wusste ich die Namen? Woher…
Gefühle überkamen mich. Warme Gefühle. Ich kannte sie. Marion, Carl und Steffi. Meine Frau und unsere beiden Kinder. Ich kannte sie, ich kannte sie!
Ich atmete schneller, nicht aus Angst, sondern vor Freude! Ein Gefühl des Glücks hatte Besitz von mir ergriffen. Ich spürte, wie mir innerlich warm wurde, ich spürte, wie sich auf meinen Lippen ein Lächeln bildete. Ja, das war meine Familie!
„Geht es Ihnen gut?“ fragte Phil besorgt.
Ich nickte. Besser war es mir lange nicht gegangen. Ich fühlte mich glücklich, erfüllt. Die Leere war verschwunden. Die Gedanken, wer ich war, warum ich hier lag, wofür das alles – alles weg! Ich hatte wieder einen Grund zur Freude, einen Grund zum Leben!
„Das“, brachte ich mühsam hervor, „Familie!“
„Ja“, nickte Phil und lächelte. „wusst ich doch, dass Sie das freuen würde!“
Dann ließ er mich mit meiner Familie alleine. Ich betrachtete das Bild, verschwand förmlich darin. Gefühle übermannten mich. Ich wusste nicht viel über sie, nur ihre Namen – und dass ich sie liebte. Es war wunderbar, sie zu sehen, endlich wieder etwas zu fühlen, endlich wieder das Gefühl zu haben, zu irgendetwas dazu zu gehören. Dass es da draußen etwas gab, jemanden gab, der auf mich wartete – und zu dem ich zurückkehren wollte.
Die Leere war verschwunden.
Die Angst war verschwunden.
Die Unsicherheit war verschwunden.
Ich lächelte. Meine Familie. Meine Liebe. Mein Ziel.
Phil, der Pfleger, hatte recht gehabt. Meine Laune besserte sich, mein Lebenswille war wieder da. Aus dem Fünkchen war nun ein loderndes Feuer geworden. Jetzt hatte ich einen Grund, mich anzustrengen, jetzt wollte ich gesund werden, nicht für mich, sondern für sie, um sie endlich wieder zu sehen. Ich strahlte, vor Freude. Es war das schönste Erlebnis seit langem. Glücklich schlief ich ein.
Mel Agis, mein Freund, ließ mir Nachrichten bringen. Er selbst, sagten die Nachrichten, hatte gerade zuviel zu tun, wichtige Dinge, ich würde das verstehen, wenn ich wieder auf der Höhe wäre, aber er wünsche mir gute Besserung, mir, dem Helden.
Ich machte gute Fortschritte. Phils kleines Geschenk hatte mir neue Hoffnung gegeben und neue Motivation. Die Übungen, die dazu führen sollten, dass ich meine Arme und Beine, dass ich mich wieder bewegen konnte, ging ich mit mehr Elan an als zuvor. Selbst das Sprechen klappte schon ganz passabel. Und immer, wenn es zu schwierig wurde, wenn das Bein zu schwer zum Heben war, die Finger zu weit entfernt, das Wort zu schwierig, dann sah ich zum Bild meiner Familie – und versuchte es wieder und wieder, bis ich es schaffte.
Ich hatte eine Familie, ein Ziel, Erfolg – da war nur eine Sache. Meine Erinnerungen an mich waren noch immer verborgen. Was Marion und Carl und Steffi anging, so kam immer mehr zurück. Spaziergänge, Spielen, ins Bett bringen, ein Lächeln – Bilder, die mit Gefühlen verknüpft waren. Ich konnte sie spüren, wusste, wer sie waren, ohne, dass ich dafür eine intellektuelle Ebene benötigte. Sie waren eine Einheit von Bildern und Emotionen.
Aber ich? Wo war ich? Zu mir gab es keine Bilder, keine Gefühle, keinen auslösenden Reiz, der eine Rückkehr der Erinnerungen in Gang setzen könnte. Selbst in Verbindung mit den Kindern oder mit meiner Frau, ich fühlte sie, aber nicht mich. Fast so, als wäre ich nur ein Beobachter in der Geschichte von jemand anderem.
