige Male war er allein nach Durn gefahren und hatte Jengar nach Hause geholt, aber noch nie zuvor war es ihr in den Sinn gekommen ihn dabei zu begleiten.

      Heute Morgen jedoch, blieb auf der Ufergasse einen Moment lang die Zeit für sie stehen: Sie sah sich selbst auf der Fähre, gerade so wie jetzt, mit Ardun schlafend an ihrer Seite. Doch als sie dieses Bild wie einen kuriosen Einfall achtlos beiseite schieben wollte, wurde ihr plötzlich kalt ums Herz und es fröstelte sie, als wäre ein Schatten auf sie gefallen. Sie versuchte dieses Gefühl abzuschütteln und ein anderes Bild zu sehen - zum Beispiel Ardun auf dem Fluss und sich selbst im Appelgaard - aber da war nichts - nur Kälte und Einsamkeit.

      All dies ängstigte sie sehr, doch als sie die leichte Besorgnis in Arduns Augen bemerkte, ließ sie sich nichts anmerken. Stattdessen überraschte sie ihn mit ihrer Zustimmung und scheuchte ihn durch die Gassen, dass er gar nicht mehr zum Denken kam. Zu ihrer eigenen Verwunderung musste sie ihm ihre Fröhlichkeit nicht vorspielen, denn kaum hatte sie entschieden mit ihm zu gehen, hob sich der Schatten und die Kälte verließ sie. Sie hatte so etwas noch nie vorher erlebt und nun, hier auf der Fähre, in der warmen Abendsonne mit dem friedlich schlafenden Ardun an ihrer Seite schien es immer unwirklicher. Sogar die Erinnerung daran begann sich aufzulösen wie der Flussnebel in der Morgensonne.

      Sie würde diesen merkwürdigen Moment nicht vergessen, nahm sie sich vor. Aber es war nicht nötig Ardun damit zu behelligen. Vermutlich würde er sich Sorgen machen und sie nicht nur beschützen und umsorgen, sondern regelrecht bemuttern!

      „Durn!“

      Rief der Ausguck und riss sie aus ihren Gedanken,

      „Durn! Erster Hafen und Ankerplatz für die Nacht auf der Fahrt nach Delas!“

      Sie schaute zum linken Ufer und war einen Moment lang verwirrt, denn außer Flussweiden und vereinzelten Baumgruppen im sanft rollenden Grasland war nichts zu sehen. Als dann der Ausguck seinen Ruf wiederholte, stand sie auf und schaute nach Westen, genau wie er. Beinahe noch auf dem Horizont sah sie dann die Silhouetten einiger Dächer. Gemächlich wand der Fluss sich um noch eine lang gezogene Biegung, dann schwamm ein Dorf in ihr Gesichtsfeld, das kaum diese Bezeichnung verdiente. Ein kleines Häuflein dicht gedrängter Häuser hob spitzgiebelige, mit verwitterten Holzschindeln gedeckte Dächer über eine windschiefe Palisade. Ein kahler Streifen Land, vielleicht hundert Schritt breit lag zwischen dem Dorf und dem Hafen, welcher nichts weiter war, als etwa fünfzig Schritt befestigten Ufers hinter einer Buhne. Eine von Wind und Wetter gebleichte Landungsbrücke, einige Poller und ein ebenso verwitterter, hagerer Hebebaum war das gesamte Mobiliar des Hafens. Vor dem Tor in der Palisade lag ein mit grob behauenen Steinen gepflasterter Platz der zugleich der Beginn einer befestigten Straße war, die am Dorf vorbei in Richtung Süden führte.

      Als sie an der Buhne vorbei trieben stupste sie Ardun mit dem Fuß an: „Wach auf Schlafmütze, unsere Reise ist gleich zu Ende!“

      Ardun war sogleich wach, rieb sich nur kurz durchs Gesicht und sprang auf: „Was hab ich dir gesagt: Sanft gewiegt vom großen Fluss schläft es sich herrlich! Aber vermutlich hast du nicht geschlafen, nehme ich an! Hat dir denn die Reise gefallen?“

      „Ja, denn es ist