Hubertus Mynarek

Jenseits der Todesschwelle


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Weg“ gebracht. Dann spüren wir: „In uns … brennt noch dieses Feuer, der letzte Traum … in uns … leuchtet noch das absolute Licht … und der phantastische Zug zu ihm beginnt, zur externen Deutung des Wachtraums, zur kosmischen Handhabung des utopisch prinzipiellen Begriffs. Diesen zu finden, das Rechte zu finden, um dessentwillen es sich ziemt zu leben … dazu … bauen wir neu die metaphysisch konstitutiven Wege, rufen, was nicht ist, bauen ins Blaue hinein, wie die Welt es überall am Rand hat, bauen uns ins Blaue hinein und suchen dort das Wahre, Wirkliche, wo das bloß Tatsächliche verschwindet – incipit vita nova.“6

      Bloch führt einige Gründe an, die für die Unsterblichkeit des menschlichen Wesens sprechen. „Wir fühlen uns sowieso schon innerhalb unseres Leibes nur wohnen“, sagt er z.B., und „daher können ein Fuß, ein Arm wegfallen, ohne dass unser Ich auch nur das Mindeste an sich dabei verlöre.“ Auch unsere Sprache weist nach Bloch ironisch-verräterisch auf unser nicht umzubringendes Unsterblichkeitsbewusstsein hin: „So eben konnte ein Sterbender seltsam genug von sich sagen, wie dieses Leben freilich nichts gewesen sei, wie sehr er aber nun zu lachen habe, wenn es das andere gar nicht gäbe. Und ein französischer Edelmann erzählte von sich ebenso unbedacht und widersinnig tief: >Ich weiß mir zu genügen, doch ich werde auch ohne mich auszukommen verstehen<.“7

      Auch der Lebenswille eines Menschen, seine Schaffenskraft kann auf die Unsterblichkeit bestätigend hinweisen, bei manchen Selbstmördern z. B.: „auf den Tod als Entbindung, der Kraft sicher, ihn zu besiegen und hinter ihm gerade das Dauernde an sich selbst, das Ruhende zu erlangen.“8 „Der Tod ist dann also wie ein Flügelschlag, das Ei springt, und das Küken ~ schon ein großer flatternder Vogel – bricht aus dem zusammenbrechenden Ei, dem Corpus, aus und geht hoch, auch ein Goethisches Gefühl, mit dem Satz berührt, die Natur sei verpflichtet, mir eine Wirkungsstätte, eine höhere, eine breitere, eine freiere Wirkungsstätte anzuweisen.“ Man kann nach Bloch in dieser Hinsicht unser jetziges Leben als „Stufenkrankheit“ bezeichnen: „die engere Stufe, die niedere Stufe wird überwunden, eine neue gibt's und es hängt jetzt … alles an der Schaffenskraft in uns, die … sich … bewähren kann in einem Werk, einem politischen, einem religiösen, einem moralischen, einem philosophischen, einem wissenschaftlichen usw. die Schaffenskraft selbst sucht schließlich eine andere Wirkungsstätte und hat das Gefühl: in dem Tod zeigt sich ein Ausweg merkwürdiger Art. Die Selbstmörder, sagt Bloch (ich würde sagen: manche von ihnen) „haben auch den Verdacht, das Gefühl, der Tod sei keine Flucht und wir schlagen uns seitwärts in die Büsche, wir desertieren, nein, sondern: da bin ich noch mehr, da geht's mir besser, da bin ich echter, identischer als in diesem Scheißleben, das mich an allem hindert und Frustration schafft. Im Tod hört die Frustration auf.“9

      Bloch weiß natürlich, dass es auch das Phänomen der Lebenssattheit, des Überdrusses gibt, das sich nach dem Tod gar kein weiteres Leben wünscht. Aber er hält den Satz: „Und Abraham starb alt und lebenssatt“ für überholt und „gefährlich.“ Man könne alt und lebenssatt eigentlich nur „rein biologisch“ sterben. Wer vom Motiv der Lebenssattheit her denke, der übernehme „Vergangenes und uns nicht mehr Nachlebbares aus Zeiten ..., in denen auch das Individuum noch nicht ausgebildet war, sondern nur der Stamm, das Stammesleben … Für Lahmärsche ist dies natürlich eine gute Ausrede, da kommt etwas Weltflüchtiges, auch ohne Jenseits, herein.“ Bei den anderen gehe es jedoch „um eine Fortsetzung und eine Steigerung“ der Schaffenskraft, „weil es zu unserer Entelechie gehört, dass man in die Hand spuckt und was schafft.“10

      Also, es hängt diesbezüglich alles von der entscheidenden Frage ab, ob das Individuum, das Ich, das Selbst schon genügend entwickelt und zur Herrschaft gelangt ist. Das Alter vergisst ja „nicht nur, es sammelt. Zeigt auch oft, wirklich erwachsen, was an einem Menschen wirklich dran ist. Derart wird manchem sogar zumute, als könne ihn selbst das Sterben nicht von dem trennen, was er in sich findet“. Das Resultat sei ein Gefühl der Ruhe. „Diese Ruhe beweist noch nichts, macht aber das Selbst im Leibe, das durch Unfalle sich nicht niederschlagen lässt, das den Kopf oben behält, sogar fühlbar. Die Stoiker nannten dies merkwürdige Haltende, Hochhaltende in der Seele das Hegemonikon, zugleich als dasjenige, was am wenigsten verstörbar ist.“ Mit Glauben und Religion habe dies nichts zu tun. „Von religiösen Voraussetzungen ist dies Selbstgefühl völlig unabhängig“, auch „vom Auf und Ab des leiblichen Lebens. Tatsächlich ist dies Markhafte, wenn es im Menschen ausreichend vorhanden ist, jenes Energisch-Zentrale, das ohne alle Anleihen bei Glaubensformen den Satz formulieren oder unterschreiben lässt: Non omnis confundar. Nicht ganz werde ich aufgelöst werden.“11

