geschlossen. Der Gegenwind zerrt in den Mundwinkeln. Ihr habt den Clown mit der Kamera längst wieder eingeholt. Er schwebt direkt vor dir und zeigt mit den Daumen nach oben. Kannst du auch! Zeig, dass ein Skydive Spaß macht! Klar macht dir das Spaß. Wenn der Wind das Gesicht nicht so verzerren würde. Lifting – Lüfting – luftig. Du willst aber eigentlich gar nicht den Clown angucken. Da unten das ist viel spannender. Flüsse winden sich durch braune Wüsten und dunkelgrüne Flächen. Weiße Striche malen Muster in den Grund. Du guckst zur Seite, da spießt ein zackiger Rücken die Wolken auf. Um dich ist Himmelblau, und die Sonne blinzelt dir zu. Der Clown winkt, du zeigst noch mal den Daumen hoch, dann fliegt er weg, als könne er das steuern. «Bereit?», fragt dann Richard. Wofür, fragst du dich. Du nickst, du bist offensichtlich für alles bereit. Richard zieht an einem Griff. Der Staubsauger scheint über euch gekommen. Es ruckelt etwas, wenn du eingesaugt wirst. Dann wird es ruhig. Der Wind pfeift nicht mehr so laut an deinen Ohren. Der Mund leert sich langsam vom Übermaß an Luft. Weniger als eine Minute ist verstrichen, seit du aus dem Flieger geschoben wurdest. Richard brüllt dir ins Ohr unter der lächerlichen Lederkappe, ob du unter Reisekrankheit leidest. Wie bitte? Dürfen Seekranke fliegen? Nein, du bist natürlich unerschrocken und dein Magen auch. Dann grinst Richard vermutlich, du siehst das nicht. Aber er zieht wieder an den Griffen, und du bist plötzlich auf der Kirmes. Alles dreht, und du drehst alles. «Da drüben ist Mt. Cook», brüllt Richard. «Aber in den Wolken» – dabei wolltest du gerade in die Luft jauchzen. In allen Himmelsrichtungen gibt es etwas zu sehen. Da vorne, Lake Wanaka, noch blauer als er ohnehin ist. Ihr gleitet durch die Luft. Du machst Flightseeing. Dir ist egal, ob die Erde immer näher kommt. Du willst weiter darüber. Zu den Bergketten, da gibt’s bestimmt noch mehr solche verwunschenen Seen oder vielleicht sogar Wasserfälle zu sehen. Du willst hier nicht weg. Du kannst doch jetzt fliegen. Du magst nicht erkennen können, dass da unten Häuser stehen und Autos fahren. Du möchtest dich immer so leicht fühlen.
Du musst zuhören. «Wenn ich Jetzt sage, streckst du die Beine gerade und hebst sie so hoch es geht. Lauf nicht mit.» Du nickst. Es hat keinen Zweck zu verhandeln. Du musst da weg. Du siehst den Acker, das Gras reckt sich dir entgegen. Richard schaukelt euch noch ein bisschen nach links und nach rechts. «Jetzt!» Du ziehst die Beine hoch, da vorne steht der Clown wieder mit der Kamera in der Hand. Touch down, Richard läuft ein paar Meter, dann bleibt ihr stehen. Du bist gelandet. Es ist vorbei. Richard hat dich abgenabelt. Du hebst schon wieder den Daumen für ein Foto. Du grinst offenbar noch immer. Das Adrenalin wird dir den Rest des Tages ein seniles Lächeln aufs Gesicht zaubern. Und gleich sagst du zu jedem, der dich fragt: «Ich will noch mal Skydiven!»
Ecuador: Atemlos in den Anden
Von Madlen Brückner, puriy.de
Wie eine Raupe in ihrem Kokon liege ich in meinem Schlafsack eingewickelt. Seit drei Stunden starre ich aus der kleinen Öffnung durch eines der sechs Triple-Stockbetten hindurch in die helle Vollmondnacht. Zwei Sterne leuchten am Himmel. Wieder huscht ein Schatten durch den Schlafsaal, etwas später höre ich die Klospülung. Dieses Geräusch begleitet mich nun, seit wir uns um 18.30 Uhr zum Schlafen gelegt haben, und lässt mich nicht zur Ruhe kommen. Nervosität und Anspannung sind deutlich zu spüren, nicht nur bei mir, sondern bei jedem hier. Um 22 Uhr greifen wir scheinbar erleichtert im Schein unserer Stirnlampen zu unseren Sachen. Jeder Handgriff sitzt. Noch einmal wird der abends gepackte Rucksack gecheckt. Es herrscht eine emsige Stille, während wir im Speiseraum fast meditativ unsere Marmeladenbrote kauen. Kurz vor 23 Uhr bewegt sich unser Toyota-Geländewagen vom Basislager La Rinconada Richtung Cotopaxi.
Erst jetzt ist mir klar, dass ich es machen werde. Zu schön leuchtet der Berg aus der idyllischen Vulkanstraße heraus, einer der höchsten aktiven Vulkane der Welt. Erst jetzt habe ich die letzten Zweifel beiseite geschoben, die mich in den letzten Tagen begleiteten. Zweifel, wie mein Körper auf die Höhe von 5897 Meter reagiert, Zweifel, ob ich das von meiner Fitness durchstehe, Zweifel, ob mich am Ende nicht die Höhenangst überkommt. Als wir 45 Minuten später auf dem 4600 Meter hoch gelegenen Parkplatz unterhalb des Cotopaxi stehen, sind alle Zweifel verschwunden. Jetzt setzt sich mein Wille durch und ein Automatismus ein, als wäre es nicht mein erster Berg solchen Formats.
