Hubertus Mynarek

Jenseits der Todesschwelle


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jenseits allen Begreifens. Ich wusste, dieses Licht war ein Wesen …“ Aber leider belässt es die Zeugin dieses überirdischen Lichts nicht dabei, sie muss es in ihren Begriffsschatz einordnen. Deshalb fährt sie fort: „... und ich wusste, dass dieses Lichtwesen Gott war und kein Geschlecht hatte.“95

      Wichtig aber ist doch nur jenseits aller Benennungen, dass durch die Erfahrung, durch das Erleben eines unvergleichlich strahlenden und zugleich wärmenden Lichts der Eindruck einer absoluten Liebe und Weisheit vermittelt wird, mit der man verschmelzen möchte.

      Es empfiehlt sich, diese grandiose Liebe und Weisheit nicht »Gott« zu nennen, weil dieser Name mit allzu vielen, nicht nur positiven Assoziationen belastet ist, zudem von verschiedenen Religionen und Kirchen mit unterschiedlichen Inhalten gefüllt und oft monopolistisch abgrenzend und abstoßend verwendet und missbraucht wird. Selbst die aus derselben Wurzel stammenden drei großen monotheistischen Religionen – Judentum, Christentum, Islam – stimmen ja im Bedeutungsgehalt ihres »Jahwe« bzw. »Allah« bzw. »christlichen Vatergottes« nicht in allem überein, haben auch die negativen und grausamen Aspekte ihrer jeweiligen Gottheit nicht völlig ausmerzen können.

      Daher ist es im Rahmen der jetzigen Thematik zweifellos angemessener, statt mit dem Gottesbegriff lieber und genauer mit dem Seinsbegriff zu operieren. Schon eine nüchtern philosophische Betrachtung der Dinge durch unsere Vernunft zeigt uns ja: Wir alle – Menschen, Tiere, Pflanzen, Bäume, Steine usw. – sind Seiende, die am Sein, dem geheimnisvollen, wirklichsten und doch nur in den Seienden in Erscheinung tretenden Urquell und Urzentrum allen Lebens, allen Vorhandenseins teilhaben. Jedes Seiende hat teil am Wunder des Wirklichseins. Alles, was existiert, partizipiert am Wunder des Seins. Jedes Naturding, jedes Seiende hält sich im Sein, in der Wirklichkeit durch seine Kraft, die zugleich – tiefer gesehen – die hervorbringende Kraft des Seins selbst ist, die sich in jedem Seienden vereinzelt, ausdrückt, ausprägt. Sichtbar ist, wie gesagt, immer nur das Seiende, das Hervorgebrachte, aber es ist durch tausend Fäden mit dem geheimnisvoll-unsichtbaren Sein verbunden, es existiert nur durch die hervorbringende Kraft dieses Seins. Die Seinswertigkeit und Seinsmächtigkeit jedes einzelnen Seienden ist ein Teil der unendlichen Macht und Wertigkeit des Seinsgrundes als des hervorbringenden Prinzips.

      Ganz genau stimmt mit dieser philosophischen Analyse überein, was uns Menschen mit Nahtod-Erfahrung und Verstorbene durch ihre Medien schildern: Sie spüren die Anwesenheit, die Nähe einer Wirklichkeit von unendlicher Macht, Energie, Kraft, die zugleich grenzenlose Liebe ausströmt. Von „der unendlich guten Macht, die alles in Liebe lenkt und leitet“, spricht der hier schon mehrfach zu Wort gekommene Psychiater Dr. Nowotny aus dem Jenseits, von einer überwältigenden Übermächtigkeit dieses Seins, das er mit den Worten „unendliche Allmacht“, „göttliche Allmacht“ umschreibt. Aber er sieht sie nicht »von Angesicht zu Angesicht«, gibt zu: „Wir hier wissen auch nicht, wie Gott aussieht“, weil es vom Sein, das in allem Seienden lebt und wirkt, gar kein Bild, gar keine Erscheinung geben kann. Nowotny täuscht sich, weil er vom Gottesbegriff ausgeht und daher glaubt, er werde einmal Gott zu sehen bekommen: „Wir haben noch nicht die Höhe erreicht und können noch nicht so hoch sehen, dass wir erkennen könnten, wo Gott wohnt und wie wir ihn uns vorstellen sollen“.96 Nowotny wird sich auch in alle Ewigkeit damit begnügen müssen, im Licht und in der Urkraft des Seins zu existieren, seiner Anwesenheit und intimsten Nähe sicher und gewiss zu sein, ohne seiner ansichtig zu werden. Er sieht zwar das strahlende helle Lichtwesen wie andere Jenseitige auch, und es wird ihm zum Inbegriff absoluter Weisheit, Macht und Liebe, aber die anthromorphe kindliche Vorstellung, Gott von (menschlicher) Person zu (göttlicher) Person zu begegnen, wird er schlussendlich fallen lassen müssen. Das Lichtwesen ist nicht Gott, sondern ein hohes Geistwesen, ein erhabener Engel oder dergleichen.