      Bis in Gesundheit und Krankheit mache sich das bemerkbar. Dem »Hegemonikon« in uns „entspricht bereits die Kraft, Krankheiten zu bestehen, ja sie überhaupt nicht an eine ihnen fremde >Konstitution< herankommen zu lassen. Es ist eine alte ärztliche Erfahrung, dass Hypochonder den Eingriff schwer überstehen, den sie befürchtet haben: Paracelsus, das Hegemonikon der Stoiker magnetisierend, sprach dieser Art von einem stärkeren oder schwächeren Gesundheits- und Lebensgeist, von jenem >Archeus< im Menschen, der die Arznei unterstützt. Sofern er physisch wirkt, ist der Archeus, bei Paracelsus, der Alchimist des Leibes, der die Nahrungsstoffe in ihr Gutes und ihr Böses, in ihre Essenz und ihr Gift zerlegt; sofern er aber im Kopf wirkt, ist er der >Signator< der Konstitution, der Schwäche oder Stärke, eben der Gesundheit, die mehr ist und substantiell ein anderes ist als Abwesenheit von Krankheit.“12

      Das Hegemonieprinzip in uns „weist aber erst recht auf ein schwer Zerstörbares in der Menschennatur hin; wobei nicht zuletzt ein gehaltvoll verbrachtes Leben den Zusammenhalt des Menschen stärkt und bindet. Und um mythologisch Lebensgeist oder, auf höherer Stufe, Menschengeist genannt worden ist, diese wie Engels sagt, >feinste Blüte der organischen Materie<, kann im Alter desto gediegener, gleichsam desto geretteter erscheinen, je sichtbarer die rein organische Blüte nachlässt. Je mehr ein gehaltvoll vollbrachtes leben dem Alter seinen stufenweisen Herausschritt aus den Erscheinungen positiv ermöglicht, das ist, nicht als Verhärtung und Verödung, sondern als Kraft einer Dauer und zu Dauerndem hin. >Jede Entelechie<, so … Goethe …, >ist nämlich ein Stück Ewigkeit. Und die paar Jahre, die sie mit dem irdischen Körper verbunden ist, machen sie nicht alt<.“ 13

      Eine Eigenschaft des zur Herrschaft in uns gelangten Selbst ist „das Vermögen der Freiheit, auch im Sterben den Kopf hochzuhalten … selbst in den äußersten Unfall, den Tod, nicht ganz einzutauchen und schon bereits nicht in das Sterben, das über die Hälfte noch zum Leben gehört.“ Das „subjektive Gefühl“ des Nichtvergehenkönnens „wird am Freiheits-Inhalt solcher Selbstbegegnung ein substantielles, d.h. eines, das in den Kern eindringt. Dadurch hört es schließlich auf, ein bloßes Gefühl zu sein, es wird zum Akt einer Betroffenheit, worin sich des Menschen bester Teil präsent macht. Und dieser beste Teil beginnt schließlich aufzuhören, bloß Mark oder Substanz einer individuellen Person zu sein. Er umgreift – sehr weit vorgeschoben, eschatologisch – das Existenzhafte schlechthin, das Problem eines werthaften Dauerkerns in und nach den überall noch hinfälligen Erscheinungen der Welt.“14

      Der Tod ist allerdings nach Bloch auch die eigentliche und härteste Bewährungsprobe für die Unzerstörbarkeit und Freiheit unseres Persönlichkeítskerns. „... gerade der Tod fordert die metapsychisch-metaphysische Bewährung der Seele in Welt und den Schrecken der Überwelt heraus … dergestalt, dass der Tod die an ihm geschehende Herausforderung der Metapsychik, zugleich auch die volle Sphärenbreite des Metapsychischen erzwingt … der Tod leistet … sofern sein feindlicher Stachel, der Schlag des Untergangs die allerzentralste Anwendung und Wiedergeburt der Inwendigkeit involviert, – der Tod leistet derart den erlangten Wanderjahre-Test unserer selbst. Er prüft die erlangte Höhe an uns, die Kostbarkeit der inneren Metapsychik, er untersucht ihre Kraft, ihren Nutzen, ihren Bestand, ihre Tauglichkeit in der Mobilmachung und der furchtbarsten Realität; er bringt subjektfremden Faktor herein und sollizitiert derart unmittelbar aus der subjektiv idealen Sphäre, aus dem freischwebenden Reich idealer Selbstdefinitionen zum >Kosmischen< der Gefahr, der Streuung und schließlich doch sich bewährenden Sammlung des Selbst aus dem Getriebe dieser Todeswelt – kurz, der Tod erzwingt die Geburt der Metempsychose aus der Kraft der Metapsychik.“