Ela Feller

Tim und die Gespenster


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erste Jahr im Kindergarten. Wie Tim hatte sie dunkle Haare, aber sie waren länger als seine und oft zu Rattenschwänzen gebunden. Rosane und lilane Spangen mit Sternen, Pferden und Blümchen hingen oft in ihren Haaren. Und auch sonst schien Rosa die Lieblingsfarbe seiner Schwester zu sein. Heute trug sie eine rosa Latzhose und darunter einen dünnen, weißen Pullover. Und an den Füßen trug sie knallgrüne Gummistiefel. Tim mochte seine Schwester, denn sie war eine Frohnatur, lachte und alberte gern. Wenn sie nicht ihren Willen bekam oder im Fernsehen eine Kindersendung lief, die sie lauthals mitsang, ging sie Tim manches Mal aber auch ordentlich auf die Nerven. Tja, so sind kleine Geschwister eben.

      Eigentlich war Tim gar nicht wohl dabei, allein in die neue Schule zu gehen. Aber Mama konnte ja nicht immer auf ihn aufpassen und irgendwie wurde es ihm auch langsam lästig, immer begleitet zu werden. Schließlich war er kein Kindergartenkind mehr. Also ließ er sich nur bis zum Klassenzimmer führen und verabschiedete sich dann von Mama und Toni. Der Unterricht hatte noch nicht begonnen, so dass die Kinder noch mit ihren Tornistern im Schulflur standen und lachten und lärmten. Um sich nicht gleich in die Menge stürzen zu müssen, nutzte Tim erst einmal die Gelegenheit, sich seine neue Schule näher anzusehen.

      Vor jedem Klassenzimmer gab es eine lange Reihe von Kleiderhaken, an denen auch schon die ersten Jacken hingen. Es war Sommer, darum waren es nicht viele. Eine von ihnen sah eindeutig nach Winter aus, denn sie hatte einen kuscheligen Kragen aus Fell. Tim fragte sich, wer die Jacke hier wohl vergessen hatte und wie lange sie schon dort hing. Über den Jackenhaken waren allerlei Bilder und Bastelarbeiten der Klasse befestigt worden. Tim sah bunte Sommerbilder, gehäkelte Masken und aus Blüten gebastelte, kleine Sträuße. Auch die anderen Klassen hatten solche Kunstwerke an der Wand hängen. Je nach Alter der Kinder waren sie mehr oder weniger gut gelungen.

      Der Boden des Schulflurs war weniger aufregend: Hier lag grüner Gummi, wie Tim ihn schon aus hunderten anderen Schulen und Kindergärten kannte. Hier und da standen noch Mülleimer und Regenschirmständer herum, und sogar ein paar Pflanzen konnte Tim entdecken. Dann wurde er jäh aus den Gedanken gerissen. Ein Junge hatte ihn angesprochen, doch dummerweise hatte Tim die Frage nicht gehört.

      „Hahaha, er ist wohl taub“, brüllte der Junge lachend, während er mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf den völlig überrumpelten Tim zeigte. „Gehörst wohl eigentlich auf die Sonderschule?“.

      Ein paar Kinder lachten zögerlich mit. Offenbar war Tim hier gleich an den Klassenrüpel geraten, der zwar nichts konnte, mit seinen Witzen aber den einen Teil der Klasse gleich auf seine Seite zog und den anderen Teil so einschüchterte, dass er lieber nichts sagte. Das fängt ja prima an, dachte sich Tim. Doch ehe er zu einer möglichst lässig klingenden Antwort ansetzen konnte, fuhr ihm ein Mädchen dazwischen.

      „Maik, du bist ja so ein Blödmann. Als ob diesen Scherz noch jemand lustig findet. Ich wette, der Junge hat eine tolle Geschichte, wieso er erst zum Ende des Schuljahres hier auftaucht.“ Wütend funkelte das Mädchen Maik an, ehe sie freundlich zu Tim sah. Sie gefiel ihm auf Anhieb. Ihre blonden Haare waren zu Zöpfen geflochten und sie trug eine dunkel-lila Latzhose mit bunten Flicken. Sie wirkte nett und gleichzeitig so, als würde sie sich nicht auf der Nase herumtanzen lassen. „Ich bin Maja“, stellte sie sich vor. „Und wer bist du?“.

      „Ich bin Tim. Und ja, ich habe einen guten Grund, wieso ich jetzt erst komme.“ Tim war froh, dass Maja ihm so einen Einstieg in die Klasse gegeben hatte und machte nun eine kunstvolle Pause, ehe er fortfuhr. „Ich reise nämlich mit meiner Geisterbahn umher.“

      Tim brauchte sich gar nicht großartig umzusehen, um zu wissen, dass ihn jetzt alle Augenpaare anstarrten. Ein Junge, der eine eigene Geisterbahn besaß. Was für eine Sensation! Doch bevor seine neuen Klassenkameraden ihn weiter löchern konnten, kam die Lehrerin um die Ecke. Sie öffnete die Klassentür und damit war jede Diskussion beendet.

