Alexander Siewers

Neander-Tales


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zunehmend trauriger zu werden, je länger er erzählt. „Hängst du da so solo rum auf deinem silbernen Einsamkeitsklo. Wat is dat für’n Leben? Dat is doch wirklich unmenschlich! Nee, die haben uns unsere alte „Ulm“ weggenommen.“ Das Dicke Fränzchen: „Mensch Hotte, an dir is’ ja ’ne Rosamunde Pilcher verloren gegangen, alles so schön bunt hier.“ Und mit zynischem Unterton „So rosarot war es in dem abgestunkenen Muffbunker, besonders wenn du mit deiner verfurzten und verschissenen Zweizentner Traumbesetzung und den süßen Klo-Ratten die Suite teilen musstest. Oder wenn dein Lieblingsschließer so’ne Arschtrommel war – mit Einmalshampoo-Tütchen im Täschchen. Na ihr wisst schon, von wegen Schließmuskelschließer und so ... Du hast wohl zu viel Graupensuppe mit Schuss intus, Hottekind, oder was hat dir die Gehirnwindungen verklebt?“

      Zementpaule „Wirklich Hotte, du hättest Autoverkäufer werden sollen, ’ne Rostlaube wäre bei dir als Superschlitten verscherbelt worden.“ Hotte lässt sich nicht beirren „Jungs, in den ersten vier Wochen vom neuen Knast haben sich schon zwei Kollegen gehimmelt. Mensch, die waren richtig einsam. Die sind in dem neuen Bunker nicht klar gekommen.“ Zementpaule „Mensch Hotte, wie lange warst du nicht mehr im Bau? Total andere Zeiten! Die Gangs knallen brutal das Kommando, die Russen, die Türken und was es sonst noch alles gibt. Harte Tage – dagegen waren unsere Ulmer Sitzungen in den Sechzigern gepuderte Popojahre.“ Hotte „Ich sag euch, das sind lonely boys, richtig lonely boys in dem neuen Bau.“

      Das Dicke Fränzchen versucht den Kopf zu schütteln, versetzt aber nur den Fetthals ein wenig in Schwingung. „Mensch Hotte, dreh mal das rosarote Lämpchen aus.“

      Pulles Män schaltet sich als Knast- und Familienhistoriker ein. „Jungs, in der „Ulm“ haben doch schon unsere Urväter gehockt. Allein mein Oppes, der Reiders Hein zweimal in den Zwanzigern. Einmal hat er wegen Meineid gesessen – na sture Richterdenke eben, was willst du machen? Aber das war ’ne Sache mit Freundesehre, dat is zu hoch für Richter. Opa Hein hat mir das haarklein erzählt, ganz oft, samstags vor der Erbsensuppe. Bestimmt zehn Mal?… Der Hein war rheinischer Separatist – die wollten ihr eigenes Süppchen irgendwie mit den Franzmännern zusammen, die waren doch hier Besatzer – na so nach dem 1. Weltkrieg – keine Ahnung – der hat mir immer wieder vom Putsch der Separatisten erzählt – und allerhand harte Bandagen vom Düsseldorfer Blutsonntag in den Zwanzigern – Blutwurst eben und Hackfleisch. Und sein bester Freund ist zu den SA Männern übergelaufen. Da war irgendso’n Dreh an diesem Schlachtsonntag. Jedenfalls wollte Hein seinen alten Kumpel nicht in die Pfanne hauen, auch wenn der jetzt politischer Feind war – ist er lieber in die „Ulm“ eingefahren. So gehört sich das! Und nach dem zweiten Krieg haben sie ihm noch mal in die Suppe gespuckt und in die „Ulm“ geschickt – jetzt waren’s die Tommys – von wegen Schwarzbrennerei und sonst was. Er war ja alt, aber der einzige Mann in der Familie. Da hast du doch Verantwortung, dat du die hungrigen Schnäbel satt kriegst. Paps in Sibirien, der taut nur jeden Sommer auf, vielleicht, keine Ahnung Und Pat Ohm Erwins Knochen bleichen in Afrika, im heißen Wüstensand der Ehre.

      Ist der Vater von unserem Glatzenkönig Weyrauch nicht auch in der „Ulm“ verreckt? Der war doch SA-Bonze. War wohl ein echt wüster Hund. Der soll doch eigenhändig in der Lohburg im Neanderthal Kommunisten totgeprügelt haben. Der ist doch zu lebenslanger Zuchthausstrafe verurteilt worden. Der Glatzenkönig spricht ja da nicht drüber.“

      Dickes Fränzchen „Mensch Kinder, ihr wisst doch, der alte Weyrauch und die anderen harten Nazibeulen aus unserer Ecke, hier in der Britischen Zone die waren doch gar nicht in der „Ulm“, die waren doch alle in Werl, da in der Pampa hinterm Ruhrpott: Was soll’s, die alten Bunkergeschichten, tausend Jahre her – aber meinen Hitlerjugenddolch, den hab ich noch – gut versteckt.“ Alle trinken wie auf Befehl in behutsamen Bewegungen aus ihren Cognacschwenkern und schweigen.