      Viel näher kommt der Sache einer, der seine NTE folgendermaßen charakterisiert: „Diese Helligkeit war keine Person oder Raum. Es war die absolute Liebe, das, was man sich immer gewünscht hat, ein warmes Leuchten, wie ein liebevolles Warten auf mich … Alles in mir war nun darauf aus, in dieses Licht hineinzuschweben, sich darin aufzulösen … Dieses Hinstreben war so stark und so ein intensives Gefühl in mir, wie ich es in meinem Leben nie empfunden habe.“97

      Man muss das Ganze, um das es sich hier dreht, eher mit impersonalen, fast möchte ich sagen: pantheistischen Begriffen umschreiben. Es handelt sich um eine höchst intensive Liebesenergie, die in ein Seiendes einströmt, um ein hochenergetisches Bewusstseinsfeld, von dem der Sterbende oder der Jenseitige umfasst und durchdrungen wird, um das Eintauchen in eine All-Liebe, in der sich alle Dissonanzen auflösen, um einen Energieaustausch zwischen Sein und Seiendem, ja eine Verschmelzung der beiden und damit um die zur Gewissheit gewordene Erkenntnis, dass man immer schon Teil des Ewigen war und immer bleiben wird. Auch die großen Mystiker aller Zeiten und Zonen kamen ja zu solchen Verschmelzungs- und Einheitserfahrungen mit dem universalen Sein!

      Der bereits zitierte Dr. Yates, vor seinem Tod Methodistenprediger, bringt das Gemeinte durch sein Medium besonders treffend zum Ausdruck: „Ich wünschte, Ihr lerntet Gott recht begreifen, nicht als eine Person, wohl aber als das Leben im gesamten Weltall, und es würde Euch zur klaren Gewissheit, dass es ohne Gott kein Leben geben kann. Er ist das Göttliche in jedem Ding … Man soll in sich selber die Kraft Gottes entfalten … die Kraft der Liebe … Gott ist Alles in Allem. Jeder von uns ist ein Teil seines großen Werkes. Auch die Blumen … nicht minder als die Tiere … Wir stehen doch allenthalben mitten in Ihm drin“.98 (Hervorhebungen von mir).

      Zwar benutzt auch Dr. Yates noch das traditionelle Wort Gott, aber seine ganzen Ausführungen sind eine anschauliche Illustration und Demonstration des in jedem Seienden anwesenden, lebenden und wirkenden All-Seins. Dass es nicht um den Namen Gott geht, obwohl ihn die meisten Verstorbenen und den Nahtod Erfahrenden weiterhin aus Tradition und Gewohnheit gebrauchen, sondern um das »Universale Sein«, zeigen auch die weiteren Aussagen dieser Menschen. Der verstorbene Dr. Adams erklärt durch sein Medium: Die Prediger im Diesseits sollten „das wahre Evangelium“ verkündigen, „nicht das Erlösertum, sondern den Ewigen, der das Leben ist in jedem von uns“.99 Eine verstorbene Frau Lackmund: „Der Duft einer schönen Blume ist Gott“.100 Eine Eskimo-Frau: „Wir Eskimos glauben an den Großen Geist der Liebe, Weisheit und Allwissenheit und betrachten uns als Teile dieses Großen Geistes … Der Medizinmann kennt die Geheimnisse des Weltalls, der Liebe, Erkenntnis, Weisheit und Wahrheit. In dem großen Geiste leben wir … Wir lieben den Geist der Liebe, den Geist der Wahrheit, mit einem Wort Den Großen Geist … Für uns ist das nicht bloß ein Glauben, sondern ein sicheres Wissen. Wir kennen die Wahrheit und wissen, dass wir ein Teil jenes Göttlichen Geistes sind, welcher in uns ist … Einige Missionare, die zu uns kommen, behaupten, Christus sei für unsere Sünden gestorben. – Liebe Freunde, wir haben keine Sünden, für die Christus hätte sterben müssen, denn Gott ist Liebe und Kraft; Er ist Weisheit, Allwissenheit und Wahrheit. Wir alle sind ein Teil dieses wunderbaren Wesens. Und wenn wir ein Teil dieses wunderbaren Geistes sind, wie können wir dann voller Sünden sein? Wir können gar nicht von ihm abfallen, eben weil wir ein Teil von ihm sind. In Ihm leben wir und sind Teile von Ihm. Wir könnten Ihm ja auch gar nicht ausweichen, denn Er ist ja überall. Er ist das ganze All, die ganze Liebe, das Leben in jedem einzelnen Ding … Stellt euch ein großes Licht vor, ich meine eine Kerze, die auf einem Leuchter steht. Um sie herum stehen kleinere Kerzen, aber sie sind alle aus demselben Stoff wie die große. Ihr nehmt nun die kleinen Kerzen und steckt sie an der großen an. Dann habt ihr den Lebensfunken … Ihr alle hier seid Teilchen jenes All-Lichtes und habt Eure Flamme von diesem einen großen Lichte.“101

      Der in anderem Zusammenhang bereits zitierte Dr. Root: „Jeder Mensch ist ein Teil Gottes … Darum hat auch jeder menschliche Gedanke Schöpferkraft.“102

      Sehr interessant ist, was zwei große Heilige der katholischen Kirche aus dem Jenseits durch ein Medium kundtun.103 Es handelt sich um Hildegard von Bingen und um Theresia von Avila. Ich zitiere im Folgenden das von ihnen medial Durchgegebene, weil diese beiden Frauen bis zum heutigen Tag als Säulen ihrer Kirche gelten, während sie doch aus dem Jenseits ihre entschiedene Distanzierung von Kirche und kirchenamtlichem Gottesbegriff offenbaren. So beklagt sich Hildegard von Bingen (1098-1179) vor ihrem Medium: „Ich, Hildegard, war eine Seherin, musste aber, da