Doch ich sollte nicht zu stark daran denken, denn das würde nur wieder zu Frustrationen führen. Ich sollte mich über das freuen, was ich hatte. Vielleicht würde das ja zu mehr führen. Vielleicht… wenn ich sie wieder sehen, in den Armen halten, spüren würde, vielleicht würde dann auch die Erinnerung an mich selbst wiederkehren. Aber… vielleicht war das auch gar nicht nötig. Vielleicht würde es mir völlig reichen, sie in meinen Armen zu halten und mit ihnen zusammen zu sein, vielleicht konnte ich dann darauf verzichten, wer ich früher einmal gewesen war, nur, weil sie für mich da waren und ich für sie. Das war eine beruhigende Vorstellung. Nicht darauf angewiesen zu sein, dass wirklich alles zurückkehrte. Nur mit ihnen zusammen zu sein. Das wäre schön.
„Kann ich sie sehen?“ fragte ich.
Der Arzt, Dr. Fronz, schüttelte den Kopf.
„Aber…“
„Sie sind noch nicht so weit“, sagte er. „Sie… wissen noch nicht einmal…“
Wer ich bin?
„…wie Sie aussehen!“
Das… wusste ich nicht. Ich hatte gedacht… Ich hatte angenommen… Ich hatte mir keine Gedanken darüber gemacht. Ich lag in einem Bett, ich konnte mich nicht bewegen, ich hatte mein Gedächtnis verloren. Der Gedanke, was für einen Anblick ich vielleicht bieten würde, war mir nie gekommen.
Was für einen Anblick mochte ich bieten? Auch wenn mein Körper sich am Anfang völlig zerschlagen angefühlt hatte, so schien er doch auf dem Weg der Besserung zu sein. Ich würde laufen können, sagte man mir, schon bald. Also wenn es nicht an meinem Körper lag…
Vielleicht war es mein Gesicht? Vielleicht war ich grauenvoll entstellt? So entstellt, dass mich niemand außerhalb dieses Zimmers sehen sollte? Würde ich meiner Familie einen Schrecken einjagen, wenn sie mich so sahen? Würden sie angsterfüllt davonlaufen? Würden sie vor Mitleid schluchzen? Vielleicht würden sie mich gar nicht wieder erkennen. So wie ich mich nicht wieder erkennen konnte.
„Sie sind auf dem Weg der Besserung“, sagte Dr. Fronz. „Denken Sie immer nur daran.“
Ich versuchte es. Ich hatte es versucht. Nein, ich hatte nicht daran gedacht – ich hatte an sie gedacht. An die Menschen, die ich liebte. Der Gedanke an sie hatte mich mit Glück und Hoffnung erfüllt, doch jetzt… hatte sich etwas dazwischen geschoben. Ein Kloß war in meinem Hals aufgetaucht, eine unbestimmte Trauer erfüllte mich. Dass es einen Grund gab, warum sie mich nicht sehen sollten… das erfüllte mich mit Angst. Was war so schlimm?
Ich versuchte, durchzuatmen. Um das schlechte Gefühl zu beseitigen. Es gelang mir nicht.
Dr. Fronz bemerkte meine Veränderung. Er deutete auf das Bild.
„Wissen Sie, wie viel Fortschritte Sie gemacht haben, seit das hier steht?“ Ich wusste es. „Es ist wichtig, dass Sie weitermachen. Für Ihre Familie. Hab ich recht?“ Er sah mich an.
„Ja“, hauchte ich.
„Gut. Dann geben Sie Ihre Hoffnung nicht auf. Tun Sie es für Ihre Familie!“
Ich sah das Bild an. Begrub das schlechte Gefühl. Ich tat es für sie. Sie waren der Grund, warum ich noch lebte, sie waren der Grund, warum ich wieder sprechen konnte, sie würden der Grund sein, warum ich wieder laufen konnte. Und stehen. Und fühlen. Sie fühlen. In meinen Armen. Sie waren der Grund, warum ich nicht aufgab!
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