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HeikeHanna Gathmann
Indischer Honig
Lena Weinbergs erster Fall
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Inhaltsverzeichnis
V. „Liebesspiele auf dem Fukonbett“
VII. „Speckwürfel und ein Schokoladenhase“
VIII. „Leidenschaften und ein unerwartetes Verbrechen“
IX. „Ein Werbefuzzi und die drei Sechsen des Satans“
X. „Ein hinterhältiger Anschlag, Entwurzelte und ein Phantasiekahn“
I. „Ein toxischer Schock“
Lena Weinberg, Hauptkommissarin von Blumenau, stapfte durch vertrocknetes Laub. Die Schneestürme des letzten Winters hatten es auf dem schmalen Weg hügelartig aufgetürmt. Sie dachte an Michael, der sich in den letzten Tagen nicht bei ihr gemeldet hatte. „Die Leiche liegt hier!“, rief Werner Habermann, „ganz in der Nähe der Blockhütte.“ Er fuchtelte mit hochgerissenen Armen, um seiner Kollegin ein Zeichen zu geben. „Ich komme“, erwiderte die Polizistin, welche an diesem sonnigen Sonntagvormittag im März wenig Lust verspürte, sich einen Toten anzusehen. Warum nur, fragte sie sich, verhielt sich ihr Freund so merkwürdig. Sie ahnte, dass Michael etwas belastete. Ungesagtes, das er nicht preisgeben wollte. Sie blickte leicht angewidert an den Leichnam, der auf dem bemoosten Waldboden lag. Die bereits starren Gliedmassen hatte der Mann in beinahe unnatürlicher Weise von sich gestreckt. Als habe er noch im Todeskampf mit grossen Schmerzen gerungen und wie ein verletztes Tier um sich geschlagen. Der schwere Ast einer Kiefer bedeckte den blutigen Schädel des Opfers. Sein Gesicht war zerschlagen. Seltsam, überlegte Weinberg, denn ein unglücklich verlaufender Unfall passte nicht zu den verrenkten, gekrümmten Körperteilen. Ihr Kollege rieb seine verkühlten Handflächen aneinander, um wenigstens seine Hände aufzuwärmen. Sein frierendes Kinn verbarg er hinter einem dicken Wollschal, den er um den Hals geschwungen hatte. Seine Wangen glänzten in einer kräftigen, roten Farbe. Beim Aus- und Einatmen bildeten sich kleine Nebelwölkchen. „Verdammt kalt!“, fluchte Habermann, „den Toten hat der hiesige Förster während einer Kontrolle des Baumbestandes entdeckt. In der letzten Woche wurde morsches Holz von Waldarbeitern entforstet.“ Die Kommissarin wies mit ihren Gummihandschuhen auf eine Schnittstelle am Ende des abgebrochenen Astes. „Der wurde zweifelsohne angesägt, Werner!“ Sie hatte sich niedergekniet, um nach Auffälligkeiten zu suchen. Es handelte sich um einen noch jungen, etwa fünfundvierzigjährigen Mann. Den die Frau angesichts seines speckigen, gewölbten Bierbauches und schütteren, ungepflegten Haarkranzes als unattraktiv bezeichnen würde. Seine Jeans waren abgewetzt, der Mantelstoff ein billiger Kauf gewesen. Sie untersuchte das Innere der Manteltaschen, in denen ein zerknitterter Presseartikel und eine Visitenkarte steckten. „Oha!“, bemerkte Weinberg überrascht, „der Tote frönte anscheinend dem teuren Segelsport! Das Kärtchen ist ein Beleg für seine Teilnahme an einer Schiffstour und zwar auf dem Segelschiff >Sea Cloud<.“ „Ein Touristenspass für Wohlhabende, die noch einmal Kolumbus spielen möchten und in der Karibik herumtollen“, lachte Habermann, „was hatte dieser hässliche, pummelige Typ nur in unserer platten, norddeutschen Ebene zu suchen … liebte er etwa Waldspaziergänge?
