Widmar Puhl

Bautz!


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      Zuckerbrot und Peitsche: Überfluss hier, Leid und Tod dort. Die Geschichte vom reichen Prasser und dem armen Lazarus aus dem Neuen Testament fällt mir ein, der die Krümel vom Tisch des Reichen erbat. Die Demütigung, das Leiden ums tägliche Brot. Welche Hungerhilfe füttert die Armee, die Bauern von ihren Äckern vertreibt? Hunger als Waffe, auch das ist so alt wie die Geschichte des Brotes. Hunger tut weh.

      Mich schmerzen heute noch Bilder wie das Butterbrot im Papierkorb oder das verdorbene Saatgut im Straßengraben. Und trotzdem vergesse ich oft das Kleingeld für die „Aktion Restpfennig“, wenn ich eilig beim Bäcker bezahle. Dabei wäre echte Solidarität doch wohl etwas anderes als das Bekämpfen der Vergesslichkeit bei Pfennigbeträgen.

      „Unser tägliches Brot gib uns heute“: Was bedeutet mir als Christ dieser Satz aus dem Vaterunser? Was bedeutet Brot überhaupt für mich? Ich hatte auch schon Angst ums tägliche Brot; aber wir haben diesen Begriff doch sehr ausgedehnt. Inzwischen gehört das Dach überm Kopf selbstverständlich dazu, vielleicht auch das Auto, der Fernseher und der Urlaub. Es fehlt oft nicht viel, und wir machen eine Blasphemie daraus, eine Gotteslästerung. Aus dem berechtigten Kampf ums tägliche Brot, den der Bauer vielleicht einmal gegen Dürre, Flut und Hagel führt, wird der erbitterte Konkurrenzkampf des modernen Höhlenmenschen in einer Wohlstands- und Ellenbogengesellschaft. Wie stehe ich dazu?

      Die Dritte Welt und deren Probleme sind weniger weit weg als der Denkverzicht einer globalisierten Supermarktgesellschaft nahe legt. Durch welche Art von Geschäftemacherei entsteht anderswo Hunger? Wie unmoralisch ist die Existenz von Butter- oder Schweinebergen? Wer verdient wie viel an Lebensmittelexporten, die den Bauern irgendwo in Afrika oder Lateinamerika Konkurrenz machen? Wem nehme ich das Brot weg, wenn ich ein „Schnäppchen“ mache? Wer zahlt für mein Billigangebot? Jede Arbeit ist ihren Lohn wert. Darf ich da aus Billiglohnländern und Billigladenketten kaufen? Welches Brot ist blutig, weil jemand auch in meinem angeblichen Interesse Geld mit Waffen macht? Auch solche Fragen stellt mir das Brot aus dem Backhaus von Benningen.

       Wasser

      Wasser hat weder Geschmack noch Farbe oder Aroma. Es ist schwer zu beschreiben, denn es schmeckt, ohne nach etwas zu schmecken. „Es ist nicht so, dass man dich zum Leben braucht“, schrieb Antoine de Saint-Exupéry in seinem Buch „Wind, Sand und Sterne“ in einem hinreißenden Lob an das Wasser: „Du selber bis das Leben.“ Viele Dichter haben den Stoff mit der chemischen Formel H2O besungen. Gottfried Keller bezieht sich auf das älteste Buch des Alten Testaments, wenn er feststellt: „Der Geist schwebt eben nicht über einem Glas Wasser, er schwebt über den Wassern.“ Womit er die unbegrenzte, ungegliederte und allgemeine Fülle sämtlicher Wassermassen meint.

      Beide Dichter beziehen sich aber auch auf etwas anderes: die Nähe, in der die Begriffe Wasser, Leben und Geist zueinander stehen. Sicher nicht zufällig ist die Tradition christlicher Symbolik voll davon. Das Wasser spielt bei vielen Religionen eine bedeutende Rolle. Hindus etwa oder Muslime kennen wie Juden die geistige Bedeutung des Bades, der Waschung, der Reinigung. Für die Christen geht es in der Taufe sogar um die „Wiedergeburt aus Wasser und Geist“. Etwas davon, vielleicht ohne sich dessen bewusst zu sein, wissen auch jene Katholiken, die ab und zu ihre Finger in Weihwasser tauchen und sich damit das Zeichen des Kreuzes auf die Stirn machen.

      Das Sakrament der Taufe haben alle christlichen Bekenntnisse nicht nur gemeinsam, sie erkennen es auch untereinander an. Es verbindet Orthodoxe wie Katholiken, Lutheraner wie Baptisten. Was bedeutet das? Was denke ich mir eigentlich, wenn ich mir die Zähne putze oder Wasser aus meinem Hahn in der Küche rinnt?

      Man muss ja nicht immer gleich Weihwasser pinkeln, wie mir ein sehr christlicher Erzieher einmal sagte; gemeint hat er das unnötige, übertriebene und frömmelnde Herauskehren der „tiefgeistigen Zusammenhänge“ bei jeder Gelegenheit. Aber ich denke meistens gar nicht über Wasser nach. Und das ist auch wieder falsch.