      Als Tim einige Stunden später wieder nach Hause kam, wartete Mama schon mit dem Mittagessen, und auch Antonia saß bereits mit frisch gewaschenen Händen am Tisch. Heute gab es Hähnchen-Eintopf mit Muschelnudeln, was Tim für sein Leben gerne aß. Und weil Mama an diesem Tag offenbar besonders gute Laune hatte, hatte sie für den Nachtisch auch noch Schokoladenpudding gekocht, der noch warm war. Wenn doch jeder Tag so laufen würde! Tim liebte es, die Haut vom Pudding zu ziehen und zuerst zu essen. Sie schmeckte allerdings nur warm. Bei einem kalten Pudding mochte Tim die Haut überhaupt nicht mehr. Manchmal verdarb sie ihm sogar den Appetit am ganzen Pudding.

      Auch Papa machte mit dem Aufbau der Geisterbahn eine Pause und gesellte sich zum Essen dazu. Er war ein großer und kräftiger Mann. So groß war er, dass er sich manchmal den dunkelhaarigen Kopf am Türrahmen stieß, wenn er nicht aufpasste. Und wenn sonst keiner im Raum war, konnte Papa herrlich fluchen. Tim hatte schon einige tolle Ausdrücke von ihm gelernt, denn er saß oft genug still bei den Hausaufgaben, so dass Papa ihn beim Eintreten erst gar nicht bemerkte. Bevor jetzt endlich gegessen wurde, fassten sich alle noch an den Händen und wünschten sich einen guten Appetit. Mama bestand auf so etwas. „Wir sind schließlich keine Schweine, die aus dem Trog essen, sondern eine Familie“, erklärte sie. Tim fand das in Ordnung, trotzdem wünschte er sich heute, das Ganze würde mal etwas schneller gehen. Nach dem Turnunterricht heute Vormittag hatte er nämlich einen riesigen Hunger.

      „Und? Wie war die Schule?“, fragte Papa zwischen zwei Löffeln. Schmieröl klebte in seinem Gesicht, aber die Hände waren blitzsauber. „Hast du schon jemand Nettes kennen gelernt?“.

      Tim nickte stumm, denn er hatte gerade selbst einen Löffel Suppe im Mund. Erst, als er sie hinuntergeschluckt hatte, antwortete er. „Ja. Zwei von ihnen wollten nach den Hausaufgaben noch vorbeikommen. Dürfen wir dir beim Aufbau der Geisterbahn zusehen?“

      Papa dachte einen Augenblick nach und nickte dann. „Wenn ich es mir recht überlege, können du und deine zwei Freunde mir sogar dabei helfen.“

      Jetzt bekam Tim aber große Augen, denn helfen hatte er noch nie gedurft. Doch bevor er fragen konnte, wie er denn helfen könnte, fing schon Antonia an, von ihrem Tag im Kindergarten zu erzählen. Naja, das war ja halb so schlimm. In ein paar Stunden würde er ja wissen, wie er Papa und den anderen Helfern mit der Geisterbahn unter die Arme greifen konnte.

      Endlich war das Mittagessen beendet und Tim machte sich gleich an seine Hausaufgaben. Er hatte zwar keine große Lust, aber er wusste auch: Je schneller er damit fertig war, umso eher konnte er zum Spielen gehen. Außerdem saß Mama neben ihm, um ihm bei den Aufgaben zu helfen, wenn er nicht weiterkam. So waren die Hausarbeiten ratzfatz erledigt. Er sah auf die Uhr. Himmel, 14 Uhr! Noch so viel Zeit, bis die anderen kommen würden.

      Ein Wunsch und ein Geschenk

      Tim hatte die Wartezeit damit verbracht, mit seiner Schwester Antonia zu spielen. Er tat das eigentlich selten, denn auch wenn er sie sehr gern hatte, war sie eben viel, viel jünger als er. Wo Tim sich für Gruselgeschichten und Astronauten interessierte, spielte Antonia am liebsten mit ihren Stoffhunden. Aber wenn man sonst nichts zu tun hat, überbrückt man die Zeit ja gerne im Spiel mit der kleinen Schwester und so kam es Tim nur wie wenige Minuten vor, bis Mama schließlich kam und sagte: „Tim, deine Freunde sind da.“

      Sofort war Antonia vergessen. Sie hätte natürlich gerne mitgewollt, denn sie liebte ihren großen Bruder abgöttisch. Er war immer so mutig und wusste genau, was er wollte. Nicht einmal vor den Gespenstern in der Geisterbahn schien er Angst zu haben. Aber Mama wusste, wie ihr Sohn dachte und hielt Antonia lieber auf. Beim ersten Treffen mit seinen neuen Freunden sollte er nicht gleich die Schwester mitnehmen müssen. Also packte Mama ein Brettspiel aus und spielte mit Tims Schwester „Spitz, pass auf!“, während er sich mit seinen Freunden traf.

      Noch immer ärgerte Tim sich darüber, dass der Grobian von heute morgen mit von der Partie war. Aber er war der Bruder der netten Maja und sie hatte darauf bestanden, ihn mitzunehmen. Allerdings hob sich Tims Stimmung schnell, als er sah, was Maik und Maja dabei hatten: Einen kleinen, bunten Hund, der Tim sofort bellend entgegen sprang und ihm die Hände abschleckte. Naja, wer einen Hund hat, kann doch vielleicht gar nicht so übel sein, oder? Außerdem war Maik Majas Zwilling, wie Tim kurz darauf erfuhr. Da musste er es wohl einfach