      „Der Besenbinder soll doch tot unter ’nem Baum gelegen haben, mit ’nem Täubchen und ’ner Flinte – nur 50 Meter von seiner Grabstelle entfernt, “ unterbricht Karate Hotte die Weinbrandstille. „War das jetzt ein schöner Tod? Oder?“ Hotte scheint verunsichert. „Aber sonst hätten wir doch was läuten gehört … wenn irgendwas … oder so …“ Niemand antwortet. Die Männer starren in die Cognac-schwenker. Es ist so still, dass die Straßengeräusche sich ungehindert im Kellerraum ausbreiten können. Karate Hotte erhebt, jetzt vor Verunsicherung lispelnd, wieder die Stimme. Er erträgt das gemeinsame Schweigen nicht länger. „Eh, Zementpaule, hast du noch deinen marokkanischen Zauberlehrling, der dir immer mit seinem dicken Knüppel den Zement anrührt?“ Das kratzige Gelächter der Männer zeigt die Erleichterung über den geglückten Themenwechsel. Zementpaule mürrisch: „Die diebische Elster hat so’ne Botoxkuh mit Scheunentor im Untergeschoss geheiratet. So’ne schief gestraffte und gespritzte, dass es für die Geisterbahn reicht. Hast du im Fernsehen so’ne Herzogin von Alba gesehen? So eine. Als Strafe hat er jetzt die Schwindsucht am Hals, sitzt in ’nem Sanatorium hinter den sieben Bergen. Ich besuch’ den nicht!

      Einmal hat mir das Drecksvieh doch die Krätze angeschleppt. Ich hab dem noch die Salbe gekauft. Ich hätte ihn schon damals aus der Wohnung schmeißen sollen. Wer weiß, wo und wie er sich das eingefangen hat?“ Das Dicke Fränzchen unkt: „Wer macht dir denn jetzt deinen Zement hart?“ Das Gelächter rasselt durch den Kellerraum. Bevor das Thema zu einseitig wird, erklärt Pulles Män feierlich: „Ihr könnt sagen, was ihr wollt – es geht nix über Weiber – und natürlich Schotter für zwei bis drei geile Rolex, ’ne Superflunder und affenstarke Pelzfummel. Ich wollt damals ’ne Nerzfarm übernehmen. War ja nix.“ „Eh, Zementpaule“, wirft das Dicke Fränzchen wieder ein, „ich hab gestern auch deinen Vermieter, den Weyrauch, im Aldi gesehen. Sag mal, geht der mit diesem dämlichen Tirolerhut auch ins Bett? Ich hab den seit 20 Jahren nicht ohne gesehen. Kein Wunder, dass ihm damals die Alte durchgebrannt ist. Der hat doch sicher schon Mottennester unter seinem Hütchen – und so was war mal Friseur!“ „Coiffeur“ – zischelt das Dicke Fränzchen, schüttelt als mühsames Zeichen seiner Missachtung das Fettgewebe von Brust, Schultern und Hals.

      Pulles Män: „Was ist denn aus dem Patent geworden, dem Haarwuchsmittel, mit dem er reich werden wollte? War wohl ein Schuss in den Ofen. Wer weiß, was der da zusammengebraut hat? Der Weyrauch hat sicher ’ne Hexe auf der Ahnenliste, oder wie kommt der auf so spinnerte Ideen? Und die Scheiß Hühnerfarm im tiefsten Westerwald, die er sich hat andrehen lassen – alles Eternit, Eternit und nochmals Eternit.“

      „Toller Geschäftsmann“, ergänzt das Dicke Fränzchen, „und wie hat der Weyrauch gestrunzt: ein Schnäppchen, ganz billig, d i e Chance, Scheißchance?.“ Zementpaule angesäuert: „Mensch, der olle Puff-Friseur soll hier mal das Dach neu machen lassen. An seinen ollen Kopp lässt er keinen Regen ran – und hier ist alles undicht.“ Er reibt Daumen und Zeigefinger. „Die Penunzen fehlen, die Penunzen.“ Zementpaule gönnt sich einen letzten Schluck aus dem Cognacschwenker und füllt sofort wieder nach. „Ich schließ die Türe doch jetzt zweimal ab. Von wegen Mordhaus und so. Es soll ja kein Selbstmord gewesen sein. Ne Zeit lang hat doch so’n Kumpel vom Dobermann hier im Keller gehockt und Computer repariert. Der Wesendonk – ich kenn den Schleicher. Der hat schon einen Ruf. Und vor dem Dobermann hat da doch so’n Typ in der Wohnung seine ukrainische Freundin anschaffen lassen. Vielleicht hat das ja auch noch damit zu tun. Vielleicht war’s ja nur ein Versehen, die falsche Person.“

      Pulles Män schüttelt den Kopf und tippt sich an die Stirn: „Mensch Paule, du hast doch erzählt, dass der Typ mit der ukrainischen Freundin vor einem Jahr ausgezogen ist. So doof ist doch keine Mafia. Was strickst du dir da in deinem Gehirn zusammen? Das glaubst du doch selbst nicht. Ich glaube, du hast Muffensausen. Du brauchst dringend einen neuen Zementrührer, der auf dich aufpasst.“ Das heisere Lachen der alten Männer verebbt im Zigarettenqualm.

      3. Kapitel

      Marita Dobermann versucht sich auf „Wer wird Millionär“ zu konzentrieren. Sie ist alleine in ihrer Wohnung. Ihr jetziger Lebenspartner kommt erst in acht Wochen – und dann nur für 20 Tage – nach Deutschland. Er arbeitet für ein Brückenkonsortium in Vietnam. Auch zur Beerdigung von Rolf Dobermann konnte er nicht anreisen und seine Lebensgefährtin trösten. Ihr Ehemann war vor zehn Jahren an plötzlichem