Wir haben Glück mit dem Wetter, meint unser Bergführer José. Im hellen Mondschein sehen wir sehr deutlich unser Ziel, den schneebedeckten Gipfel. Es soll noch knapp 9 Stunden dauern, bis ich ihn erreichen werde. Unsere kleine Gruppe setzt sich zunächst durch ein steiles Geröllfeld in Gang, nach 45 Minuten erreichen wir auf 4800 Metern das alte Basislager, das sich aktuell im Bau befindet. Aus allen Nischen der offenen Baustelle sieht man das gedämpfte Licht der Stirnlampen. Der erste Stopp ist erreicht. Schweigend lasse ich mich an der kühlen Außenwand des Baus nieder. Meinen Freund Lars und meinen Guide José habe ich aus den Augen verloren. Ich bekomme keinen Happen runter, stattdessen starre ich auf den Berg. Kleine Lichter setzen sich in Gang und ziehen eine Schlängellinie im Dunkel der Nacht. Dieser muss ich nur folgen. Ich bin mental total bei mir – merke weder Kälte, Schmerzen noch Hunger. Weitere 40 Minuten durch das unwegsame Geröllgelände folgen, bis der Augenblick erreicht ist, von dem uns viele Tagesausflügler bisher berichteten.
Eis löst das rutschige Gestein ab. Steigeisen werden unter die Schuhe gebunden, die Eisaxt in die linke Hand und der «Wanderstock» in die rechte Hand genommen. So marschieren wir im Rhythmus einer Dreier-Seilschaft durch das Eis. Nach nicht einmal einer weiteren Stunde legt sich der Schalter in meinem Kopf um. Von einem sehr hellen, klaren Zustand falle ich in einen nicht zu bändigenden Schlafzustand. Ich versuche zunächst stillschweigend gegen meinen Körper anzukämpfen, doch schnell merke ich, dass ich diesen Kampf verlieren werde. Ich verliere die Gewalt über meinen Kopf und meinen Körper, falle in einen komatösen Zustand – wie nach der Einnahme einer Schlaftablette. Ich komme nicht umher, Lars anzuzeigen, dass ich umkehren muss. Doch er reicht mir ein Energiegel und meint, ich solle weitergehen. Ich schalte meinen Kopf aus und laufe fremdgesteuert die nächste Stunde mit festem Blick auf Josés Waden. Gruppen holen uns ein, wir sind sehr langsam unterwegs. Es geht immer 45 bis 60 Grad bergauf, Pausen muss man sich suchen. Das Powergel verliert seine Wirkung. Wieder reicht mir Lars Nachschub und meinen Coca-Tee. Wir hocken in einem Eisvorsprung geschützt vom kalten Wind. Eine andere Gruppe spricht vom Aufgeben. Ich will weiter – mindestens auf 5500 Meter.
Das nächste Stück wird noch steiler. Wir überschreiten Gletscherspalten, immer wieder müssen wir Balance halten, um nicht am Bergrücken abzurutschen. Und schwanke ich doch im Wind, spüre ich Josés schnellen Zug am Seil. Ich habe Respekt vor seiner Arbeit. Jeden Moment muss er 100 Prozent wach sein. In seinen Händen liegen unser Erfolg und irgendwo auch unser Leben. Die nächsten Stunden sind monoton. Immer wieder sehe ich einen neuen Anstieg, der sich nach einem eben Bezwungenen vor mir auftut. Ich spüre den Mond im Nacken. Zu sehr haftet mein Blick auf Josés Schritten.
Um fünf Uhr legt sich ein glutroter Streifen über den östlichen Horizont. Und etwas nördlicher unter dem Streifen glitzern die Lichter von Quito. Was für eine wahnsinnige Aussicht! Doch ich schaue immer nur kurz nach links, um nicht vom Weg abzukommen. Kein Stehenbleiben, kein mühsamer Griff an den Rucksack, um die Kamera herauszuholen. Das Handy hat sich aufgrund der Kälte längst ausgeschaltet. Ich sollte jetzt und hier halten und diesen Augenblick festhalten und genießen. Doch das Glitzern der Lichter von Quito wird nur ein Gedanke, eine Erinnerung bleiben. Der Sonnenaufgang über Quito vom Gipfel sollte laut Erzählungen der Höhepunkt sein, doch dieser rauscht im Gehen an mir vorbei. Wir sind auf 5500 Metern – 397 sind noch zu bezwingen, und die haben es in sich. Der Wind zieht an, weht eisig in die offene Luke meiner Schlitzkappe. Es wird hell. Wieder und wieder schaltet sich mein Kopf ab. Wieder und wieder schlucke ich Coca-Tee und Powergel.
Um 7.30 Uhr kommen uns Gruppen auf ihrem Rückweg entgegen. Ich bin frustriert, all meine Motivation fließt dahin. Noch anderthalb Stunden prophezeit uns ein befreundeter Guide. Es werden die schlimmsten anderthalb Stunden. Das was mich die ganze Zeit am Gehen hielt, schiebt mich nicht mehr an – mein eigener Wille. Vor uns tut sich ein Feld mit Tiefschnee auf, das wir am Steilhang durchstapfen müssen. Plötzlich schaltet sich auch mein Körper aus. Ich kann meine Beine