Ekkehard Wolf

Geheimnis der blauen Kugel


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      Wegen der Dunkelheit hatten die anderen Kinder zunächst Mühe zu erkennen, was ihnen Alfred da unter die Nase hielt. Erst als es ihm gelungen war, damit das Licht des Mondes einzufangen, das durch eine Ritze des Schuppens fiel, konnten sie für einen Augenblick eine Kugel erkennen. Sie war dunkelblau, war in etwa so groß wie die Faust eines erwachsenen Mannes und sah so aus, also ob sie viele kleine Kugeln in sich hätte. Doch die erste Reaktion seiner Freunde war anders ausgefallen, als der Junge erwartet hatte.

      „Was?“ Hendrik war empört. “Du hast eine Kugel aus einem Museum geklaut?“

      Alfred war nicht mehr dazu gekommen, auf die Frage zu antworten, denn in genau diesem Augenblick hatte der Sturm mit einer schweren Böe so an dem Gebälk der Scheune gezerrt, dass es gänzlich unheimlich wurde.

      Der Klang ähnelte dem Heulen von Gespenstern, wie das im Film oft vorgeführt wird, um den Zuschauern ein wenig Angst einzujagen. Dazu war der Raum von einem grellen Blitz für den Bruchteil einer Sekunde taghell erleuchtet gewesen. Im gleichen Moment war die Hütte von einem gewaltigen Donnergrollen erschüttert worden, was nur bedeuten konnte, dass das Gewitter direkt über der Wiese stand. Natürlich hatten auch die Freunde auf dem Dachboden jetzt wieder ‚ein ganz klein wenig Angst’ bekommen. Aber selbstverständlich hatte das niemand zugegeben. Andererseits hatte auch niemand widersprochen, als Kirsten schließlich entschieden hatte, was zu tun war.

      “Los, sehen wir zu, dass wir nach hause kommen.“

      Aber auch der Rückweg durch das kleine Wäldchen war gar nicht so einfach gewesen. Die Bäume ächzten und bogen sich an diesem Abend besonders heftig und der Regen peitschte den Freunden so gründlich in die Gesichter, dass sie Mühe hatten, ihre Augen offen zu halten. Die in der Ferne gelegentlich vorbeiziehenden Lichtkegel aus den Scheinwerfern der vorbeifahrenden Autos, verliehen der Atmosphäre zusätzlich einen unheimlichen Beigeschmack. Die Freunde hatten sich daher beeilt, dem Unwetter zu entkommen. Von dem aufgeregten Krächzen der vom Lärm aufgescheuchten Krähen hatte in dieser Situation keines der Kinder Notiz genommen. Lediglich das heftige Getrampel sich entfernender Hufe hatte sie veranlasst, einen Moment inne zu halten.

      Wortkarg waren sie anschließend auseinander gegangen und hatten sich gefreut, als sie endlich zu Hause angekommen waren.

      Noch am selben Abend hatte Kirsten bei Alfred angerufen, um sich zu erkundigen, was es mit der Kugel tatsächlich auf sich hatte. Die Antwort war allerdings nicht sonderlich erhellend gewesen.

      „Ich weiß auch nicht. Wenn man sie gegen das Licht hält, dann funkelt sie ganz komisch und blinkt irgendwie. Aber das macht sie nicht immer, nur manchmal.“

      Nach diesen Worten hatte Alfred aufgelegt. Seine Mutter hatte an die Tür geklopft und ihm eine gute Nacht gewünscht. Die blaue Kugel hatte seither niemand mehr zu Gesicht bekommen, da sich bereits am folgenden Tag eine merkwürdige Geschichte ereignet hatte.

      Gleich am nächsten Tag hatte ein Mann bei den Krickhahns an der Haustür geklingelt. An dem Vormittag war nur Alfreds Mutter zu hause gewesen. Der Besucher hatte versehentlich vergessen, das Licht seines Autos abzuschalten. Da nun der Wagen nicht mehr ansprang, bat er darum, kurz telephonieren zu dürfen, um einen Abschleppdienst zu bestellen. Krickhahn, so heißt Alfred mit Nachnamen. Und das Haus, in dem er wohnt, liegt ziemlich abgelegen. Seine Mutter war daher ohne weiteres bereit gewesen, dem Mann zu helfen. Sie hatte ihn kaum herein gebeten, als vor dem Haus auch schon ein wildes Hubkonzert begann.

      Der Fahrer eines anderen Fahrzeuges regte sich lautstark darüber auf, dass auf der schmalen Straße ein Anhänger geparkt war.

      Für Raudi war dieser Lärm zuviel gewesen und er hatte wild angefangen zu bellen. Raudi war der ‚Hof und Hütehund’ der Krickhahns und Alfreds Mutter war nichts anderes übrig geblieben, als nach draußen zu gehen, um ihren Hund wieder zu beruhigen.

      Das war nicht so einfach gewesen, weil „Raudi sich aufgeführt hatte, als ob der Leibhaftige vor der Tür steht,“ wie Alfreds Mutter sich ausgedrückt hatte.