„Der Artikel verrät uns, dass er sich für den atomaren Müll, der in Husum gelagert wird, interessierte. Die Kürzel unter dem Bericht aus einer Münchener Tageszeitung sind P und M. Vielleicht ist das hier unser Mann!“ Habermann blickte bewundernd, fast zärtlich auf seine schlaue Vorgesetzte. Ihm gefielen Lenas klare, leicht misstrauisch blitzende Augen. Ihre nachdenkliche Art, mit der sie ruhig ihre langen, braunen Haarsträhnen aus dem Gesicht strich. „Die maroden, zwölftausend Fässer lagern in nur etwa sechshundert Metern Entfernung von uns beiden“, rief er. „Ich weiss“, antwortete Weinberg, „seit drei Jahren protestiert eine Bürgerinitiative vehement gegen die brenzligen Fässer.“
Während die Leiche in die Gerichtsmedizin von Blumenau überführt wurde, fuhr die Kommissarin gutgelaunt nach Hause. Mit Elan steuerte sie in die Einfahrt zu ihrem Haus, welches versteckt hinter viel Grün direkt am Flussufer lag. Aussteigend entdeckte sie Michael, der rauchend auf der Dachterrasse stand und entspannt am Geländer lehnte. Sie liebte den Kommunalpolitiker, der grosse Ambitionen verfolgte, um in die Bundespolitik einzusteigen. „Warum legst du deinen goldfarbenen Fuchspelz nicht endlich beiseite?“, begrüsste er die Frau mit seiner warmen, Charme versprühenden Stimme, „der Winter ist vorüber.“ „Aber die Kälte nicht“, erwiderte sie fast trotzig. Weinberg betrachtete Michaels scharf geschnittene Gesichtszüge. Seine schwarzen Augen, welche immer wieder frech aufblitzten, denen dennoch etwas Rätselhaftes, Verborgenes anhaftete, das sie sich nicht erklären konnte. Sie streifte den Wintermantel ab, liess sich zu ihm auf das dunkelblaue, samtene Sofa fallen. Davor brannte ein Kaminofen, den Michael bereits entfacht hatte, mit hellen, lodernden Holzscheiden. Zärtlich strich sie mit der Hand über das edle, hellgraue Zwirn seines Anzuges. Wohl nie und nimmer werde sie mit seinem stilsicheren Outfit mithalten können, vermutete sie. „Wie steht es um die neuen Integrationskurse?“, versuchte Weinberg einen sachlichen Ton anzuschlagen. „Genehmigt!“ Krumlik, der sich seiner einnehmenden Wirkung auf andere bewusst war, umschlang zielsicher mit beiden Armen den Körper der Frau. „Heute bist du >Rani<“, schmeichelte er ihr, „das Wort bedeutet im Indischen >meine Königin<.“ Mit kreisenden Fingerbewegungen streichelte der Mann ihre Hüften.
„Verfluchter Vandalismus“, schimpfte die Polizistin wütend, als sie am nächsten Morgen in der Frühe in ihr Auto steigen wollte. Beide Aussenspiegel waren demoliert. Als Tatgegenstand kam ein mittelschwerer, gewöhnlicher Stein in Frage, welche am Flussufer reichlich vorzufinden waren. Weinberg ärgerte sich, denn vermutlich würde ihre Versicherung den Schaden nicht übernehmen. Wie beim letzten Mal, als ihr Wagen von unbekannter Hand besprayt worden war. Die dunkelblaue Kühlerhaube schmückte ein imposanter, weissgelackter Totenschädel. Die Seitentüren zierten die Flügel eines Engels. Krumlik war angesichts der Darbietung in schallendes Gelächter ausgebrochen. „Da habe jemand eben eine rege Phantasie gehabt“, lautete sein kurzer Kommentar. Lena dagegen hätte gerne gewusst, ob ihr dies aus Rachlust, Frust oder nur aus Jux widerfuhr. Im Schrittempo steuerte sie missmutig das beschädigte Auto auf dem asphaltierten Weg. Eine humpelnde, alte Frau mit einem Gehstock versperrte die Weiterfahrt. Das weissblonde Haar der Seniorin war vom Wind zerzaust. Sie fuchtelte unwirsch mit ihrem Stock, als sie das Autogeräusch im Rücken wahrnahm. In der anderen Hand hielt die Alte eine Papiertüte. „Moin, moin“, rief Lena ihr durch das