      Wie falsch, das wurde mir in einem Urlaub klar. Wir waren auf den Kanaren, wo es sehr selten regnet. Als der Himmel zwei Tage vor unserer Abreise plötzlich doch seine Schleusen öffnete, sagte ein Hausbesitzer: „Es regnet Peseten.“ Er meinte seine Zisterne. Ohne Regen hätte er für viel Geld einen Tankwagen kommen lassen müssen, um sie aufzufüllen. Dort gießen sie schon lange mit dem Regenwasser die Blumen im Garten, hier lernen wir das gerade erst. Viele Stadtwerke kaufen zur Zeit für gutes Geld Wasserwerke zurück, die sie vor Jahr und Tag an private Investoren verkauft oder verpachtet hatten, weil sie im Wahn einer rein ökonomischen Globalisierung glaubten, auf diese Weise sparen zu können. Es wurde ein teures Lehrstück darüber, dass alles, was dem Gemeinwohl dient, nicht auf den Markt gehört.

      Wenn wir wieder einmal einen scheußlich verregneten Sommer erleben, warum sind wir so vergesslich? Auch in Deutschland mussten schon ganze Dörfer wochenlang von Tankwagen mit Wasser versorgt werden, weil es heiß und trocken war. Die Gletscher schmelzen, immer öfter sind Talsperren leer, der Grundwasserspiegel sinkt, noch immer sind viele Flüsse verdreckt. Ich finde, wir brauchen längst keine Fernsehbilder mehr vom Vorrücken der Sahel-Zone, um den Klimawandel ernst zu nehmen. Ein Besuch in einem großen Wasserwerk tut´s auch. Wasser ist kostbar, und zwar überall. Gut, aber ich verklappe ja keine Dünnsäure in der Nordsee. Ich weiß ja, dass die stirbt, aber was kann ich schon dagegen machen? Eine berechtigte Frage. Doch wenn ich mich zu schnell von jeder Mitschuld freispreche, könnte ich so unehrlich sein wie der selbstzufriedene Pharisäer, der erklärt, er habe schließlich keine Oma umgebracht. Wenn der Rhein plötzlich rot ist und die Fische sterben, bekommen wir einen Riesenschreck. Aber die meisten Ferkeleien sind nicht rot und nicht groß und sogar geruchlos wie die Legionellen aus Kühltürmen vieler Kraftwerke – und trotzdem Ferkeleien.

      1380 Millionen Kubikkilometer Wasser gibt es auf der Welt. Aber nur knapp ein Prozent davon steht als frisches, nutzbares Süßwasser wirklich zur Verfügung. Der Kreislauf des Wassers ist empfindlich, und wir haben ihn schon stark gestört. Es ist sinnlos, „Haltet den Dieb!“ zu rufen und die eigene kleine Gedankenlosigkeit weiter zu treiben wie bisher. Umdenken ist zwecklos, wenn es nicht alle tun. Ich achte jedenfalls darauf, dass wir so wenig Chemie wie möglich in Putz- und Waschmitteln verwenden. Schon das Sprichwort sagt: „Aus einer bitteren Quelle fließt kein süßes Wasser.“ Wenn das alle beherzigen, schwebt der Geist vielleicht doch über jedem einzelnen Glas Wasser.

       Luft

      „O blaue Luft nach trüben Tagen“: Diesen Ur-Genuss, den der Dichter Ludwig Uhland beschrieb, kennen wir alle. Als Mitteleuropäer muss man heutzutage aber in die Berge oder ans Meer, sonst ist es so eine Sache mit dem Genuss. Wer Kinder mit Asthma oder Pseudokrupp hat, kann ein Lied davon singen, falls ihm nicht die Luft wegbleibt.

      Zwei Sprichwörter zum Thema haben mich nachdenklich gemacht: „Die Luft kann einem niemand verbieten“, und „Von Luft und Liebe kann man nicht leben“. Beide stimmen so, wie Sprichwörter halt auch nach Jahrhunderten noch stimmen; beide haben aber inzwischen auch eine zweite, eine neue Bedeutung. Mir kann zwar niemand die Luft verbieten, aber es kann unmöglich sein, reine, gesunde Luft zu atmen. Den Arbeitsplatz kann sich kaum jemand aussuchen, und die Wohnlage ohne Smogt oder Feinstaub ist ebenfalls eine Frage des Geldbeutels. Da gibt es viel Ungerechtigkeit. Ich finde es schlimm, wenn die Luft im Normalfall schon so verdreckt ist, dass die Leute nur noch auf Krankenschein in Luftkurorte kommen. Zwar kann man von Luft und Liebe nicht leben. Aber dass die Menschen deshalb ohne Luft und Liebe leben könnten, will doch niemand behaupten.

      Es sind Kleinigkeiten, an denen ich merke, was Luft für mich bedeutet. Seit wir umgezogen sind, kann ich ab und zu einfach eine Tür öffnen und stehe im Garten: Luft! Ein Garten ist etwas Herrliches, das mir vorher viele Jahre lang gefehlt hat. Dass einer „nach Luft ringt“ oder es ihm „den Atem verschlägt“, dass ein Mensch seelisch an den Verhältnissen „erstickt“, in denen er lebt, das kennen wir. Aber manchmal nehme ich solche Ausdrücke auch ganz wörtlich. Kennen Sie nicht auch das Gefühl, bei einem Hustenanfall keine Luft mehr zu bekommen? Man lebt im wahrsten Sinn des Wortes auf, wenn das vorbei ist.

      Wenn ich nach einer Bergwanderung auf dem Gipfel stand, fand ich es irgendwie