      Als es ihr endlich gelungen war, ihn ins Haus zu zerren, war ihr der Besucher bereits im Vorflur des Hauses begegnet.

      Er hatte sein Telephonat beendet, sich höflich aber kurz bedankt und dann das Grundstück in ziemlicher Eile verlassen.

      Alfreds Mutter war viel zu sehr mit dem Hund beschäftigt gewesen, als dass sie sich deswegen Gedanken gemacht hätte. Sie war nur froh, dass das dämliche Hubkonzert endlich aufgehört hatte.

      Erst nachdem Alfred seinen Eltern aufgeregt vom Verlust der blauen Kugel berichtet hatte, war klar geworden, dass der Besuch des Mannes nicht wirklich zufällig erfolgt war.

      Aber selbstverständlich hatten Alfreds Eltern davon kein großes Aufheben gemacht. Schließlich hatte „unser Herr Sohn“, wie sich Alfreds Vater ausdrückte, „das Teil ja selber mitgehen lassen.“

      Seither war erst einmal Ruhe im Karton gewesen. Bis jetzt, denn plötzlich glaubte Alfreds Mutter den Mann wieder zufällig entdeckt zu haben, der ihr einen Besuch abgestattet hatte - und zwar beim Zusammentragen des Osterfeuers. Er war ihr aufgefallen, weil er dabei „so komische Handbewegungen“ gemacht hatte. Wer der Mann war und woher er eigentlich kam, das vermochte Alfreds Mutter jedoch nicht zu sagen.

      Für Alfred war damit klar, dass er etwas unternehmen musste. Eilig rief er seine Freunde zusammen. Gleich nach der Schule trafen sich alle an der alten Eiche und erlebten gleich eine ziemliche Überraschung.

      3. Kapitel

      „Die kommt doch nicht von hier.“ Hendrik war sich da ganz sicher: Die Fremde konnte unmöglich eine solch wichtige Aufgabe übernehmen. Er sagte das mit einer solchen Bestimmtheit, dass es auch Thorsten begriff. Gemeinsam mit seinen beiden Freunden, Hendrik und Alfred, stand er an der alten Eiche und hielt Kriegsrat. Hendrik war in jeder Beziehung der Mittlere der drei Jungen. Mittelgroß, mittelstark und mittelschlau. Alles andere als ein Weichei, und deshalb durchaus auch einmal bereit, sich dem klar stärkeren Alfred körperlich in den Weg zu stellen, aber keineswegs ein Draufgänger. Alles andere als ein Eierkopf, aber deswegen keineswegs bereit, etwa Thorsten, undiskutiert, auf jedem beliebigen Wissensgebiet den Vortritt zu lassen. Thorsten hatte sich entsprechend daran gewöhnt, dass sein Freund auf Argumente ‚manchmal nicht gerade zuvorkommend zu reagieren pflegte’, wie Kirsten das in ihrer etwas geschwollenen Art zu reden, ausdrückte. Die Idee, das fremde Mädchen zu fragen, ob es mit zum Osterfeuer kommen wolle, hatte der blonde Junge gleich ziemlich ‚blöd’ gefunden. Und dazu noch solch ein Mädchen, das sie gar nicht kannten. Es reichte ihm schon, dass seine anderthalb Jahre jüngere Schwester Kirsten ständig überall mit hin wollte. Weil er da meist schlecht nein sagen konnte, wenn er Krach mit seinen Eltern vermeiden wollte, war sein Bedarf an Mädchen erschöpft. „In echt ist das bestimmt auch wieder so eine Quasselstrippe,“ dachte er bei sich und hoffte nur, dass seine Schwester nicht zufällig erfahren würde, dass das fremde Mädchen auf einmal wieder da war. Nach dem Anruf von Thorsten hatte er sich daher geradezu aus dem Haus geschlichen und war jetzt froh, die Sache erst einmal mit seinen beiden Freunden besprechen zu können. Dabei war er so sehr damit beschäftigt, Thorsten von seiner Idee abzubringen, dass ihm das leichte Rascheln im Gebüsch vor Aufregung gar nicht auffiel.

      Thorsten war da ganz anderer Meinung. Das neue Mädchen fand Thorsten eigentlich ganz nett, also jedenfalls sah sie so ähnlich aus wie Kirsten und die fand er ja eigentlich auch ganz nett. „Nur die Haarfarbe ist anders,“ hatte er sich im Stillen eingestanden. Auf jeden Fall aber kannte sie hier niemand und das konnte für den Auftrag, der zu erledigen war, nur gut sein. Deshalb war er auf die Idee gekommen, ausgerechnet die Fremde mit der Aufgabe zu beauftragen. Obwohl er dieser Ansicht war, traute er sich nicht so recht, Hendrik seine Meinung zu direkt ins Gesicht zu sagen. Hendrik war stärker als er. Er war nicht unbedingt schlauer, aber er war stärker. Gewiss nicht so stark wie Alfred, aber doch stärker eben als Thorsten. Er neigte zwar nicht dazu, seine körperliche Überlegenheit bei jeder sich bietenden Gelegenheit auszuspielen, aber wenn doch, dann zog Thorsten erfahrungsgemäß den Kürzeren.